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Dortmund: »Copaganda« nach tödlichen Polizeischüssen
Polizei will »Vertrauen zurück gewinnen« - Kritiker werfen ihr vor, sich reinwaschen zu wollen
Eine Predigt zum Thema Vertrauen, ein Begegnungsfest, der Besuch bei einem Fußballturnier in Erinnerung an ein Opfer des NSU. Wer könnte so etwas machen? Ein Politiker? Oder vielleicht eine Kirchengemeinde? Nein, in Dortmund ist es die Polizei.
Rückblick: Am 8. August 2022 wird die Polizei zu einem Einsatz in einer Jugendhilfeeinrichtung in der Nordstadt gerufen. Es gibt Sorgen, der 16-jährige Mouhamed Lamine Dramé könne versuchen, sich umzubringen. Er kauert mit einem Messer in der Hand im Innenhof der Einrichtung. Die Polizei rückt an, setzt schnell massiv Pfefferspray und einen Taser gegen Dramé ein. Dann schießt ein Beamter mit einer Maschinenpistole auf den jungen Geflüchteten. Sechs Kugeln treffen ihn. Dramé stirbt.
Schnell gibt es viel Aufregung wegen des tödlichen Polizeieinsatzes. Es gibt Zeugen, die die Situation als nicht bedrohlich für die Polizist*innen darstellen. In den Tagen und Wochen nach den Todesschüssen gehen Tausende Menschen auf die Straße und fordern »Gerechtigkeit für Mouhamed«.
Die ersten Reaktionen von polizeilicher Seite fallen ganz anders aus. Ein Polizeigewerkschafter spricht allgemein über »Messerangriffe« und darüber, dass bei diesen der Schusswaffengebrauch oft alternativlos sei. Der Dortmunder Polizeipräsident Gregor Lange äußert zwar seine »Betroffenheit«, warnt aber gleichzeitig vor einer »Vorverurteilung« und »voreiligen Bewertungen«.
Die »aus Neutralitätsgründen« ermittelnde Polizei Recklinghausen übernimmt den Fall. In den Monaten nach der Tat kommen immer mehr Details an die Öffentlichkeit und der Druck durch die Zivilgesellschaft nimmt zu. Anfang dieses Jahres erklärt die Dortmunder Staatsanwaltschaft, dass sie Anklage gegen fünf am Einsatz beteiligte Polizist*innen erhoben hat. Die Vorwürfe lauten Anstiftung zur Körperverletzung, gefährliche Körperverletzung – und der Schütze wird wegen Totschlags angeklagt.
Bei der Dortmunder Polizei hat man inzwischen erkannt, dass der tödliche Einsatz gegen Mouhamed Lamine Dramé zu einem massiven Problem für die Glaubwürdigkeit der Behörde geführt hat. Anders als in vielen Fällen tödlicher Polizeigewalt geht man in die PR-Offensive. Man lädt zum Austausch mit zivilgesellschaftlichen Organisationen ein und betont, dass die Polizei eine Werteorientierung habe und für alle Dortmunder*innen unabhängig von ihrer Herkunft da sei.
In den letzten Wochen wurde diese PR-Offensive noch einmal verstärkt. Am Samstag besuchten Jugendkontaktbeamte den Mehmet-Kubasik-Cup der Nordstadtliga. In dieser Straßenfußballliga spielen viele junge Migranten. Mehmet Kubasik ist am 4. April 2006 vom NSU in Dortmund erschossen worden. Bei der Aufklärung der Tat bekleckerte sich die Polizei in Dortmund nicht mit Ruhm. Der Besuch bei der Nordstadtliga wurde von der Polizei öffentlichkeitswirksam verarbeitet. Bei »strahlendem Sonnenschein« sei »gepöhlt« worden. Und am Ende »durfte ein Foto mit den Fußballstars selbstverständlich nicht fehlen«. Foto und Text landeten natürlich schnell auf den Social-Media-Kanälen der Polizei.
Im Einsatz für die gute Sache war auch Polizeipräsident Gregor Lange. Beim Festival »Dortbunt«, einem von der Stadt initiierten Toleranzfest, hielt er in der Reinoldikirche eine Predigt »über das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Institutionen der Demokratie.«
Gregoria Kurze vom »Antifa Medienzusammenhang Dortmund« (Amzdo) betrachtet solche Auftritte kritisch. Wenn der Polizeipräsident predige, möge das »komisch anmuten«, dahinter stehe aber »die klare Absicht, als unfehlbare Institution unhinterfragt das Gewaltmonopol in dieser Stadt auszuüben«. Im Gespräch mit dem »nd« schildert Kurze, wie sie das Agieren der Polizei wahrnimmt. Die Polizei sei es gewohnt, die »mediale Deutungshoheit« zu besitzen, ihre Veröffentlichungen würden »selten hinterfragt« und oft direkt in den Medien zitiert. Durch die sozialen Medien und die Proteste in Folge des tödlichen Einsatzes sehe die Polizei diese Deutungshoheit »gefährdet«. Das wolle sie nun »durch eine massive PR-Kampagne wettmachen«, ist sich Kurze sicher. Es sei so, dass die Polizei »seit Jahren Copaganda« betreibe. Ihr Ziel sei es, politische Prozesse in der Stadt im eigenen Interesse zu beeinflussen. Für Gregoria Kurze ist das »hochproblematisch«, die Polizei sei eine »teils gemeingefährliche Institution« und ihre offensive PR-Arbeit erschwere eine unabhängige Kontrolle noch zusätzlich.
Die Polizei stellt ihre öffentlichen Auftritte anders dar. Auf nd-Anfrage antwortete eine Sprecherin, man habe »durchaus festgestellt, dass wir nach dem Einsatz am 8. August 2022 Vertrauen, welches beschädigt wurde, wieder herstellen müssen – insbesondere bei Menschen mit Zuwanderungsgeschichte«. Dazu habe der Polizeipräsident eine AG Dialog eingerichtet, die mit Gruppen aus der Dortmunder Stadtgesellschaft »intensiv an Konzepten hierzu arbeitet«. Als »erste Reaktion« habe das Polizeipräsidium das Gesprächsformat »Talk with a Cop« in der Nordstadt eingeführt. Ziel sei es, »unmittelbar vor Ort mit den Bürgerinnen und Bürgern ins Gespräch zu kommen«.
Nordstadtbewohner*innen berichten im Gespräch mit »nd«, dass sie auch dieses Format als PR-Masche wahrnehmen. Die Stände der Polizei würden von vielen Menschen weiträumig umgangen. Wer bei der Polizei stehenbleibt, hole sich schnell einen Kaffee oder frage lediglich nach dem Weg. Wirklich ins Gespräch komme die Polizei mit den Menschen nur selten.
Für den kommenden Sonntag nun plant die Polizei ein Begegnungsfest an der Wache in der Nordstadt. Eben der Wache, aus der die Polizist*innen kamen, die am tödlichen Einsatz gegen Mouhamed Lamine Dramé beteiligt waren. Einer Polizeiwache, die schon lange im Ruf steht, immer wieder für rassistische Einsätze verantwortlich zu sein. An diesem Sonntag soll es anders zugehen, ein Glücksrad soll es geben, man soll Streifenwagen und Motorrad besichtigen und auch mal in eine Uniform schlüpfen können. »Natürlich werden auch die kleinen Besucher nicht zu kurz kommen«, heißt es in der Einladung.
Quasi als Gegenprogramm plant der Solidaritätskreis Mouhamed einen Infostand unter dem Motto »Talk with the Solikreis statt feiern mit der Polizei!« Die Gruppe, die sich nach den tödlichen Schüssen gebildet hat, hält das Fest für eine »reine PR-Aktion«. Die Polizei blende die Frage, warum Vertrauen in sie fehle, komplett aus. Noch immer gebe es in der Nordstadt Racial Profiling, das »nicht selten« mit »unnötiger Eskalation und Gewalt« einhergehe. Auch würden weiterhin »vor allem nicht-weiße und arme Menschen mit Repressalien und Schikanen überzogen«. Der Solidaritätskreis fordert »eine Prävention von Armut und niedrigschwellige Unterstützungsangebote für Menschen in Krisensituationen«. Die »strafende und fordernde« Polizei solle abgebaut und perspektivisch abgeschafft werden.
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