»Ultimate Safari«: Bitte kommen Sie nicht mehr nach Tansania!

Die Inszenierung »Ultimate Safari« im Berliner Theaterdiscounter erläutert die Schattenseiten des Tierschutzes

  • Michael Wolf
  • Lesedauer: 5 Min.
Es zeigt sich an diesem Abend eine historische Kontinuität im europäischen Blick auf den afrikanischen Kontinent.
Es zeigt sich an diesem Abend eine historische Kontinuität im europäischen Blick auf den afrikanischen Kontinent.

Der Titel des Abends ist gut gewählt. »Ultimate Safari« – das klingt wie ein Versprechen, hier wird eine Erfahrung in Aussicht gestellt, die weit über das Gewöhnliche hinausgeht. Zugleich aber deutet sich auch die Hoffnung an, dass dieser Trip durch die Wildnis der letzte sein wird, an dem das Publikum teilnimmt. Die drei Performer Happiness Majige, Isack Abeneko und Konradin Kunze holen es im Kassenraum ab und etablieren elegant das Setting einer Reisegruppe, indem sie die Zuschauer auffordern, einen Sitz mitzunehmen. Es handelt sich um einen Eimer, in dessen Hohlraum persönliche Gegenstände unterzubringen seien. Um diese Wertsachen wird es später noch gehen, denn es ist das Geld aus dem globalen Norden, auch ganz konkret das deutsche Steuergeld, das in Tansania viel Unheil anrichtet. Auch die Zuschauer nehmen an diesem Abend im Berliner Theaterdiscounter Rollen ein. Sie repräsentieren die reichen Industriestaaten und ihre Bürger, all jene also, die sich Unwissenheit leisten können.

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Nur ein paar Meter ist es zum eigentlichen Startpunkt dieser Bildungsreise, ein leerer Raum mit Markierungen auf dem Boden. Das Ensemble verteilt VR-Brillen, erklärt kurz deren Handhabung, dann geht es los. Die 360-Grad-Videos zeigen zunächst weite Landschaften, dann sind auch Tiere zu sehen: Giraffen, Elefanten. Eine Windmaschine und Soundeffekte verstärken die Illusion, wirklich vor Ort zu sein. Später kommen auch olfaktorische Reize hinzu: ein Zebra-Barbecue, Kaffeeduft. Die Berliner Gruppe Flinn Works, die hier mit der Kunstorganisation Asedeva aus Dar es Salaam kooperiert, ist bekannt für Recherche-Stücke. Ihre Arbeit wurde zuletzt mit dem Tabori-Preis und dem Preis des internationalen Theaterinstituts bedacht.

Die Inszenierung ist eine kluge Komposition aus den Videos, tänzerisch und musikalisch begleiteten Szenen und einer auf Deutsch und Englisch gehaltenen Lecture über die Schattenseiten des Tierschutzes. Man lernt eine Menge, doch anders als oft im Recherche- und Dokumentartheater hat man hier nicht den Eindruck, man könnte genauso gut ein Dossier oder ein Sachbuch zum Thema lesen. Die Clips und das direkte Spiel des Ensembles vermitteln tiefere Eindrücke, geben Anlässe, sich selbst als Akteur wahrzunehmen. Zwischendurch auch ganz simpel durch Fragen wie diese: Wer hat »Serengeti darf nicht sterben?« gesehen. Viele Hände gehen hoch.

Der Frankfurter Zoodirektor Bernhard Grzimek, für seinen Film 1960 mit dem Oskar ausgezeichnet, spielte eine Schlüsselrolle in der Geschichte der tansanischen Nationalparks. Kaum war das Land in die Unabhängigkeit entlassen, schlug er Präsident Julius Nyerere ein Geschäft vor. Das Land sollte große Schutzzentren für bedrohte Arten schaffen. Für die Finanzierung würden reiche Urlaube und Jäger aus dem Norden sorgen. Alle profitieren: der junge Staat, die Tiere, die Touristen. Eine Win-Win-Situation? Nur, wenn man die Menschen aus der Rechnung herausstrich, die in den betreffenden Gebieten siedeln.

Ultimate Safari nimmt sich der Belange der Massai an. Sie werden bis heute zur Umsiedlung gedrängt und mit ihren Rinderherden aus den Nationalparks vertrieben. Die Performer vermeiden es, direkt für sie zu sprechen. Dafür ist ein Experte geladen, Leiyo Singo, ein Geograph der Universität Bayreuth, der aus einem Dorf der Massai stammt. Er beginnt seinen Vortrag mit dem Hinweis, dass er derzeit in Berlin viele Museen besuche, interessiere er sich doch sehr für die Geschichte dieser Stadt, dieses Landes. Beiläufig wird das Publikum hier darauf verwiesen, dass ein solches Interesse nicht gegenseitig ist.

In mehreren der Videos sieht man Jeeps, die sich in den Savannenlandschaften stauen, Urlauber, die mit Schlappen und in kurzen Hosen auf ihre Abholung warten und Selfies knipsen oder Kinder, die mit pflichtschuldiger Faszination eine Gruppe Flusspferde beobachten. Ein Clip wird als koloniales Menu angekündigt, die Kamera war auf einer Trage befestigt, schwarze Diener befördern einen also durch die Landschaft. An einem kleinen Teich wird Rast gemacht, es gibt Fleisch, Pommes und Früchte. Die afrikanischen Begleiter sitzen derweil stumm um einen herum, als warteten sie auf Befehle.

Die Botschaft ist sehr deutlich. Die Urlauber haben kein großes Interesse an dem Land, in dem sie sich befinden. Sie sind hier, um Tiere zu sehen, um auszuspannen, eine Entdeckung zu machen. Und ignorieren dabei gerne, dass sie sich nicht im politik- und geschichtsfreien Raum bewegen, dass die Pfade, auf denen ihre Geländewagen heute fahren, in der Kolonialzeit angelegt wurden. Leiyo Singo erinnert in seiner Rede an die Kongokonferenz, bei der sich 1885 unter Leitung Fürst Bismarcks die europäischen Mächte in Berlin trafen, um über die Aufteilung Afrikas zu beraten. Damals getroffene Entscheidungen über Grenzverläufe haben bis heute Bestand.

Es zeigt sich an diesem Abend eine historische Kontinuität im europäischen Blick auf den afrikanischen Kontinent: Die Belange der einheimischen Bevölkerung spielen in der Interessenspolitik des Nordens nur eine geringe Rolle. Die Performer verweisen auf eine Millionenspende des deutschen Staates, die eingesetzt werden soll, um Konflikte im Zusammenleben zwischen Wildtieren und Menschen zu schlichten. Solche ergeben sich alltäglich, etwa wenn Elefanten durch Dörfer trampeln. Konkret ausgegeben werde das Geld von der Regierung nun nicht für Schutzanlagen der Menschen, sondern für Technologie und Waffen, um die Massai zu vertreiben. Die Tiere sind wichtiger, denn sie sind der Magnet für reiche Touristen. Es ist ihr Geld, das Lebensgrundlagen von Menschen zerstört.

In einem Video findet man sich in einer Versammlung der Massai wieder. Mehrere Männer und Frauen beklagen ihre Lage, fordern die Performer von Flinn Works, die unter ihnen sitzen, auf, ihre deutschen Landsleute davon abzuhalten, nach Tansania zu kommen. Die Botschaft ist klar: Für sie ist es Urlaub, für die Massai geht es um die Existenz. Die Arbeit formuliert also eine aktivistische Botschaft, die durchaus sitzt. Zugleich und eher im Hintergrund skizziert der Abend jedoch auch eine technologische Vision. Die Videos erlauben dem Publikum tatsächlich eine Art Safari. Man meint, den Tieren deutlich näher zu sein, als beim Schauen von Naturfilmen. Und dabei ist hier nicht einmal 3D-Technik im Einsatz. Der technische Fortschritt könnte in der nahen Zukunft das bestehende Geschäftsmodell vom Markt drängen, wenn virtuelle Tiere so authentisch wirken wie solche aus Fleisch und Blut. Bald könnte also wirklich die allerletzte Safari stattfinden.

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