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Fronleichnam: Traumhaftes Fest
Problemfall Fronleichnam: Die Erfindung eines Feiertags
Und dann sah ich im Traum einen Vollmond und dem fehlte ein Stück!» – «Dem fehlte ein Stück?» Der Beichtvater ist irritiert. Die adlige Augustinernonne Juliana von Cornillon, sein «Beichtkind», ist sich hingegen ihrer Sache ganz sicher: «Ja, ein Stück des Mondes war abgebrochen und ich träumte, dass unser Herr im Himmel Jesus Christus mir das so erklärte: Dem Kirchenjahr fehlt ein Fest …» – «Ein Fest? Was denn für ein Fest?» – «Ein Fest, an dem die Einsetzung des Altarsakraments in feierlicher Form begangen wird.»
»Als das Allerheiligste, auch Allerheiligstes Sakrament beziehungsweise Altarsakrament, bezeichnet man in der römisch-katholischen Kirche die in der heiligen Messe konsekrierten (liturgisch geweihten) Gaben von Brot und Wein, in denen Christus nach kirchlicher Lehre wahrhaft und dauerhaft gegenwärtig ist.«
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Wir befinden uns am Anfang des 13. Jahrhunderts in Lüttich, der Beichtvater ist der Bischof Robert von Lüttich, zugleich Reichsfürst. Der Traum der adligen Nonne begeistert ihn. Von ihrer religiösen Poesie bezaubert, ordnet er das von ihr geforderte Fest für seine Diözese sofort an, erstmalig 1247 in der Basilika St. Martin in Lüttich zu feiern. Sein früherer Stellvertreter, der Erzdiakon Jakob, inzwischen zum Papst Urban IV. gewählt, tut es ihm nach und macht das Fest 1264 für den zweiten Donnerstag nach Pfingsten zum Fest der Gesamtkirche – mit achttägiger Feier zur Verehrung der Heiligen Messe.
Dass das neue Fest Fronleichnam (von mittelhochdeutsch «vrönlicham» für «Leib des Herrn») sehr schnell populär wurde und ab 1315 in ganz Europa gefeiert wurde, hing offensichtlich mit der Entscheidung zusammen, die Heilige Messe als liturgischen Festmittelpunkt um eine Prozession zu bereichern. Sie sollte ebenso erfolgreich sein wie die Reliquienprozessionen, bei der Gebeine wundertätiger Heiliger herumgetragen und zur Schau gestellt wurden.
Das kleine geschlossene Gefäß, in dem nun das Allerheiligste herumgetragen wurde, hatte freilich wenig Spektakuläres an sich. Also umgab man das Altarsakrament mit einer geschmückten Monstranz, um den Gläubigen, gewöhnt an die Reliquienprozessionen, etwas zum Anschauen zu geben. Sie wurde vom Priester vorweggetragen. Ihm folgte unter Gebeten und Gesängen die Prozession, die zunächst über die Felder ging, um Gewitterdämonen abzuhalten, danach durch die Straßen der Stadt. Die Monstranz geriet im Laufe der Zeit immer prächtiger und größer und wurde ab dem 17. Jahrhundert als von Strahlen umkränzte Sonnenmonstranz zum eigentlichen Zentrum der Verehrung. Ein vom orientalischen Hofzeremoniell abgeschauter Tragehimmel überdachte sie. Ursprünglich gedacht als Schutz gegen Regen und Gewitter, wurde dieser immer mehr zum Symbol von Macht und Herrschaft. Nah an dem Tragehimmel befindliche Plätze bei der Prozession blieben den jeweils Ranghöchsten vorbehalten.
Dann erschien Luther auf der Szene. Um seine Haltung gegenüber dem Fest zu verstehen, sei daran erinnert, dass die Zentralidee der katholischen Theologie die Kirche ist, für Luther hingegen der persönliche Glaube des einzelnen Christen, gegründet auf die Heilige Schrift und die Verkündigung. Da es für Fronleichnam keinerlei biblische Begründung gibt, bekämpfte er es als das «allerschädlichste» Fest: «An keinem Fest wird Gott und sein Christus mehr gelästert, denn an diesem Tage und sonderlich mit der Prozession.»
Im Zuge der Reformation wurde Fronleichnam in einigen Ländern, darunter in Deutschland, abgeschafft. In der katholischen Volksfrömmigkeit hingegen wuchs es sich zu einem populären religiösen Volksfest aus, das immer extrovertierter und bombastischer begangen wurde. Um diesen Imagegewinn politisch zu nutzen, schrieb das Konzil von Trient (1545–1563) der Prozession die antireformatorische Funktion zu, den Protestanten zu zeigen, wie großartig der Katholizismus sei: «So mußte denn die siegreiche Wahrheit über Lüge und Häresie triumphieren, damit ihre Widersacher beim Anblick eines so großen Glanzes und in solchem Jubel der ganzen Kirche niedergestreckt, entweder gelähmt und gebrochen vergehen oder mit Scham erfüllt und verwirrt endlich zur Besinnung gelangen.»
Im 17. und 18. Jahrhundert eskalierte der Aufwand für die Prozessionen, die vor allem in den Städten zu großen von den Zünften ausgestatteten Schauprozessionen geworden waren, in denen am Prozessionsweg, so zum Beispiel in Erfurt, Fensterplätze an auswärtige Zuschauer vermietet wurden, was nicht selten in Trinkgelagen und wüsten Gesängen endete. Im Preußen des 19. Jahrhunderts waren es wieder ganz andere Anlässe, sich als Katholiken im Kulturkampf gegen die herrschende Politik massiv an Fronleichnamsprozessionen zu beteiligen. In der Zeit des Nationalsozialismus wurde die Teilnahme an der Prozession von Katholiken als Demonstration ihres Glaubens gegenüber der nationalsozialistischen Ideologie verstanden.
In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verschwanden der triumphalistische Auftritt und die antikonfessionelle Polemik zugunsten ökumenischer Annäherung und wachsender Zusammenarbeit der beiden Konfessionen. Durch das Zweite Vatikanische Konzil (1962–1965) bekamen die Heilige Messe und der Empfang der Kommunion zentrale Bedeutung, hinter der die Prozession zurücktrat.
Was sich freilich durch all diese Wandlungen hindurch beharrlich als unverwechselbar hielt und hält, sind einige Touristenattraktionen in ihrer jeweils typischen Mixtur von Religion und Tradition: So ziehen die Schiffsprozession auf dem Rhein in Köln-Mülheim oder die Seeprozession von Seehausen mit Booten über den Staffelsee zur Insel Wörth sowie prunkvolle Trachtenprozessionen in ehemaligen kurmainzischen Enklaven in Hessen, wie zum Beispiel in Amöneburg-Mardorf, Tausende von Zuschauern an.
Allgemein schließt sich heute an die Prozession, sofern sie überhaupt noch zustande kommt, in einer immer größeren Zahl von Gemeinden ein gemeinsamer Mittagstisch, ein Umtrunk oder ein Gemeindefest an. Das Interesse an Liturgie hat nachgelassen. Was engagierte Katholiken heute umtreibt, sind die innerkirchlichen Auseinandersetzungen um die bischöfliche Verantwortung für Missbrauchsfälle und die Erfahrung, dass die Bremser einer Kirchenerneuerung von unten auch unter deutschen Bischöfen und vor allem im Vatikan zu finden sind.
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