Kapitalistische Konflikte sind universell

Anny Nathaly Roa Pabón über lokale Strategien zur Konfliktbewältigung in Cali als Beispiel für Berlin

Keine Helme, keine Uniformen! Die Antimilitaristin Anny Nathaly Roa Pabón setzt sich für die Befriedung in der Stadt Cali ein.
Keine Helme, keine Uniformen! Die Antimilitaristin Anny Nathaly Roa Pabón setzt sich für die Befriedung in der Stadt Cali ein.

Sie arbeiten mit der Stiftung Cecucol in den marginalisierten Vierteln in Cali. In Bogotá gibt es seit August 2022 zum ersten Mal eine linke Zentralregierung. Hat das einen spürbaren Effekt auf ihre Arbeit in den Vierteln wie Comuna 18 und 54?

Interview

Anny Nathaly Roa Pabón stammt aus Cali, ist Feministin und Antimilitaristin und arbeitet seit mehr als 15 Jahren bei der Stiftung Cecucol in der kommunalen Basisarbeit zur Lösung lokaler Konflikte.

Die öffentlichen Maßnahmen, die von der nationalen Ebene kommen, werden weiter von der gleichen Bürokratie durchgeführt. Das trifft auch auf Cali und das Departamento Valle del Cauca zu, wo Cecucol angesiedelt ist. Die Reformprozesse, die in vielen Fällen eine Verbesserung der Lebensqualität garantieren können, werden auf legislativer Ebene debattiert oder in Verhandlungsprozessen zwischen den beteiligten Akteuren ausgehandelt. Diese Veränderungen brauchen Zeit. Ein sehr wichtiges positives Element in unserem Gebiet ist eine stärkere Politisierung. Die wurde durch mehrere wichtige politische Ereignisse in jüngster Zeit genährt. Da sind vor allem der soziale Aufstand im Jahr 2021 mit Cali und seiner Bevölkerung als nationalem Protagonisten des Widerstands und der Sieg des linken Duos Gustavo Petro und Francia Márquez bei den Präsidentschaftswahlen in Kolumbien zu nennen. Hinzu kommt, dass 2022 neue politische Akteure mit progressiver und linker Ausrichtung in den Kongress eingezogen sind.

Welches sind die Hauptkonflikte, die die Comuna 18 und 54 kennzeichnen?

Es gibt verschiedene Konflikte wie zum Beispiel die Stigmatisierung der Jugendlichen, die keine Kultur-, Freizeit-, Bildungs- und Arbeitsmöglichkeiten haben. Auch die abgelegene geografische Lage des Hügellands mit ihren beschränkten Verkehrsmöglichkeiten schafft Konflikte. Die mangelnde Verbindung zu den anderen Stadtgebieten führt zu einer Diskriminierung beim Recht auf Stadt, da sich Kinder und Jugendliche in ihrer großen Mehrheit nur in der Gemeinde bewegen, in der sie leben. Hinzu kommt das starke Problem der Belästigung und der sexuellen Gewalt gegen Mädchen und Frauen. Es ist zwar hauptsächlich ein Problem in der Stadt, hat aber auch in der Region stark zugenommen. Ein bedeutendes Problem ist die territoriale Kontrolle, die von organisierten kriminellen Banden ausgeübt wird, die den Verkauf des Kleinsthandels in der Gemeinde verwalten. Dazu gehört alles, was dieses illegale Geschäft mit sich bringt, einschließlich der Gewalt zwischen den Gruppen und dem leichten Zugang zu Schusswaffen, der eine Atmosphäre der Gewalt und des Konflikts in dem Gebiet erzeugt.

Welche Konfliktbewältigungsstrategien wendet Cecucol an?

Bei Cecucol sind wir der Meinung, dass die größte Stärke in der Organisation der Bevölkerung und der Gemeinschaft liegt. Damit wird der Zusammenhalt innerhalb der Gemeinschaft gefördert. Cecucol ist mit seinen verschiedenen Formen der Entscheidungsfindung und dem Aufbau der Macht der Bevölkerung als Akteur des Dialogs und der Vertretung der Gemeinschaft anerkannt. Das gilt sowohl auf lokaler als auch auf städtischer Ebene. Mittels generationsübergreifender Versammlungen erarbeiten wir Konzepte und Strategien, um die Probleme und Konflikte des Gebiets mit einer kollektiven Stimme und mit der Kraft zu bewältigen, die aus so vielen Jahren der Organisation und des Kampfes gewachsen ist. Ebenso wurde die »guardia popular« (in etwa »Volkswache«, d. Red.) weiter gefestigt in diesem Prozess. Sie ist eine Figur mit friedlicher und politischer Autorität. Sie ist in die Logistik und Sicherheit der durchgeführten Veranstaltungen und Aktionen eingebunden, sie sorgt für Schutz.

Wie erfolgreich sind die Strategien bisher?

Cecucol ist bekannt für seine starke Menschenrechtsarbeit und die Begleitung der schwächsten Gemeinschaften nicht nur in unserem Gebiet, sondern auch auf Stadtebene und in einigen Fällen im Südwesten des Landes. Die Organisation und der Aufbau von Entscheidungsmacht für die Bevölkerung hat die Gemeinschaften gestärkt und große Erfolge bei der Suche nach Lösungen für die vielen Konflikte gebracht, die in einer zutiefst ungleichen Gesellschaft wie der kolumbianischen entstehen.

In dem Berliner Workshop am 17. Juni wollen Sie ihre Methoden mit den Menschen hier teilen. Inwiefern sind die Konflikte in den Vierteln von Cali und Berlin ähnlich?

Die durch das kapitalistische System erzeugten Konflikte sind universell, sie betreffen mehr oder weniger die Menschen und die einfachen Leute auf der ganzen Welt. Die Umweltprobleme und die Konsummuster des kapitalistischen Systems zerstören unser Territorium und den gesamten Planeten als Teil einer invasiven extraktivistischen Politik, hauptsächlich in den Entwicklungsländern. Ohne den Kontext der Berliner Stadtteile im Detail zu kennen, sind wir der Meinung, dass wir trotz der Unterschiede und Nuancen, die in jedem Territorium entstehen, gemeinsame Probleme und Kämpfe haben, die wir vereinen müssen, um Vereinbarungen zwischen Volk und Volk beim Aufbau der Volksmacht von unten und links zu schaffen.

Workshop »Aktivismus im Stadtteil«
mit Anny Nathaly Roa Pabón, 17. Juni,
9 bis 15 Uhr, Spanisch-Deutsch mit
Simultan-Übersetzung,
Global Village, Chandra-Mohanty-Raum, Am Sudhaus 2, 12053 Berlin.
Anmeldung: www.bit.ly/42SeaaC

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