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Comicverlag Edition Moderne: Für Präzision und Radikalität
Der Comicverlag Edition Moderne macht eine Crowdfunding-Kampagne, um weitermachen zu können
Die ganze Branche ist konkurs. Das Ganze hält sich nur noch mit statischer Schläue», skizziert der Verleger Jörg Schröder im Film «Die März Akte» 1985 den Zustand der Buchbranche. Statische Schläue? «Das ist ein Ausdruck aus dem Bauwesen. Wenn eigentlich die Scheune schon längst eingefallen sein sollte und irgendwelche Kräfte der Statik, die gar nicht mehr errechenbar sind, das Ding noch halten», erklärt Schröder, der sich für seinen legendären März-Verlag viele Dinge einfallen ließ, um ihn fortzuführen.
Mitte der Achtziger war diese statische Schläue noch wirksam, doch nun, nach Corona, Inflation und den rasant gestiegenen Papier- und Produktionskosten, kommt die Buchbranche ins Straucheln. Schon 2017 initiierte der Ventil Verlag ein Crowdfunding, um die durch das Urteil zur VG-Wort an die Verwertungsgesellschaft zurückzuzahlenden Gelder in fünfstelliger Höhe abzufedern und so den Verlag zu retten, 2022 folgte der Unrast Verlag mit einer Kampagne, kollektiv das Herbstprogramm zu finanzieren und sammelte in zwei Monaten fast 35 000 Euro. Zeitgleich kamen beim Berliner Comicverlag Reprodukt 85 000 Euro zusammen, dort hieß es in der Begründung für die Maßnahme: «Nach zwei Jahren Pandemie haben wir ein massives Problem: Rohstoffmangel und steigende Energiepreise haben Papier empfindlich teuer gemacht. Aktuell sind die Produktionspreise gegenüber dem Vorjahr bis zu 60 % gestiegen. Gleichzeitig ist die Lieferbarkeit von Papier stark eingeschränkt, und auch die Frachtkosten haben sich stetig erhöht.»
Ganz ähnlich klingt es in einem Aufruf des Zürcher Comicverlags Edition Moderne, der seit dem 17. Mai eine Crowdfunding-Kampagne am Laufen hat, die sich das Ziel gesetzt hat, 100 000 Schweizer Franken zu generieren: «Die Steigerung der Produktions-, Lager- und Distributionskosten, die Papierkrise und die Inflation kommen erschwerend hinzu. Diese Mehrkosten ganz auf die Leser*innen abzuwälzen, ist für uns nicht möglich, sowohl aus wirtschaftlichen Gründen als auch aus Überzeugung – Bücher sollen ein Kulturgut für alle sein!» Diesen Auftrag, das Kulturgut Comic-Album allen zur Verfügung zu stellen, erfüllt der Verlag seit nunmehr über vier Jahrzehnten. Dank ihm sind französische Zeichner wie Tardi, David B. oder Marjane Satrapi auf Deutsch erschienen, aber auch etwa Katz & Goldt oder der Österreicher Nicolas Mahler haben hier seit vielen Jahren ein verlegerisches Zuhause.
In September 2019 haben die Schweizer Grafikdesigner Claudio Barandun, Julia Marti und Marie-France Lombardo den Verlag von Gründer David Basler übernommen und der Edition Moderne eine neue Ausrichtung gegeben: Mehr Experimente, mehr Diversität, mehr Vielfalt, 2021 wurde sie dafür zum Schweizer Verlag des Jahres gekürt. Aber wie in allen Kunstsparten haben es Experimente schwer, daher folgt nun zwei Jahre später der Appell: «Wir sind die Edition Moderne, der Comic-Verlag aus Zürich. Wir sind in finanzieller Not und brauchen deine Unterstützung, um zu überleben. Zusammen sind wir too big to fail!»
«Wir machen ein diverses Programm», erklärt Verleger Claudio Barandun im Gespräch mit «nd» die Neupositionierung des Verlags, die unglücklicherweise durch Corona ausgebremst wurde. «Viele junge Autor*innen, divers in Herkunft und Identifikation, unterrepräsentierte Stimmen, unterschiedliche Backgrounds, schwierige Themen, politisch, formal experimentell, individuell gestaltet. Wir sind stark durch inhaltliche Überlegungen geprägt.» So erschienen in den letzten Jahren formal anspruchsvolle Alben etwa von Mia Oberländer über gesellschaftliche Außenseiter und die Enge der Familie, eine queere Perspektive auf die Liebe von Nino Bulling oder surreale Episoden von Joe Kessler, alle wie immer bei der Edition Moderne in hochwertiger Ausstattung.
«Ich glaube, dass wir einerseits sehr empfänglich sind für visuell innovative Formensprachen – da zwei von uns selber visuelle Berufe gelernt haben und ausüben und sich die Dritte schon lange und intensiv mit Design und visueller Kommunikation auseinandersetzt», so Barandun. «Zudem finden wir, dass gewisse Geschichten mit diesen Formen eine sehr hohe Präzision erreichen, die gängigeren Formensprachen vielleicht abgeht.» Mut zum Experiment verlangt viel Vermittlungsarbeit, für die in Buchhandel und Presse kaum mehr Zeit ist; mit dem Crowdfunding will man sich vor allem dafür Luft verschaffen, um mit den neuen, experimentelleren Formen neue Leser*innen zu erreichen. Dass dies möglich ist, so Barandun im Gespräch, «davon sind wir sehr überzeugt», gleichzeitig wissen die Verleger*innen, dass ihre Publikationen «Widerstände» hervorrufen können: «Diese ignorieren wir aber gänzlich in unseren Überlegungen, ob wir etwas machen sollen oder nicht. In diesem Sinn sind wir radikal. Im Glauben, dass das a) schon gesehen wird – irgendwann und b) dass sich das Medium Comic auf diese Weise weiterentwickelt und Potenzial entfalten kann, das jetzt noch brachliegt.»
Noch bis Ende Juni kann man der Edition Moderne dabei helfen, weiterhin Schätze zu bergen, neue Formen des Comics zu erproben und für diese ein Publikum zu finden.
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