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Zu jung für den Nachruhm

Museyroom (Teil 6): Das Museum Kunst der Verlorenen Generation in Salzburg zeigt Werke von um 1900 geborenen Künstlern, deren Malerei den Nazis als »entartet« galt

  • Jürgen Schneider
  • Lesedauer: 4 Min.
Werk eines Jazz-Aficionados: Alfred Nungesser, »Stillleben mit Musikinstrumenten« (1935)
Werk eines Jazz-Aficionados: Alfred Nungesser, »Stillleben mit Musikinstrumenten« (1935)

Zunächst ist da das Gemälde »Mutter in der Küche« von 1926. Es zeigt eine alte Dame, zwischen deren langgliedrigen Fingern die »Süddeutsche Arbeiterzeitung« auf ihrer blauen Schürze ruht. Dieses Printmedium war zu jener Zeit die Tageszeitung der Kommunistischen Partei Deutschlands im Bezirk Württemberg.

Museyroom

Im Museum liegt die Kraft. Glauben Sie nicht? Gehen Sie doch mal rein! Jeden Monat stellen wir eins vor, in Text und Bild. So wie James Joyce es in »Finnegans Wake« geschrieben hat: »This is the way to the museyroom.«

Die Malerin oder der Maler dieses Gemäldes ist unbekannt. Schräg gegenüber hängt die Darstellung »Am Hakenkreuz« (1934) von Bruno Voigt (1912–1988), der mit seinem Gekreuzigten auf die christliche Ikonografie zurückgreift. Voigts Bilder, neben »Am Hakenkreuz« etwa »Angriff, Straßenkampf« (1932) und »Persil-Hitler« (1933) gehören zur Widerstandskunst gegen die Nazis.

Wir befinden uns im Museum Kunst der Verlorenen Generation in der Salzburger Altstadt. Das Museum beherbergt die Privatsammlung von Prof. Dr. Heinz R. Böhme, der eine Karriere als Facharzt für Innere Medizin hinter sich hat und selbst in Salzburg lebt. Zurzeit zählt die Sammlung Böhme weit über 500 Werke, überwiegend Ölgemälde, von 170 Künstlerinnen und Künstlern. Der Begriff der »Verschollenen« oder »Verlorenen Generation« geht auf den Kunsthistoriker Rainer Zimmermann zurück, der eine Parallele zum Begriff »Lost Generation« zog, den Hannah Arendt und Gertrude Stein für die US-amerikanische Schriftstellergeneration der 1920er Jahre gewählt haben. Die Künstlerinnen und Künstler, um 1900 geboren, wurden durch das Nazi-Regime in ihrer Tätigkeit massiv eingeschränkt und galten als »entartet«. Sie wurden wegen politischer, rassistischer, künstlerischer und religiöser Gründe verfolgt, in die Emigration getrieben oder ermordet. Diese zweite Künstlergeneration der Moderne ist einem breiteren Publikum weitgehend unbekannt. Ihre Protagonisten wurden von bekannten Lehrern ihrer Zeit wie Max Liebermann (1847–1935), Max Beckmann (1884–1950), Otto Dix (1891–1969), Lovis Corinth (1858–1925) oder Henri Matisse (1869–1954) unterrichtet und hatten bereits künstlerischen Erfolg, als die Nazis festlegten, wer zu den »Deutschen Meistern« gehören durfte und wer nicht, und Abgründe öffneten, die die Menschheit bis dahin nicht gekannt hatte, mit Selektion und industrieller Massenvernichtung. Im Katalog der Sammlung Böhme mit dem Titel »Wir haben uns lange nicht gesehen«, erschienen im Hirmer-Verlag, schreibt Robert Streibel: »Die einzige Gemeinsamkeit, die die Kunstwerke der Verfemten verbindet, ist der Wunsch der Machthaber, sie aus der Geschichte zu tilgen. In manchen Fällen ist dies geglückt, manche Kunst schien nach der Befreiung 1945 aus der Zeit gefallen und nicht mehr in die Zeit zu passen: Dies macht sie zu Mitgliedern einer Verlorenen Generation.«

Das Museum Kunst der Verlorenen Generation lässt den Verfemten und ihren Werken der mehrheitlich gegenständlich orientierten Malerei und des Expressionismus neue Aufmerksamkeit zuteilwerden. Begleitend zur Präsentation der Werke und für den Katalog wurden die Biografien der Künstlerinnen und Künstler erforscht, von Heinrich Emil Adametz (1884–1971) bis zu Augusta von Zitzewitz (1880–1960).

Neben der Präsentation ausgewählter Werke aus der Sammlung werden im Museum Kunst der Verlorenen Generation temporär thematische Ausstellungen gezeigt, so etwa bis zum 28. September 2024 »Beyond Beckmann – Von der Meisterklasse bis zur Sammlung Böhme«. Es ist die erste Ausstellung zu Beckmanns Meisterklasse in einem österreichischen Museum. 1980 hieß es anlässlich der ersten Ausstellung zur Frankfurter Meisterklasse im Frankfurter Karmeliterkloster: »Sie (die Künstlerinnen und Künstler) sind verschollener als verschollen.«

1922 wurde die Städelsche Kunstschule mit der Frankfurter Kunstgewerbeschule fusioniert. Es folgte die Gründung der Frankfurter Kunstschule mit Fritz Wichert als Direktor. Er berief 1925 Max Beckmann (1884–1950) als Leiter der Meisterklasse für freie Malerei. Diese Funktion hatte dieser bis zu deren Auflösung 1933 inne.

Gezeigt werden in der Ausstellung »Beyond Beckmann« Aktdarstellungen, unter anderem von Carla Brill (1906–1994), die nur kurze Zeit Schülerin bei Beckmann war, sowie von Georg Heck (1897–1932), der noch vor der Machtübergabe an die Nazis auf Vermittlung von Beckmann ein großformatiges Wandfresko im Casino des Hochhauses der I.G. Farben von Hans Poelzig in Frankfurt am Main gestalten konnte. Das Bild, die harmonische Darstellung eines modernen Arkadien, wurde 1935 von den Nazis übertüncht, vor einigen Jahren aber wieder mit großem Aufwand freigelegt.

Auffallend ist das Gemälde »Stillleben mit Musikinstrumenten« (1935) von Alfred Nungesser (1903–1983). Es hat die Dynamik des Jazz zum Gegenstand. Offenbar war Nungesser wie sein Lehrer Beckmann ein Jazz-Aficionado, im Gegensatz zu Theodor W. Adorno, der – den Jazz völlig missverstehend – bereits in den 30er Jahren seine Abneigung »gegen das Autoritäre und Reaktionäre der Scheinfreiheit des Jazz« zum Ausdruck brachte. Beckmann hatte hingegen schon 1923 geschrieben: »Ich liebe den Jazz so. Besonders wegen der Kuhglocken und der Autohupe. Das ist eine vernünftige Musik.«

Aus der Zeit des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg stammt das Gemälde von Theo Garve (1902–1987): »Blick auf alte Roth’sche Liegenschaft« (1952). Der Blick wird auf das in Rot gehaltene Eisenskelett des Neubaus von Frankfurts Fernmeldeamt gelenkt. Garve war 1933 an der Gruppenausstellung »Das junge Frankfurt« im Frankfurter Kunstverein beteiligt. Die zunächst positive Kritik schlug rasch um, und die Werke wurden als »Verfallskunst«, »entartet« und als »Erzeugnisse geisteskranker und schwachsinniger Kinder« bezeichnet. Dies war der Auftakt der »Säuberung« der Städelschule, der Auflösung der Meisterklasse und des Rauswurfs von Beckmann.

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