- Gesund leben
- Glyphosat
Argentinien: »Ein Experimentierfeld transnationaler Konzerne«
Auf südamerikanischen Plantagen kommen giftige Pestizide zum Einsatz. Chemiekonzerne machen damit Milliardengewinne
Um den Bau der größten Saatgutfabrik Lateinamerikas in ihrer Heimat Córdoba zu stoppen, war Sofía Gatica bereit zu sterben. Als die Bauarbeiten begannen, legte sie sich vor einen Lkw, um ihn daran zu hindern, auf das Grundstück zu fahren, auf dem das US-Unternehmen Monsanto 2013 die Fabrik bauen wollte. »Man muss bereit sein, das eigene Leben zu riskieren, um einen solchen Kampf zu gewinnen«, sagt sie fast zehn Jahre später. Gatica läuft durch die Ruinen, die von dem Bauvorhaben übriggeblieben sind. Die kleine, herzliche Frau Mitte 50 trägt Brille und Turnschuhe. Sie ist eine der bekanntesten Umweltaktivistinnen Argentiniens.
Die Fabrik wurde wegen der Proteste nicht gebaut, trotzdem ist Argentinien noch immer groß im Geschäft mit dem Korn. Fast 130 Millionen Tonnen Getreide, darunter Mais, Soja und Weizen, produzierte das Land in der vergangenen Saison, 73 Prozent davon gingen in andere Länder. Auf fast allen Soja- und Maisfeldern Argentiniens säen Landwirte und Betriebe gentechnisch verändertes Saatgut aus. Weizenfelder gehörten bisher nicht dazu, aber das wird sich ändern: Argentinien hat im Mai als erstes und bisher einziges Land der Welt den Anbau und Handel von gentechnisch verändertem Weizen zugelassen.
Neben Brasilien, Paraguay, den USA und Kanada haben auch Australien, Neuseeland, Kolumbien und China den Import des argentinischen Gen-Weizens erlaubt. Weizen ist auf dem Weltmarkt so gefragt wie nie – wegen des Krieges in der Ukraine drohen Hungersnöte in Afrika, überall steigen die Lebensmittelpreise. In Europa werden knapp 60 Prozent des Getreides an Tiere verfüttert, bei Soja sind es sogar fast 90 Prozent. Die steigende Nachfrage hat also nicht mit Tofu-Würstchen zu tun, sondern mit dem Fleischkonsum – und der hat sich in den vergangenen 20 Jahren weltweit mehr als verdoppelt.
Saatgutfirmen verkaufen Gift gleich mit
Argentinien ist der weltweit größte Exporteur von Sojaschrot. Für den Anbau werden nicht nur Wälder abgeholzt. Es gibt noch andere Probleme: Das gentechnisch veränderte Saatgut wird in Kombination mit Unkrautvernichtungsmitteln verkauft, gegen die die Pflanzen resistent sind. Seit Argentinien in den 1990er Jahren den Anbau von Gen-Saatgut zugelassen hat, hat sich der Einsatz von Herbiziden mehr als verzwölffacht.
Weltmarktführer für genverändertes Saatgut ist der Bayer-Konzern. Bayer vertreibt Soja-, Mais- und Weizensorten, deren Genome so verändert wurden, dass sie gegen Totalherbizide resistent sind. Diese Gifte vernichten Pflanzen, denen diese Resistenz fehlt. Und Bayer stellt diese Unkrautvernichtungsmittel ebenfalls her, unter anderem den meistverkauften Wirkstoff der Welt: Glyphosat.
Knapp ein Drittel der argentinischen Sojaproduktion stammt aus der Provinz Córdoba im Herzen des Landes. Sofía Gatica lebte Anfang der 2000er Jahre im Viertel Ituzaingó am Stadtrand von Córdoba, 50 Meter entfernt von einem Sojafeld. »Unsere Kinder spielten auf den Feldern Verstecken«, erinnert sie sich. Nach der Ernte sammelte sie liegengebliebene Bohnen auf, ließ sie keimen und machte aus den Sprossen Salat.
Mütter sammelten Informationen
Als sie im achten Monat schwanger war, teilten die Ärzte ihr mit, dass ihre Tochter mit einer Nierenfehlbildung zur Welt kommen werde. Das Baby starb kurz nach der Geburt. »Den Tod des Kindes nimmt man nicht einfach so hin«, sagt Gatica. Also fing die dreifache Mutter an, nachzuforschen.
Sie erzählte ihrer Nachbarin Susana vom Tod ihrer Tochter, von dem kleinen weißen Karton, in dem die Ärzte ihr die Leiche übergeben hatten. Auch Susana hatte ein Kind verloren – »wegen eines Geburtsfehlers«, so hatten die Ärzte es ihr gesagt. Die zwei Frauen stellten fest, dass in ihrer Straße sechs Mütter wohnten, deren Kinder vor Kurzem gestorben waren.
Heute kennt man sie in ganz Argentinien: die Madres de Ituzaingó. 16 Mütter gingen von Tür zu Tür, um Informationen über die Lage im Stadtviertel zu sammeln. »Wir fanden Menschen mit Lymphknotenkrebs und Leukämie, Neugeborene mit Fehlbildungen und Tumoren – fast in jeder Familie war jemand krank«, erinnert sich Gatica.
Sie hat die Karte vom Stadtviertel aufgehoben, die sie damals angefertigt haben. Punkte in verschiedenen Rottönen stehen für die Krankheiten – und die Karte ist voll mit roten Punkten. Die Frauen organisierten Proteste gegen den Sojaanbau und die Pestizide, sie forderten medizinische Versorgung und dass die Ursachen für ihre Krankheiten aufgeklärt werden.
Erhöhte Krebsrate in Ituzaingó
Ein Gericht erkannte 2012 an, dass der Einsatz des Herbizids Glyphosat und des Insektizids Endosulfan die Gesundheit der Bewohner von Ituzaingó gefährdet hatte. Endosulfan ist in der EU und in Argentinien mittlerweile verboten, weil es die Nerven schädigen kann. Bayer hat dessen Produktion nach eigenen Angaben im Jahr 2007 eingestellt.
Der Kinderarzt Medardo Ávila Vázquez arbeitete damals im Gesundheitsministerium der Stadt Córdoba und unterstützte die Mütter von Ituzaingó bei dem Gerichtsprozess. »Unsere Untersuchungen zeigten, dass die Krebsrate im Viertel Ituzaingó höher war als im nationalen Durchschnitt«, sagt er. Jeder dritte Todesfall im Viertel sei auf Krebs zurückzuführen gewesen, im Rest des Landes nur jeder fünfte. Bei einer Studie mit 142 Kindern aus dem Viertel Ituzaingó hatten 80 Prozent von ihnen Rückstände von bis zu sechs verschiedenen Pflanzenschutzmitteln im Urin. »Die einzige Erklärung dafür war, dass die Bewohner Agrargiften ausgesetzt waren«, sagt der Arzt. Denn das Viertel war von drei Seiten von Sojafeldern umgeben.
Der Kinderarzt gründete mit anderen Ärzten das Netzwerk Red de Médicos de Pueblos Fumigados. Sie stellten fest, dass an verschiedenen Orten Argentiniens dieselben Krankheiten auftraten: Krebs, Atemprobleme, Hormonstörungen, Fehlgeburten. Die Gemeinsamkeit: »Es sind Orte, an denen gentechnisch veränderte Sojapflanzen angebaut und mit Agrargiften behandelt werden«, so Ávila Vázquez.
Vázquez führte mit vier weiteren Wissenschaftler*innen eine Studie über den Zusammenhang von Krebs und Glyphosat im Dorf Monte Maíz in der Provinz Córdoba durch. Dafür untersuchten sie Spuren von Glyphosat in den Wasserquellen, im Boden und im Getreidestaub. Außerdem befragten sie 4859 Bewohner*innen (62 Prozent der Gesamtbevölkerung von Monte Maíz) nach ihren Krebserkrankungen und verglichen diese mit den nationalen Krebsraten. Die Ergebnisse veröffentlichten sie 2018 im »International Journal of Clinical Medicine«: 100 Prozent der Bodenproben enthielten Spuren von Glyphosat, darunter waren Proben von Kinderspielplätzen. Die Krebsrate in dem Dorf war dreimal so hoch ist wie im nationalen Durchschnitt.
In einer weiteren aktuellen Studie befragten Wissenschaftler*innen der Universidad Nacional de Rosario 27 644 Personen in acht Dörfern in der Provinz Santa Fe, in der ebenfalls Soja angebaut wird. Sie kamen zu dem Ergebnis, das die Bewohner*innen in ländlichen Regionen, die Pestiziden ausgesetzt sind, stärker von Krebs als Krankheit und als Todesursache betroffen sind.
Bayer streitet Schädlichkeit ab
Bayer streitet ab, dass Glyphosat der Gesundheit schadet. Bayer-Sprecher Utz Klages zweifelt an der Seriosität der Untersuchung von Ávila Vázquez und seinen Kolleg*innen: »Es handelt sich hierbei nicht um eine nach internationalen Standards durchgeführte wissenschaftliche Studie.« Es fehle an Informationen zu spezifischen Krebsarten, um andere Risikofaktoren zu überprüfen. »Uns liegen keine wissenschaftlichen Beweise für eine von Glyphosat betroffene argentinische Gemeinde vor«, so der Sprecher.
Die Debatte über die Gesundheitsschädlichkeit von Glyphosat wird seit Jahren kontrovers geführt. Und sie nimmt derzeit neue Fahrt auf. Die Ampel-Koalition will Glyphosat in Deutschland ab Anfang 2024 komplett verbieten. So ist es im Koalitionsvertrag vereinbart. Aber solange der Wirkstoff in der EU genehmigt ist, kann die Bundesregierung den Einsatz nicht komplett verhindern. Derzeit läuft das Überprüfungsverfahren zur Erneuerung der Genehmigung auf EU-Ebene, die am 15. Dezember 2023 ausläuft.
Die Krebsforschungsagentur der Weltgesundheitsorganisation (IARC) stufte Glyphosat 2015 in einem Bericht als »wahrscheinlich krebserregend« für den Menschen ein. Die Grundlage: Über 200 Studien, die bei Experimenten mit Mäusen einen Zusammenhang zwischen Glyphosat und Lymphdrüsenkrebs nachwiesen. Glyphosat habe demnach eine genotoxische Wirkung, schädige also das Erbgut.
Monsanto gab anschließend zahlreiche Studien in Auftrag, um die Unbedenklichkeit seines Pestizidwirkstoffs nachzuweisen. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) akzeptierte 45 dieser Studien als vollwertige und sechs weitere als ergänzende Beweise. Die Behörde sprach sich im November 2015 für eine Wiederzulassung von Glyphosat aus – im Widerspruch zur IARC. Auch das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) sah die meisten Studien als zuverlässige Grundlage an, um Glyphosat als ungefährlich zu bewerten. Die Studien wurden jahrelang mit dem Verweis auf Geschäftsgeheimnisse der Industrie geheim gehalten.
Vorwurf »Copy-and-paste-Verfahren«
2017 veröffentlichte der österreichische Wissenschaftler Siegfried Knasmüller vom Institut für Krebsforschung der Medizinischen Universität Wien eine Analyse, die nur zwei der 53 von der Industrie vorgelegten Studien über die Unbedenklichkeit von Glyphosat als »zuverlässig« bewertet. Der Biochemiker Helmut Burtscher-Schaden, Autor des Buchs »Die Akte Glyphosat«, wirft dem BfR in einer Studie vor, die Anträge von Monsanto im Copy-and-paste-Verfahren wortwörtlich übernommen zu haben.
In Argentinien wandten die Behörden ein ähnliches Verfahren an. 1996 unterschrieb der damalige Agrarminister Felipe Solá die Zulassung der gentechnisch veränderten Sojabohne Roundup Ready von Monsanto, die gegen das Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat resistent ist. Die Studie, auf die sich Solá dabei stützte, stammte von Monsanto selbst. Der Anbau der Sojabohne sei »für Gesundheit und Umwelt unbedenklich«.
In den kommenden Jahren vervielfachte sich die Anbaufläche von Sojapflanzen in Argentinien. Heute sind etwa 17 Millionen Hektar mit Soja bepflanzt – das ist mehr als die gesamte Ackerfläche in Deutschland. Während die Äcker der EU weitgehend frei von gentechnisch veränderten Pflanzen sind, gehört Argentinien zu den Ländern der Welt, die am meisten Gen-Pflanzen anbauen. Globaler Marktführer bei gentechnisch verändertem Saatgut war lange Monsanto, bis der Leverkusener Bayer-Konzern das Unternehmen 2016 für mehr als 60 Milliarden Dollar übernahm. Den Namen Monsanto hat Bayer nach der Übernahme gestrichen – wohl auch, weil er keinen guten Ruf hatte.
Glyphosat-Weltmeister Argentinien
Argentinien ist heute das Land der Welt mit dem höchsten Glyphosat-Verbrauch pro Einwohner. Chemiekonzerne wie Bayer machen Milliardengewinne mit dem Verkauf giftiger Pestizide in Südamerika, nicht nur mit Glyphosat. Ein Viertel der aus Deutschland exportierten Wirkstoffe stuft das Pestizid-Aktionsnetzwerk als »hochgefährlich« ein, mehrere davon sind in Europa nicht zugelassen. »Die Industrie hat einen starken Einfluss auf die Regierungen. Sie überzeugt die Politiker, daran zu zweifeln, dass die Agrargifte die Gesundheit gefährden«, sagt Ávila Vázquez.
Auch der Ehemann von María Godoy starb an Krebs. Sie ist eine der Madres de Ituzaingó. Gemeinsam mit Sofía Gatica reiste sie durch die Welt, um auf die Gefahren von Glyphosat aufmerksam zu machen. Die 74-Jährige wohnt heute etwa 100 Kilometer südwestlich von der Stadt Córdoba in dem 500-Einwohner-Dorf Villa Amancay. Sie wollte weit weg von den Sojafeldern.
Das Departamento Calamuchita gilt wegen der Sierra, den Wäldern und Seen als touristische Region. Aber auch hier wird immer mehr Soja angepflanzt. Der Waldschutzorganisation MonTeS de Córdoba zufolge hat die Provinz 95 Prozent ihres Naturwaldes verloren. »Es gibt immer wieder Waldbrände und kurz danach sieht man ein neues Sojafeld«, sagt Godoy.
Pestizideinsatz gesetzlich ungeregelt
Sie wohnt in der Nähe des Río Tercero, des zweitgrößten Stausees der Provinz. Er versorgt die Bevölkerung mit Trinkwasser, und viele Menschen fischen in dem See. Wenige Meter entfernt befindet sich ein Sojafeld. Forscherinnen der Universidad Nacional de Córdoba haben mit Quecksilber und Arsen verseuchte Fische in dem Stausee gefunden. Es ist möglich, dass die Schwermetalle durch die Pestizide der Sojaplantagen in den Stausee gelangt sind. Nachgewiesen ist das jedoch nicht.
»Es gibt eine Verordnung, die verbietet, Pestizide in unmittelbarer Nähe von Gewässern zu sprühen, aber viele machen es trotzdem«, sagt Godoy. Die erste Verordnung, um den Einsatz von Pestiziden in Argentinien zu regulieren, haben die Madres de Ituzaingó erkämpft. 2003 erließ die Stadtverwaltung eine Verordnung in Córdoba, die den Einsatz von Pestiziden innerhalb von 2500 Metern in der Nähe von Wohnhäusern des Viertels Ituzaingó verbietet. Bisher gibt es aber kein landesweites Gesetz in Argentinien, das den Einsatz von Pestiziden reguliert. Und nicht alle Sojafarmer*innen halten sich an die lokalen Verordnungen. Sie verdienen so viel Geld mit der Sojaproduktion, dass sie ein Bußgeld hinnehmen.
Verantwortliche erstmals bestraft
Das Urteil von 2012 sorgte für einen Präzedenzfall: Es sprach einen Sojaproduzenten und den Piloten eines Sprühflugzeugs schuldig, weil sie »Gesundheitsschäden der Einwohner von Ituzaingó billigend in Kauf genommen« hatten. Noch nie hatte ein Gericht in Argentinien die gesundheitlichen Schäden von Pestiziden anerkannt. Die beiden Männer mussten zur Strafe Gemeindearbeit leisten.
Im selben Jahr kündigte die ehemalige Präsidentin Argentiniens Cristina Fernández Kirchner dann also an, dass Monsanto eine Saatgutfabrik in Malvinas in der Provinz Córdoba bauen würde. Das Projekt sollte 400 Arbeitsplätze schaffen. Gatica und Godoy waren alarmiert.
Sie schlossen sich mit den Bewohnern der Stadt Malvinas zusammen, die die »Asamblea Malvinas Lucha Por la Vida« (Versammlung Malvinas kämpft für das Leben) gegründet hatten. Gemeinsam besetzten sie das Grundstück, auf dem die Fabrik gebaut werden sollte. Sie versperrten die Zufahrtsstraße und legten sich vor die Lkw mit Baumaterial, um das Projekt zu stoppen. Vier Jahre lang zelteten sie in dem Protestcamp.
Menschen in ganz Argentinien organisierten Proteste gegen Monsanto und unterstützen das Camp. »Es entstand eine landesweite Bewegung«, sagt Gatica. »Fuera Monsanto« (Monsanto raus!) war die Parole. Die Polizei verprügelte Gatica mehrfach bei Versuchen, das Gelände zu räumen. Im Bus hielt ihr ein Mann eine Pistole an die Schläfe. Sie solle das Camp räumen, wenn sie am Leben bleiben wolle, sagte er. Das war nicht die einzige Morddrohung, die sie erreichte. »Es war wie ein Krieg«, sagt die 55-Jährige heute. »Eine Schlacht haben wir gewonnen.« 2016 brach Monsanto den Bau der Fabrik in Malvinas ab.
Vier globale Marktführer
Aber der Bayerkonzern unterhält weiterhin sechs Fabriken in Argentinien, darunter eine für die Produktion von gentechnisch verändertem Maissaatgut und eine für die von Herbiziden. Und das Geschäft des gentechnisch veränderten Getreides hat durch den Krieg in der Ukraine und die Klimakrise neue Fahrt aufgenommen. Mit der Zulassung des gentechnisch veränderten Weizens könnte es zu neuen Gesundheitsproblemen kommen.
Der HB4-Weizen ist nicht nur gegen Dürre resistent, sondern auch gegen Glufosinat-Ammonium, das die Bayer AG entwickelte und lange unter dem Namen Liberty vertrieb. Im Rahmen der Monsanto-Übernahme verkaufte Bayer das Herbizid an BASF. Das Bundeslandwirtschaftsministerium stufte Glufosinat-Ammonium als »reproduktionstoxisch« ein. In der EU ist der Verkauf wegen fehlender Sicherheit nicht mehr erlaubt, in Lateinamerika hingegen schon.
»Argentinien ist ein Experimentierfeld transnationaler Konzerne«, sagt Marcos Filardi. Er ist Menschenrechtsanwalt und Mitglied des Lehrstuhls für Ernährungssouveränität der Universität von Buenos Aires. Vier Konzerne kontrollieren den globalen Pestizidmarkt, zwei davon kommen aus Deutschland: Bayer und BASF.
Sie nutzten den Ukraine-Krieg, um ihr Geschäft mit der Gentechnik voranzutreiben, sagt Filardi. »Eines der Versprechen der Gentechnologie war, dass sie den Hunger besiegen würde. Aber der Hunger hat sogar noch zugenommen«, sagt Filardi. Der Weltgesundheitsorganisation zufolge leiden mehr als ein Drittel der Menschen in Argentinien unter Ernährungsunsicherheit. Anstatt Nahrungsmittel für die eigene Bevölkerung anzubauen, produziere das Land für den Export, kritisiert Filardi. Das gefährde die Lebensmittelsouveränität.
Konzernmacht höhlt Demokratie aus
Die Agrarindustrie wolle gar nicht Lebensmittel produzieren, »sondern Commodities, also Profit, erzeugen«, sagt Filardi. Die Verantwortung liege deshalb nicht nur bei den Konsumenten, sondern bei den Konzernen, Banken und Investmentfonds. BlackRock etwa ist ein großer Aktionär bei Bayer und gleichzeitig Gläubiger des hoch verschuldeten argentinischen Staates.
»Die Konzernmacht höhlt die Demokratie aus. Die Staaten sind nicht mehr in der Lage, die Menschenrechte zu schützen, weil sie von Konzerninteressen durchtränkt sind«, sagt Filardi. Der argentinische Staat erzielt jährlich rund neun Milliarden US-Dollar an Exportsteuern durch die Sojabohne. Deshalb habe sich noch keine Regierung ernsthaft mit den Gesundheitsproblemen befasst.
Sofía Gatica und María Godoy wollen nicht aufgeben. »Argentinien exportiert Soja, um die Hühner, Schweine und Rinder in Europa zu füttern. Und wir müssen den Preis dafür bezahlen«, sagt Godoy. Es sei »eine Fortsetzung der Kolonisation«. Gatica will sich erst zufriedengeben, »wenn die gentechnisch veränderten Pflanzen aus Argentinien verschwinden«.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.