Wettlauf um künstliche Embryonen

Jüngste Erfolgsmeldungen der Stammzellforschung werfen neue ethische Fragen auf

In der vergangenen Woche berichteten gleich mehrere Forschungsteams darüber, aus menschlichen Stammzellen embryonenähnliche Strukturen geschaffen zu haben. Die Entwicklungsbiologin Magdalena Zernicka-Goetz von der University of Cambridge und dem California Institute of Technology stellte in einem Vortrag unveröffentlichte Arbeiten über von ihrem Team aus humanen Stammzellen gezüchtete Embryonen vor. Zernicka-Goetz sprach auf der Jahrestagung der International Society of Stem Cell Research (ISSCR) in Boston über ihre Ergebnisse, die mittlerweile auch als Preprint veröffentlicht wurden. Nach eigenen Angaben der Forschenden wurden Embryonenmodelle erzeugt, »die Aspekte des menschlichen Embryos nach der Implantation nachahmen«. Ausgangsmaterial waren Hautzellen eines Spenders, aus denen im Labor induzierte pluripotente Stammzellen (iPS-Zellen) gewonnen wurden.

Die Wissenschaftler*innen berichten in dem Vorabdruck, dass die »Embryoide« unterschiedliche Zelltypen entwickelten, darunter eine Embryonalhülle und primordiale Keimzellen – die Vorläufer von Ei- und Samenzellen. Die Modellstrukturen seien bis zu einem Stadium gezüchtet worden, das einem natürlichen Embryo nach 14 Tagen entspricht. Zu dem Zeitpunkt hätten sich noch kein schlagendes Herz, Darm oder Ansätze eines Gehirns entwickelt.

Vier Forschungsgruppen melden Erfolge

Am 15. Juni, einen Tag nach Zernicka-Goetz' Vortrag, veröffentlichte das Team des Stammzellforschers Jacob Hanna vom Weizmann Institute ein Preprint, in dem es ebenfalls angibt, ein Embryonenmodell aus menschlichen pluripotenten Stammzellen im Labor erzeugt zu haben. Auch hier soll der Entwicklungsstand eines natürlichen Embryos mit 14 Tagen abgebildet sein. Die Forschungsgruppen um Zernicka-Goetz und um Hanna hatten zuvor bereits an aus Stammzellen erzeugten Mausembryonen geforscht und ihre daraus gewonnenen Erkenntnisse nun auf menschliche Zellen übertragen.

Auf dem Fuße folgten zwei weitere Wissenschaftsteams mit Vorabveröffentlichungen zu ihrerseits geschaffenen, menschlichen Embryonen ähnlichen Strukturen. Dabei handelt es sich um das Team von Mo Ebrahimkhani von der University of Pittsburgh, das demnach mit genetisch veränderten iPS-Zellen gearbeitet hat, sowie die Forschungsgruppe um Tianquing Li von der Kunming University of Science and Technology. All diese Publikationen haben noch keine unabhängige wissenschaftliche Überprüfung durchlaufen.

Einblicke in die Embryonalentwicklung

Von den künstlichen Embryonenmodellen versprechen sich die Forscher*innen genauere Einblicke in die frühe Embryonalentwicklung zu gewinnen. »Derzeit bleibt das eine Blackbox, was nach dem 14. Tag geschieht, wenn der Embryo beginnt, die Anlagen für zukünftige Organe aufzubauen. Es ist von entscheidender Bedeutung, einen Einblick in diese Phase zu bekommen, um zum Beispiel zu verstehen, warum viele Schwangerschaften in diesen Stadien scheitern«, kommentierte Jesse Veenvliet vom Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik die Berichte gegenüber dem Science Media Center (SMC). Bislang verbietet eine Leitlinie der ISSCR Forschungsaktivitäten an Embryonen über den 14. Tag hinaus. Bei In-vitro-Fertilisation gewonnene überzählige Embryonen müssen danach vernichtet werden. Mit den jetzigen Erfolgsmeldungen gehen aber auch Begehrlichkeiten einher, diese Frist, zumindest für die künstlichen Embryonen, weiter hinauszuschieben. Bereits in der Vergangenheit hatte sich Zernicka-Goetz dafür ausgesprochen, die 14-Tage-Regel zu überprüfen. Zwar haben die Teams von Zernicka-Goetz und Hanna ihre nun künstlich geschaffenen Embryonen nicht länger im Labor kultiviert, theoretisch könnte dies aber möglich sein.

Modelle oder Embryonen

Die verschiedenen Forschungsgruppen sprechen selbst nicht von synthetischen Embryonen, sondern von Embryonenmodellen oder von Strukturen, was einen juristischen Hintergrund haben dürfte. »In Deutschland ist die Herstellung artifizieller embryoähnlicher Strukturen nicht verboten«, erklärte der auf Medizinethik spezialisierte Rechtswissenschaftler Jochen Taupitz von der Universität Mannheim gegenüber dem SMC. »Aus ihnen kann sich niemals ein geborener Mensch entwickeln. Deshalb wird auch im Ausland mit Recht dafür plädiert, die dort zum Teil geltende 14-Tage-Regel nicht auf sie anzuwenden.«

Michel Boiani, Leiter der Arbeitsgruppe Mausembryologie vom Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin, plädiert hingegen dafür, die kreierten Entitäten als Embryonen zu bezeichnen, »wenn die Funktion der Entwicklung gegeben ist«. »Meiner Einschätzung als Mausbiologe zufolge handelt es sich bei den inzwischen beschriebenen Entitäten sogar nicht mehr nur um Embryonen, sondern biologisch betrachtet letztlich um Klone.«

Neben der sachlichen Richtigkeit der Preprints dürften wohl auch die Nomenklatur und die ethische Bewertung der Experimente in nächster Zeit auf dem Prüfstand stehen. Dass die »Embryonenmodelle« in eine Gebärmutter eingepflanzt und ausgetragen werden, ist zumindest nicht möglich. Denn das Blastozytenstadium, in dem sich ein Embryo aus Ei- und Samenzelle in der Gebärmutter einnisten kann, wurde bei den synthetischen Embryonen übersprungen.

Modelle mit schlagenden Herzen

Einen weiteren Entwicklungssprung meldete die britische Zeitung »The Guardian« am Sonntag. Demnach will der Biomediziner Jitesh Neupane vom Gurdon Institute der University of Cambridge Embryonenmodelle im Labor erzeugt haben, die über schlagende Herzzellen sowie über Spuren von rotem Blut verfügt hätten, was etwa dem 23. Tag der Embryonalentwicklung entspreche. Auch Neupane möchte explizit nicht von Embryonen sprechen. »Das sind nur Modelle, die verwendet werden können, um spezielle Aspekte der menschlichen Entwicklung zu betrachten«, zitiert der »Guardian« den Wissenschaftler.

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