Bartsch auf Distanz zu Wagenknecht-Projekt

Der Fraktionschef ist gegen eine konkurrierende neue Partei und will seinen Laden zusammenhalten

Am Dienstag hat Dietmar Bartsch Klartext gesprochen – zumindest ein wenig. Bei einem Pressestatement vor Beginn der wöchentlichen Sitzung der Linksfraktion im Bundestag ging er, ohne dass er danach gefragt werde musste, auf die Auseinandersetzungen um Sahra Wagenknecht ein. Wagenknecht, Mitglied der Fraktion und vor Jahren neben Bartsch auch deren Ko-Vorsitzende, war am Wochenende vom Linke-Vorstand aufgefordert worden, ihr Mandat niederzulegen, weil sie trotz mehrfacher Aufforderung nicht erklärt hatte, die Vorbereitungen zur Gründung einer neuen Partei einzustellen. Zuletzt hatte es offenbar Ende Mai ein Treffen der beiden Parteivorsitzenden Janine Wissler und Martin Schirdewan und der Fraktionschefs Amira Mohamed Ali und Dietmar Bartsch mit Sahra Wagenknecht gegeben. Dass dort ein Ultimatum an Wagenknecht und ihre Unterstützer gestellt wurde, bestritt Bartsch zunächst vehement.

Nun aber, nachdem die Linke-Führung unmissverständlich formuliert hatte, die Zukunft der Partei sei eine ohne Wagenknecht, nannte Bartsch den Vorstandsbeschluss in der Fraktionssitzung, bei der Wagenknecht fehlte, laut nd-Informationen eine »notwendige Entscheidung« und verteidigte ihn gegen Kritiker. In einem Pressestatement vor der Sitzung, die bei Redaktionsschluss nicht beendet war, sagte Bartsch, es sei »inakzeptabel und unangemessen, wenn versucht wird, eine neue Partei zu gründen und dazu Mandatsträger der Linkspartei kontaktiert würden«. Er unterstützte nicht den laut gewordenen Ruf nach Rücktritt der gesamten Parteispitze und stellte sich auf Nachfrage ausdrücklich nicht auf die Seite der Vorstandskritiker. Ein Blick etwa nach Spanien und Italien zeige, wohin die Zersplitterung der Linken führe – in die Bedeutungslosigkeit. Man werde in der Fraktion alles dafür tun, »dass genau das nicht geschieht«.

Dass das gelingt, darf stark bezweifelt werden. Denn die Dinge nehmen ihren Lauf. Am Tag, bevor der Linke-Vorstand sich scharf von Wagenknecht distanzierte, äußerte diese sich in einem Interview mit dem TV-Kanal der konservativen Zeitung »Die Welt« und bestätigte, sie sei »in einige dieser Diskussionen involviert«. Was ganz gewiss tiefgestapelt ist. Wohin die inhaltliche Reise mit ihr gehen würde, deutete sie auch an, indem sie davon sprach, dass die Bundesrepublik nicht mehr das sei, »was sie mal war«, und sich zu Ängsten äußerte, »dass Deutschland absteigt«.

Konkreter in Sachen Parteigründung wird da schon ein vehementer Wagenknecht-Unterstützer, der ehemalige Bundestagsabgeordnete Diether Dehm. Auf Twitter fragt er, ob Die Linke »die Millionen, in denen Parteiapparat und Partei-Stiftung schwimmen«, nicht an »Sahra Wagenknechts neue Initiative« zurückgeben sollten, weil alles nur ihrer Beliebtheit zu verdanken sei.

Wie weit die Vorbereitungen für eine Wagenknecht-Partei gediehen sind, war inzwischen von mehreren Vorstandsmitgliedern zu hören. Janis Ehling beispielsweise berichtet auf seinem Twitterkanal, dass in mehreren Bundesländern Mitglieder und Mandatsträger aus dem Umfeld von Sahra Wagenknecht angesprochen würden, »ob sie mitgehen mit der neuen Partei«. Die Anwerbeversuche reichen nach nd-Informationen bis zur kommunalen Ebene. Einige Abgeordnete, die an dem Projekt beteiligt seien, »haben ihre Wahlkreisbüros geschlossen und stecken das Geld in die eigene Tasche. Als Parteivorstand schauen wir dem nicht tatenlos zu«, so Ehling.

Kathrin Vogler, Bundestagsabgeordnete und seit Oktober 2022 Landesvorsitzende in Nordrhein-Westfalen, illustrierte das im Gespräch mit »nd« an einem Beispiel aus ihrem Landesverband. Sahra Wagenknecht habe ihr Düsseldorfer Büro im Herbst letzten Jahres, nach der Neuwahl des Landesvorstands, gekündigt und unterhalte nach eigenen Angaben ein weiteres Büro in Soest, das allerdings nach Angaben des Linke-Kreisvorstands nicht genutzt werde. In Voglers Augen ist der Vorwurf von Wagenknecht-Unterstützern, die Partei zu spalten, »die klassische Täter-Opfer-Umkehr«.

Inhaltlich liegen schon lange Welten zwischen vielen Positionen der Linkspartei und Wagenknechts. Thies Gleiss von der Strömung Antikapitalistische Linke, der allerdings auch am Parteivorstand kaum ein gutes Haar lässt, konstatierte: »Sahra Wagenknecht IST schon lange aus der Partei Die Linke ausgeschert.« Kein Vorstandsbeschluss könne den Bruch noch toppen, den Wagenknecht vollzogen habe. »Nicht die Zukunft, wie Janine Wissler und Martin Schirdewan es erklären, wird ohne Wagenknecht sein, die Gegenwart ist es schon lange.« Nicht zufällig werde sie vor allem von rechts bejubelt.

Ein Beispiel für die Differenzen lieferte dieser Tage die Debatte über die von der EU beschlossene Verschärfung des Asylsystems. Während die Linke-Führung von einem Frontalangriff auf das Asylrecht und der faktischen Abschaffung des Menschenrechts auf Asyl spricht, redete Wagenknecht fast zur gleichen Zeit über unkontrollierte Zuwanderung. Kein Wort dagegen zu den unsäglichen Flüchtlingslagern an den EU-Außengrenzen. Allerhöchstens Zweifel, ob die neuen Regeln praktikabel sind.

Man wisse ja überhaupt noch nicht, was das für eine neue Partei wäre, ob rechts oder links, merkte Bartsch am Dienstag süffisant an. Bis jetzt liege ihm jedenfalls noch keine Mitteilung über einen Mandatsverzicht vor. Sein Ziel ist es, Austritte zu vermeiden und »die Legislaturperiode als Fraktion zu beenden«. Das heißt: einen Laden noch zwei Jahre zusammenzuhalten, in dem sehr vieles nicht mehr zueinander passt.

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