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Auf Sichtbarkeit kommt es an
Kerze, Schirm und abgeschnittenes Haar – Die Bundesstiftung Aufarbeitung diskutierte Symbole des Protestes und Widerstandes
Es wäre sehr verwunderlich gewesen, wenn sich die Bundesstiftung Aufarbeitung der SED-Diktatur den bevorstehenden 70. Jahrestag des 17. Juni 1953 hätte entgehen lassen. Nein, sie bietet einen regelrechten Veranstaltungsmarathon, eröffnet mit einer Tagung, die indes – wie auch die folgende, sich über das Jahr erstreckende Diskussionsreihe – bemerkenswerterweise nicht nur auf dieses eine Datum und die DDR fokussiert, sondern einen globalen Blick in die Geschichte und auf die Gegenwart wirft. Den Auftakt machte am Dienstagabend eine Podiumsdebatte in den Räumen der Stiftung in Berlin zu Symbolen des Protestes und des Widerstands: »Kerze, Schirm und abgeschnittenes Haar«.
Die aus Unmut gegen die drastischen Normerhöhungen vor 70 Jahren auf die Straße gehenden Arbeiter und Arbeiterinnen der Volkseigenen Betriebe hatten kein eigenes Symbol. Von den dramatischen »fünf Tagen im Juni« – wie Stefan Heym seinen Roman titelte, der erstmals 1974 in der Bundesrepublik und erst 1989 in der DDR erschien – sind lediglich ikonografische Fotos überliefert. Das am häufigsten zitierte, sicher auch in den kommenden Tagen mehrfach in den Medien zu sehende, zeigt zwei junge Männer, die mit Pflastersteinen auf einen sowjetischen Panzer zielen. Solche Motive sind eindringlicher als zeitgenössische Aufnahmen etwa von in der Berliner Stalinallee oder in Eisenhüttenstadt mit Vertretern der Partei- und Staatsmacht über die unter dem Label »Aufbau des Sozialismus« administrativ verordneten Zumutungen diskutierenden Bauarbeitern und Stahlwerkern.
Der Erfolg von Protestbewegungen verdanke sich vielfach vor allem wirkmächtigen Symbolen, waren sich die Disputanten bei der Bundesstiftung einig. Deren stellvertretender Direktor Robert Grünbaum erinnerte an die Lichterketten der »Friedlichen Revolution«. Kerzen seien ein starkes Symbol der Friedfertigkeit. Von Menschen, die Kerzen tragen, könne keine Gefahr ausgehen. »Denn die eine Hand trägt das Licht, die andere schützt dieses vor einem Windstoß.« Für den Politikwissenschaftler, der mit dem neuen Millenium von Bayreuth nach Berlin wechselte, ist es nicht verwunderlich, dass ein urchristliches Symbol die Montagsdemonstranten in der ziemlich atheistischen DDR begleitete. Es waren die Kirchen, die der Opposition ihre Pforten öffneten, um in einem relativ geschützten Raum ihre Forderungen artikulieren zu können.
Martin Mäntele, Leiter des Archivs der ehemaligen Hochschule für Gestaltung Ulm, erinnerte an den Grafikdesigner Otto »Ottl« Aicher, der mit Inge Scholl, Schwester von Hans und Sophie, verheiratet war und unter anderem die berühmten Piktogramme für die Olympischen Spiele in München 1972 entworfen, vor allem aber gestalterisch die westdeutsche Friedensbewegung unterstützt hat. Allerdings missbilligte er, dass das berühmte, 1958 vom britischen Künstler Gerald Holtom für die Kampagne zur nuklearen Abrüstung gestaltete und ebenfalls bei den Ostermärschen stets präsente Peace-Zeichen von den rebellierenden, »Ho-Ho-Ho-Chi-Minh« jubelnden Achtundsechzigern »gekapert« worden sei. Was immer Aicher für ein Problem damals hatte, Symbole können sich nicht gegen Aneignung wehren, auch deren Erfinder nicht, erst recht nicht, wenn sie sich diese nicht als Marke schützen lassen. Was Holtom bewusst nicht bei seinem, nebst Picassos Friedenstaube berühmtestem Friedenslogo tat – damit es alle Menschen rund um den Globus aufgreifen können. Er hatte sich übrigens aus der Flaggensprache der Marine bedient. Nach unten gestreckte Armen können als Hilflosigkeit angesichts eines waffenstarrenden Erdenrunds – symbolisiert durch den Kreis um das stilisierte Männlein – wie auch als Friedfertigkeit gewertet werden.
Als emanzipatorische Umwertung eines Symbols wurde auf der Veranstaltung der Rosa Winkel genannt, den die Nazis in den Konzentrationslagern Homosexuellen anhefteten. Aus dem Stigma wurde ein Erkennungszeichen der Schwulenbewegung. Dorna Safaian, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, wertete dieses als ein stark emotional gefärbtes Erkennungszeichen, das anschlussfähig war für andere soziale oder politische Bewegungen und das Menschen aus ganz anderen kulturellen Kontexten mobilisieren konnte. Protestkollektive seien zumeist keine homogenen Einheiten, sondern selbst stetigem Wandel unterzogen. »Symbole sind diskursiv und haben tatsächliche Handlungsmacht.« Sie seien wichtig, um in der Öffentlichkeit, vor allem in den Medien, Aufmerksamkeit zu erregen.
Als 2014 in Hongkong Tausende Menschen mit Regenschirmen für mehr Demokratie auf die Straße gingen, berichtete die Presse euphorisch von der »Regenschirm-Revolution«. Auch die 2020 mit erhobenem »Drei-Finger-Gruß« in Thailand für Rede- und Meinungsfreiheit demonstrierenden jungen Leute, vor allem Schüler und Studenten, lieferten rund um den Globus eindrucksvolle Bilder. Jüngstes Beispiel eines wirkmächtigen Protestsymbols ist das abgeschnittene Haar der Frauen im Iran wider ihre Unterdrückung und Entrechtung: »Frauen Leben Freiheit«. Nach dem gewaltsamen Tod von Mahsa Amini im September 2022 schnitten sich Frauen weltweit die Haare ab als Zeichen der Solidarität.
Wie die Kerze ist aber auch das abgeschnittene Haar eine uralte Tradition – um Trauer über den Tod eines geliebten oder geschätzten Menschen zu bezeugen. »Und zugleich das gelebte Leben des Anderen anzuerkennen«, erläutert Dorna Safaian. »Denn nicht jedem im Iran wird das Recht zugestanden, betrauert zu werden.« Die Politik verbiete die Trauer um Oppositionelle. Leichen würden nicht an Angehörige ausgehändigt, dürften nicht bestattet werden; regelmäßig werden Gräber von Regimegegnern zerstört.
Daniela Sepehri, Social-Media-Beraterin und Aktivistin, bekundete Enttäuschung, mehr noch Empörung, dass inzwischen das Interesse westlicher Medien an der »Revolution« in Iran nachgelassen hat und gar fälschlich behauptet wird, die Proteste würden verebben: »Es macht mich wütend.« Im Gegenteil, mutig gehen Frauen weiterhin ohne Hijab auf die Straße, Männer schließen sich ihnen an, indem sie kurze Hosen tragen. Ein Sakrileg in den Augen der »Sittenwächter«, gilt im orthodoxen Islam doch auch für Männer eine strenge Kleiderordnung. Dagegen zu verstoßen, ist ein Wagnis, das mit dem Tode bestraft werden kann. Alle fünf Stunden findet im Iran eine Hinrichtung statt. Angeblich wegen Drogendelikten, jedoch sind dies politische Morde. »Massaker« nennt Daniela Sepehri die Hinrichtungswelle. Beschämend für die deutsche Presse ihre Beobachtung, dass nur noch in jenen wenigen Redaktionen, für die iranischstämmige Journalistinnen und Journalisten arbeiten, der Widerstand der Opposition nicht vergessen ist. Daniela Sepehri konstatiert und klagt an: »Wenn es dieses Symbol der abgeschnittenen Haare nicht gegeben hätte, wären wir nicht wahrgenommen worden.«
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