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Eine NGO kämpft gegen die multiresistente Tuberkulose
Ärzte ohne Grenzen hat erstmals in Eigenregie eine klinische Medikamentenstudie durchgeführt
Es war eine mittlere Sensation, als Ärzte ohne Grenzen (MSF) bei der 52. Weltkonferenz der Union über Lungengesundheit im Herbst 2021 auf einem Symposium von einem Durchbruch bei der Behandlung von multiarzneimittelresistenter Tuberkulose (MDR-TB) berichtete. Nachdem sich über Jahrzehnte in dem Bereich wenig getan hatte, sprach die Nichtregierungsorganisation vom »Beginn eines neuen Kapitels für Menschen, die derzeit mit langwierigen und unwirksamen Behandlungsschemata konfrontiert sind«.
Eigentlich leistet Ärzte ohne Grenzen medizinische Nothilfe in den Krisen- und Kriegsgebieten dieser Welt. Doch nun hat MSF erstmals seit der Gründung in Frankreich 1971 in Eigenregie eine klinische Medikamentenstudie durchgeführt. Dass eine spendenfinanzierte NGO die Arbeit der Pharmaindustrie übernimmt, weist auf deren Desinteresse an Krankheiten hin, die vor allem arme Länder beuteln.
Dazu gehört Tuberkulose. Sie ist seit Jahrzehnten die Infektionskrankheit mit den höchsten Todeszahlen weltweit, zuletzt starben jährlich 1,5 Millionen Menschen an den Folgen, 98 Prozent davon in Entwicklungs- und Schwellenländern. 6,5 Millionen akute Erkrankungen an einer »offenen TB« werden aktuell geschätzt. Der einzig verfügbare Impfstoff ist veraltet. Die Behandlung erfolgt seit Jahrzehnten mit den immer gleichen Antibiotika. Aus diesem Grund bildeten sich Arzneimittelresistenzen, derer nur schwer Herr zu werden ist. Die MDR-TB, die gegen zwei Standardantibiotika resistent ist, wird mit einem Medikamentencocktail von bis zu 14 000 Tabletten pro Person behandelt. Das ist für die Betroffenen zermürbend und eine wahre Tortur. Die Behandlung erstreckt sich über 20 Monate, muss zum Teil im Krankenhaus unter ärztlicher Aufsicht stattfinden, da mehrere Monate lang auch schmerzhafte Spritzen verabreicht werden. Die Nebenwirkungen sind gravierend, nicht selten kommt es zu Gehörverlust, psychischen oder Nierenfunktionsstörungen. Und die Erfolgsquote der Behandlung ist nicht besonders hoch.
Als wichtigste private Organisation bei TB-Behandlungen kennt Ärzte ohne Grenzen diese Probleme aus ihrer unmittelbaren Arbeit. Jährlich begleiteten MSF-Mediziner zuletzt rund 17 000 Therapien, darunter gut 2000 gegen MDR-TB. Bern-Thomas Nyang’wa, Arzt aus dem südostafrikanischen Malawi, hat in jahrelanger Arbeit in Krankenhäusern gelernt, dass Behandlungen nicht nur von Turberkulose genau dort fehlen, wo sie am dringendsten gebraucht werden. Und dass man Probleme irgendwie lösen muss, auch mit ungewöhnlichen Maßnahmen. Und so sorgte vor allem Nyang’wa, der erste ärztliche Direktor mit schwarzafrikanischen Wurzeln bei MSF überhaupt, mit seiner Beharrlichkeit dafür, dass die NGO die aufwendige klinische Studie durchführte.
Ermöglicht wurde dies durch die Entwicklung mehrerer neuer Medikamente, mitfinanzert durch die privat-staatliche TB Alliance, Anfang der 2010er Jahre, darunter mit dem Präparat Bedaquilin, erstmals seit 40 Jahren eines mit komplett neuem Wirkmechanismus. Dies war zunächst nicht mehr als ein Hoffnungsschimmer, da im globalen Süden das Medikament kaum verfügbar war und es keine klaren Vorgaben für den Einsatz gab. MSF startete im Jahr 2017 TB-Practecal, um zu ermitteln, wie das beste Behandlungsschema aussehen könnte. In der randomisierten und streng kontrollierten klinischen Studie wurden drei Kombinationen getestet, wobei sich das Schema mit Bedaquilin, Pretomanid, Linezolid und Moxifloxacin als »am wirksamsten und sichersten« erwies. In der entscheidenden Phase II/III nahmen 552 Patienten mit MDR-TB an sieben Standorten in Belarus, Südafrika und Usbekistan teil. Ergebnis: 89 Prozent konnten geheilt werden – gegenüber 52 Prozent mit der bisherigen Behandlung. Außerdem hat die rein orale Therapie mit nur noch drei bis fünf Pillen pro Tag auch deutlich weniger Nebenwirkungen und dauert lediglich sechs Monate. Die Ergebnisse wurden zeitnah mit der Weltgesundheitsorganisation (WHO) geteilt und in einer Studie zusammengefasst, die nach unabhängiger Expertenprüfung Ende Dezember 2022 im »New England Journal of Medicine« veröffentlicht wurde. Die WHO hat das Behandlungsschema mittlerweile als Leitlinie formuliert. Solche Empfehlungen für die ärztliche Praxis werden insbesondere in Ländern des globalen Südens mit rudimentären Prüfstrukturen umgesetzt. Wie es heißt, sollen 13 Länder im Laufe dieses Jahres das Behandlungsschema einführen.
Natürlich weiß der mittlerweile mit Wissenschaftspreisen ausgezeichnete MSF-Mediziner Nyang’wa, dass nur eine weitere Hürde genommen ist. »Jedes Jahr erkranken fast eine halbe Million Menschen an MDR-TB, aber ich glaube, im Moment erhalten nicht einmal tausend die neue Behandlung«, sagt er. Wenn es Covid wäre, wäre »eine solch dramatische Änderung der Behandlung über Nacht eingeführt worden«. Es fehlt aus seiner Sicht an politischem Willen und an Investitionen.
Ärzte ohne Grenzen fordert, den Preis für die sechsmonatige Behandlung von aktuell rund 600 auf maximal 500 Dollar zu senken. Dies richtet sich vor allem an den Pharmaherstellers Janssen. Immerhin hat die europäische Tochter des US-Konzerns Johnson & Johnson für die Entwicklung von Bedaquilin erhebliche Gelder öffentlicher und gemeinnütziger Stellen eingestrichen. Bei diesem Präparat kostet die Behandlung in armen Ländern derzeit 270 Dollar, dabei wären laut Experten auch 102 Dollar noch gewinnbringend. Nyang’was Forderung ist klar: »Jetzt ist es wichtig, dass die neue Behandlung jedem zugänglich gemacht wird, der sie benötigt.«
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