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Algen: Nutzpflanzen vom Meeresgrund
Algen bieten Potenzial als Nahrungsmittel und Kohlenstoffsenke, doch benötigt würden große Anbauflächen
In den Speiseplan von Mensch und Tier eingebunden, könnten Algen helfen, Emissionen einzusparen. Trotzdem schüttelt es viele noch bei dem Gedanken an eine Algendiät. Zudem sind sich Forschende uneinig, ob sich Algen in großem Stil anbauen lassen.
Die Algenzucht ist weltweit eine aufstrebende Industrie: Der Umfang der jährlichen Algenproduktion hat zwischen 2015 und 2020 im Durchschnitt um 13 Prozent zugenommen. Im vergangenen Jahr machte die Algengattung Asparagopsis, die als Futterzusatz auf dem Speiseplan von Kühen landen kann, sogar Weltschlagzeilen. Die vor Australiens Küsten vorkommenden Meeresalgen sollen die Methanemissionen der Wiederkäuer um 90 bis 95 Prozent reduzieren.
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Doch Algen haben laut einer Studie, die im Fachjournal »Nature Sustainability« veröffentlicht wurde, noch weitaus mehr Potenzial im Kampf gegen den Klimawandel. So haben Forscher aus Australien und Österreich Teile der Weltmeere identifiziert, die sich für den Anbau von Algen eignen würden. In ihrer Studie schlagen die Forscher vor, zehn Prozent der menschlichen Ernährung durch Algen zu ersetzen, um damit Emissionen aus der Landwirtschaft zu reduzieren.
Deckten Algen zehn Prozent der menschlichen Ernährung ab, so würde dies die für Nahrungsmittel benötigte landwirtschaftliche Fläche um 1,1 Millionen Quadratkilometer verringern. Das wäre eine Fläche doppelt so groß wie Frankreich. Die globalen landwirtschaftlichen Treibhausgasemissionen könnten damit um bis zu 2,6 Milliarden Tonnen Kohlendioxid pro Jahr reduziert werden. Dafür bräuchte es allerdings eine Meeresfläche von fast der Größe Australiens, um die kommerzielle Algenzucht aufzubauen und Nahrung für Menschen, Futterergänzungsmittel für Rinder und alternative Brennstoffe zu liefern.
Kohlenstoff sinkt in die Tiefe
Ein zusätzliches Plus der Algen ist, dass die Gewächse selbst der Atmosphäre ebenfalls Kohlendioxid entziehen, indem sie dieses durch Photosynthese in organische Biomasse umwandeln. Die Biomasse kann dann in die Tiefe des Meeres absinken und wird auf diese Weise aus den Oberflächengewässern entfernt. Aktuelle Modellierungen, die amerikanische Forscher im Juni im Fachjournal »Communications Earth & Environment« veröffentlichten, stellten hier jedoch infrage, inwieweit das Ganze tatsächlich realisierbar ist.
Ihre Studie habe ergeben, dass rund eine Million Quadratkilometer Meeresfläche notwendig wäre, um mit Meeresalgen nur eine einzige Gigatonne Kohlenstoff pro Jahr aus der Atmosphäre zu ziehen, erklärte Isabella Arzeno-Solterodie, die Hauptautorin der US-Studie. Insgesamt gehe man jedoch davon aus, dass bis 2050 mehr als vier Gigatonnen Kohlendioxid pro Jahr aus der Atmosphäre entfernt werden müssten, um die internationalen Klimaziele zu erreichen. Erschwerend kommt laut Arzeno-Solterodie hinzu, dass man für den Algenanbau produktive Meeresregionen in ausschließlichen Wirtschaftszonen verwenden müsste. Außerhalb dieser produktiven Äquatorialgewässer müssten die Anbauflächen verdreifacht werden, um die gleichen Mengen zu ernten.
Die australischen und österreichischen Forscher haben in ihrer Studie dagegen bereits untersucht, welche Algen grundsätzlich die besseren Ergebnisse liefern. Sie analysierten insgesamt 34 Algenarten und Orte, wo diese möglicherweise wachsen könnten. Dies glichen die Forscher dann mit Orten ab, die über ausreichend ruhiges Wasser verfügen und sich nahe genug an menschlichen Siedlungen befinden, damit Farmen einfach aufgebaut werden könnten. Insgesamt identifizierten die Wissenschaftler rund 6,5 Millionen Quadratkilometer für den Algenanbau, wobei die größten Gebiete in Indonesien und Australien liegen. In Indonesien spielt die Industrie wie auch in China schon heute eine recht wichtige Rolle.
Kühe mit Futterzusatz klimafreundlicher
Einen der größten Vorteile würde laut der australisch-österreichischen Studie die auch zuvor schon gehypte, in Australien vorkommende Algengattung Asparagopsis liefern. Die Gattung kommt in den tropischen und warm-gemäßigten Teilen des Indopazifiks im Überfluss vor. Die Meeresalge kann als Futterzusatz für Rinder oder auch Schafe zu drastisch geringeren Methanemissionen führen: Die Rede ist von einer Reduktion um 90 bis 95 Prozent. Untersuchungen zeigen, dass nur sehr wenig Asparagopsis in das Futter eines Wiederkäuers eingestreut werden muss, um die Methanemissionen zu senken.
Bei einer Kuh, die täglich 14 Kilogramm Trockenmasse zu sich nimmt, müssten 50 Gramm der Algen beigemischt werden. Letzteres lässt sich natürlich im Rahmen eines sogenannten Feedlots oder einer Pferche einfacher managen als bei Tieren auf der offenen Weide. Der erste weltweite Verkauf von Asparagopsis läuft seit etwa einem Jahr über die Firma CH4 Global an, eines von drei Unternehmen, die zum Verkauf des Futtermittelzusatzes in Australien lizenziert sind. Einer der ersten Kunden war der südaustralische Fleischverarbeiter Cirpro, der das Algenfutter an seine Tiere verfüttert. Zunächst sollen nur kleine Stückzahlen produziert werden und australische Produzenten den Vorrang haben, doch auf lange Sicht arbeiten die internationalen Lizenznehmer, einschließlich CH4, daran, auch im Ausland zu produzieren.
Doch auch andere Meeresalgen könnten großes Potenzial besitzen. Laut Scott Spillias, einem Doktoranden der School of Earth and Environmental Science der University of Queensland (UQ), der die australisch-österreichische Studie leitete, befindet sich die Forschung nach wie vor in den Anfängen. Beispielsweise seien viele einheimische Algenarten in australischen Gewässern noch nicht in Hinblick auf eine kommerzielle Produktion untersucht worden, berichtete er. Letzteres könnte daran liegen, dass sich viele Menschen bisher nicht mit einer Diät aus Algen anfreunden können. Dabei lässt sich Seetang laut Spillias mit den alten Versionen der heutigen Nutzpflanzen Mais und Weizen vergleichen, die einst auch »wenig inspirierende, unkrautige Dinger« waren. Bis die heutigen Grundnahrungsmittel entwickelt worden seien, seien Jahrtausende vergangen.
Probleme nicht in den Ozean verlagern
Laut Spillias können Algen ein ähnlich großes Potenzial wie Mais oder Weizen haben, auch wenn beim Aufbau einer Algenwirtschaft mit Sorgfalt vorgegangen werden muss. Laut der Forscher dürften Probleme nicht vom Land auf den Ozean verlagert werden. Davor warnt auch die Forscherin der US-amerikanischen Universität Stanford in ihrer aktuellen Studie. Arzeno-Soltero kam gemeinsam mit ihren Kollegen zu dem Schluss, dass für einen kommerziellen Algenbau dem Wasser wohl zusätzliche Nährstoffe zugefügt werden müssten, um die Produktivität aufrechtzuerhalten. Dies könne möglicherweise dadurch geschehen, dass man die Algen physisch durch tieferes und flacheres Wasser zirkuliere oder Nährstoffe aus tieferem Wasser aufquelle.
Obwohl sich alle Forscher einig sind, dass es noch weitere wissenschaftliche Untersuchungen braucht, um das Potenzial von Meeresalgen vollkommen zu verstehen, bieten die Wassergewächse laut Spillias auf alle Fälle eine nachhaltige Alternative zur landwirtschaftlichen Expansion, die notwendig sein wird, um den weltweit wachsenden Bedarf an Nahrungsmitteln und Materialien künftig zu decken. »Algen haben ein großes kommerzielles und ökologisches Potenzial«, sagte der Wissenschaftler. Denn sie seien nicht nur ein nahrhaftes Lebensmittel, sondern auch ein Baustein für kommerzielle Produkte wie Tierfutter, Kunststoffe, Fasern, Diesel und Ethanol.
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