- Kultur
- Comics
Gelesen - dabei gewesen
Neue Graphic Novels, annotiert: Über das Leben von René Goscinny und über das paranoide Leben beim Abwaschen
Genie mit Geldnot
René Goscinny war ein Genie. Was für eins, merkte man, als er 1977 mit 51 Jahren starb und es mit »Asterix« stark bergab ging, weil der Zeichner Albert Uderzo fortan die Geschichten erfinden musste, die bis dahin sein künstlerischer Partner ersonnen hatte. Eigentlich wollte Goscinny auch ein Zeichner sein. Geboren 1926, zeichnete er seine ganze Kindheit und Jugend über und veröffentlichte in den 50er Jahren auch eigene Comics. Doch die waren wirklich nicht so gut – zum Glück! Denn so hatte er genug Energie, sich die Geschichten, Dialoge und Szenen für Abenteuer auszudenken, die andere Künstler viel besser zeichnen konnten als er. Und er hatte sehr viel Energie – und sehr gute Partner: Neben »Asterix« machte er »Lucky Luke« mit Morris, »Isnogud« mit Jean Tabary und »Umpah-Pah« mit Uderzo. Er schuf die Geschichten vom »Kleinen Nick«, die Sempé illustrierte, und war Mitgründer und Chefredakteur des Jugendmagazins »Pilote«, das diese ganzen Comic-Serien, die heutzutage alle Klassiker sind, druckte – und auch Zeichnern wie Claire Bretécher, Reiser, Enki Bilal und Jacques Tardi zum Durchbruch verhalf. Bis zur Erfindung von »Asterix« und der Gründung von »Pilote« wurde Goscinnys Genie brutal ausgebeutet, er arbeitete bis zur völligen Erschöpfung und bekam fast kein Geld.
Das erfährt man in der Graphic Novel »Die Geschichte der Goscinnys«, die die Zeichnerin Catel angefertigt hat, auf Grundlage von autobiografischen Texten von Goscinny und von Gesprächen mit dessen Tochter Anne, die selbst eine erfolgreiche Romanautorin ist. Die Produktion dieser Graphic Novel ist in diesem Comic selbst Thema. Und auch die Kindheit von René Goscinny, der in Buenos Aires die französische Schule besuchte, als Nachfahre ukrainischer Juden, die 1905 aus Russland geflohen waren. Erfolg hatte er erst in Belgien und Frankreich. Dabei wollte er so gern in New York leben und für Walt Disney arbeiten, schaffte dort aber nie den Einstieg. Doch er lernte dort, dass sich die Künstler zusammentun müssen, um weniger ausgenutzt zu werden.
Catel: Die Geschichte der Goscinnys. Geburt eines Galliers. A. d. Franz. v. Uli Pröfrock. Carlsen, 334 S., geb. 28 €.
Wo bleibst du nur?
Stell dir vor, du fährst Auto und du streitest dich mit deinem Freund oder deiner Freundin und dann kommt ihr nach Hause und die Spüle ist voll mit Geschirr. Plötzlich ein Friedensangebot, um den Abend doch noch zu retten: Der eine macht den Abwasch und der andere holt noch einen Film aus der Videothek. Alles klar – doch der andere kommt nicht mehr zurück. Denkt zumindest der eine und schiebt Paranoia. Was da alles passieren kann – vor allem in einem selbst, wenn man sich die ganzen Tragödien, Katastrophen und Schicksalsschläge ausmalt: aus heiterem Abendhimmel überfallen werden, überfahren, verletzt, erschossen werden, ertrinken geht natürlich auch, rein theoretisch. Und wie war es überhaupt früher, stimmte da alles oder war da schon der verdammte Wurm drin? Oder ist alles in Wirklichkeit ganz anders und nicht der andere ist einen Film holen gegangen, sondern der eine, der sich das alles vorstellt? Davon handelt das 320-Seiten-Comic-Meisterwerk »Zwei bleiben« des US-amerikanischen Zeichners Jordan Crane. »Eine betörende, atemberaubende Meditation über Verlust, Abwesenheit und Verbundensein«, schrieb »Publishers Weekly« – stimmt wirklich!
Aber »einen Film holen«, ist das nicht total veraltet, jetzt, da es überall Streaming und so gut wie keine Videotheken mehr gibt? Das rührt daher, dass Jordan Crane über 20 Jahre an dieser Graphic Novel gearbeitet hat. Traum, Alptraum und Realität lässt er so tollkühn ineinander übergehen, dass man diesen dicken Band in einem Rutsch wegliest, als wäre das Leben genau der Film, auf den hier so sehnsüchtig gewartet wird.
Jordan Crane: Zwei bleiben. A.d. amerik. Engl. v. Conny Lösch. Suhrkamp, 320 S., geb., 24,50 €.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.