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Ein erinnerungswürdiger Mensch
Gerald Diesener hat posthum die Erinnerungen des DDR-Historikers Werner Berthold veröffentlicht
Zunächst sei dem Verleger herzlichst gedankt, keine Kosten und Mühen gescheut zu haben, der Veröffentlichung dieser schriftlichen Hinterlassenschaft auch bildliche des sich Erinnernden beigefügt zu haben. Werner Berthold hatte sich nicht nur der Muse Klio verschrieben, sondern auch der Malerei. Nachdem wir, der Geschichtsprofessor und Autor in dieser Zeitung sowie seine Redakteurin eher zufällig eines Tages eine Gemeinsamkeit, gleiches Hobby, entdeckten, tauschten wir nicht nur Ansichten zur Zeit, sondern auch zu Kunsterlebnissen aus. Postalisch wechselten von Leipzig nach Berlin und retour Kunstdrucke oder kleinere eigene Arbeiten den Besitzer. Noch heute zieren die Wand am redaktionellen Arbeitsplatz Postkarten mit Gemälden von Expressionisten, Impressionisten und Surrealisten, die mir Werner zur Freude zugedacht hat.
Gerald Diesener ermöglicht es, dass sich auch eine breitere Öffentlichkeit vom künstlerischen Interesse und Talent des Leipziger Historikers überzeugen kann. Der Bildanhang zu dessen Memoiren weist ihn als Bewunderer vor allem von Vincent van Gogh und Paul Cézanne aus, von denen er bereits als Grafiklehrling begeistert und inspiriert worden ist, verstärkt durch seine Zeit als Soldat und dann Kriegsgefangener in Frankreich. Aber auch von Otto Dix, George Grosz und Franz Masereell, in der NS-Zeit als »bolschewistisch« oder »entartet« verdammt, war er bereits als Jugendlicher beeindruckt.
Es empfiehlt sich, zunächst das Nachwort des Verlegers zu lesen, einerseits, weil es überaus sympathisch, wissend und freundschaftlich verfasst ist, andererseits den Autobiografen Lesern, die ihn nicht persönlich kannten, trefflich nahebringt und Neugier auf ihn, einen »zeitlebens politisch denkenden Menschen«, der die Hoffnung auf eine bessere, gerechtere Welt auch nach dem Scheitern des Realsozialismus nicht aufgab, und dessen Vita weckt.
So griff Werner Berthold in die Diskussionen der 90er Jahre ein, als gemäß dem Zeitgeist und den neuen Herren in Ostdeutschland in vorauseilendem Gehorsam Namen und Plätze auch in Leipzig umbenannt werden sollten, die an kommunistischen Widerstand erinnerten, darunter an Herbert Bochow, von den Nazis kurz nach dem Überfall auf die UdSSR verhaftet und 1942 hingerichtet sowie den bulgarischen Kommunisten Georgi Dimitroff. Diesener betont, dass es Berthold dabei nicht nur um die Bewahrung von Traditionen ging, denen er sich selbst verbunden fühlte, sondern um historische Wahrheit und Gerechtigkeit, für die zu streiten sich aus eigenem Erleben speiste.
1923 als Sohn eines Heizungsinstallateurs, der aus dem Ersten Weltkrieg als Pazifist zurückgekehrt ist sowie einer Köchin in Leipzig geboren, geriet er als 15-Jähriger in einen antinazistischen Kreis, im Gegensatz zu seinem wesentlich älteren Bruder, der früh der NSDAP beitrat. Er erlernte das Grafikgewerbe bei der Firma Meißner & Buch, deren jüdischer Mitinhaber sich sehr für seine zeichnerischen Frühwerke interessierte und ihn darin ermunterte, seine Begabung weiterzuentwickeln. Der junge Werner kann kostenlose Zeichenkurse besuchen. An seinem 18. Geburtstag jedoch ereilt ihn der Einberufungsbefehl zum Reichsarbeitsdienst und alsbald dann auch die Rekrutierung zur Wehrmacht. »So wurde ich objektiv ein Werkzeug faschistischer Kriegsführung. Hierin fühle ich mich schuldig«, schreibt Werner Berthold in seinen Erinnerungen.
Es verschlägt ihn zunächst an die Ostfront, wo er als Funker ausgebildet wird, dann nach Frankreich, in die Normandie und schließlich in die Provence, wo er im August 1944, zwei Monate nach der Eröffnung der zweiten Front, in Gefangenschaft gerät. Die feindseligen Reaktionen der Franzosen wundern ihn nicht, obgleich er von deutschen Massakern an Zivilisten wie in Oradour damals noch nichts weiß. In Gefangenschaft trifft er wie in seiner Lehrlingszeit wieder auf Kommunisten, Deutsche in der französischen Résistance, die den Gefangenen antifaschistische und marxistische Literatur zur Lektüre geben und Diskussionsabende organisieren. Werner Berthold lässt sich an der Kriegsgefangenen-Universität bei Lyon zum »Rééducateur« (Umerzieher) ausbilden, hält alsbald selbst Vorträge vor Gefangenen.
Im August 1948 entlassen, kehrt er in seine Heimatstadt zurück. »Da meine verwitwete Mutter und meine Freunde in Leipzig wohnten sowie auf Grund der politischen Überzeugungen, die ich gewonnen hatte wählte ich natürlich die SBZ.« Nach Besuch der ABF, Arbeiter- und Bauernfakultät, sowie Einsatz beim FDJ-Projekt »Max braucht Wasser«, dem Bau einer Wasserleitung für das Stahl- und Walzwerk Maxhütte in Unterwellenborn, studiert er Geschichte und Philosophie, unter anderem bei den Reemigranten Ernst Engelberg, Walter Markov und Ernst Bloch, durch die er angeregt wird, sich fürderhin auf die Historiografie und Methodologie der Geschichtsschreibung zu fokussieren, worin er sich alsbald internationalen Ruf erwirbt. Interessant hier auch die Skripte, in denen er über Kontakte zu westlichen Forschern berichtet und Leistungen der DDR-Wissenschaftler gegen pauschale Verdammung nach 1990 selbstbewusst und stolz verteidigt.
Beschämend, was Diesener in seinem Nachwort anmerken muss und Werner Berthold als herbe Enttäuschung empfand: 1990/91 rückte der vormalige SED-Parteiverlag in Berlin vom Versprechen ab, dessen Vorlesungen zur Geschichte der Historiografie als mehrbändiges Kompendium zu publizieren. List der Geschichte, die Diesener mit offenkundiger Befriedigung vermerkt: Als »antiquarische Rarität« sind dessen zu DDR-Zeiten erschienene Vorlesungen noch zu haben, die den Nukleus der neuen Edition hatten bilden sollen. Und: Es gibt aus seiner Feder, zusammen Mario Keßler einen Band, der 2011 im Leipziger Universitätsverlag erschien und auf einer Artikelserie im »nd« fußt: »Klios Jünger. Hundert Porträts von Homer bis Hobsbawm«.
Werner Berthold war, so Diesener, ein integrer Wissenschaftler, umsichtiger Leiter und überaus beliebter Hochschullehrer. »Der Praxistest zeigt das, denn wer hat schon freitags um 7.30 Uhr einen gefüllten Hörsaal?« Ein in der Tat erinnerungswürdiger Mensch.
Werner Berthold: Wer verliert, das ist noch gar nicht ausgemacht. Erinnerungen. Hg. v. Gerald Diesener. Leipziger Universitätsverlag, 215 S., geb., 29 €.
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