• Politik
  • Ampel-Koalition vor der Halbzeit

Ampel: Regierung der Ankündigungen

Nicht nur beim Heizungsgesetz blockieren FDP und Unionsparteien die volle Umsetzung des Ampel-Koalitionsvertrags

Das vorerst gescheiterte Heizungsgesetz ist nur ein Beispiel von vielen dafür, dass in der Ampel die kleinste Regierungspartei FDP und in Parlament und Bundesrat die Oppositionsführerin CDU/CSU ihre Agenden durchsetzen konnten. Die Konsequenz: Der Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und Liberalen ist in etlichen Punkten längst Makulatur. Bei anderen Verwässerungen und Brüchen der eigenen Ziele wie etwa der Selbstverpflichtungen bei der Reduzierung von Rüstungsexporten und dem Engagement für Abrüstung berufen sich die Koalitionspartner auf die geänderte Situation infolge des russischen Krieges gegen die Ukraine.

Allerdings hat die Ampel ihre Vorhaben in einigen wichtigen Punkten durchaus bemerkenswert schnell umgesetzt. Es sind dies Kernanliegen der SPD, aber auch der Grünen. So war die im Koalitionsvertrag vereinbarte Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns auf zwölf Euro pro Stunde bereits nach zehn Monaten Ampel-Amtszeit Realität: Zum 1. Oktober 2022 erfolgte die Anhebung.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!

Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen. Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Auch die Umbenennung von Hartz IV in Bürgergeld samt deutlicher Anhebung der Regelsätze wurde zügig verwirklicht. Das entsprechende Gesetz verabschiedete der Bundestag bereits am 10. November 2022. Allerdings: Es scheiterte im Bundesrat an der Mehrheit der CDU-geführten Landesregierungen, ging zurück ins Parlament und wurde dort entsprechend deren Forderungen verwässert und in dieser Form am 25. November auch von der Länderkammer verabschiedet.

Die im ursprünglichen Bürgergeldgesetz vorgesehene sechsmonatige »Vertrauenszeit«, in der Erwerbslosen keine Sanktionen bei Pflichtverletzungen drohen sollten, wurde komplett gestrichen. Das Schonvermögen, das Erwerbslose nicht verbrauchen müssen, um in den Genuss staatlicher Transferleistungen zu kommen, wurde ebenfalls stark abgeschmolzen. Darüber hinaus wurde die »Karenzzeit«, in der Leistungsbeziehern die vollen Mietkosten auch bei Überschreitung der vorgesehenen Maximalwerte gezahlt werden, von zwei Jahren auf zwölf Monate halbiert. Danach können die Betroffenen wieder gezwungen werden, in kleinere Wohnungen zu ziehen, was in vielen Fällen eben keine Reduzierung der Wohnkosten bedeutet, sondern weiterhin eine reine Schikane darstellt.

Was bleibt, ist die im Vergleich zu den Erhöhungen der letzten Jahre um lediglich einstellige Beträge deutlich stärkere Anhebung der Regelsätze. Alleinstehende bekommen seit Jahresbeginn 502 Euro monatlich, also immerhin 53 Euro mehr als 2022.

Allerdings dürfte sich die Freude darüber angesichts der anhaltenden Teuerung gerade bei den Energiepreisen in Grenzen halten. Denn weiter muss die Stromrechnung aus dem Regelsatz beglichen werden, gilt also nicht als Teil der Wohnkosten. Und so verwundert es nicht, dass der Bundesverband der Tafeln am Donnerstag mitteilte, man versorge an den Lebensmittelausgabestellen aktuell regelmäßig zwei Millionen Menschen und damit so viele wie noch nie mit dem Nötigsten. Besonders dramatisch: Weil die Menge der Lebensmittelspenden sinkt, müssen mittlerweile fast 40 Prozent der Tafeln Menschen abweisen.

Viele Menschen befinden sich also weiter auf der Rutschbahn in den materiellen und finanziellen Abstieg. Der Schutz vor Armut dürfte der Ampel mithin selbst bei Umsetzung aller Vorhaben des Koalitionsvertrags, in dem sich die drei Parteien als »Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit« bezeichnen, nicht gelingen. Vorsorglich sind viele Pläne darin ohnehin recht vage formuliert.

Dazu kommt: Eine von der SPD unterstützte weitere und aus Sicht von Gewerkschaften und Sozialverbänden angesichts der anhaltenden Inflation dringend nötige weitere Anhebung des Mindestlohns auf mindestens 13,50 Euro entsprechend den Vorgaben der EU-Mindestlohnrichtlinie wird es mit der FDP nicht geben.

Die Wohnungs- und Steuerpolitik sind weitere Bestandteile des Koalitionsvertrags, die mit Gerechtigkeit überhaupt nichts zu tun haben – und die die Handschrift der Unternehmer- und Reichenlobby-Partei FDP tragen. Zudem hat Bauministerin Klara Geywitz (SPD) längst eingeräumt, dass sich die Bundesregierung von der Einhaltung des eigenen Ziels verabschiedet hat, jährlich 400 000 neue Wohnungen zu bauen, von denen 100 000 öffentlich gefördert werden sollten. Eine Entspannung auf dem Wohnungsmarkt, geschweige denn eine Deckelung oder gar Senkung der Durchschnittsmieten, ist damit nicht in Sicht.

Auch von der im Koalitionsvertrag »zeitnah« angekündigten »neuen Wohngemeinnützigkeit mit steuerlicher Förderung und Investitionszulagen« war lange nichts mehr zu hören. Damit wollte die Ampel eigentlich »eine neue Dynamik in den Bau und die dauerhafte Sozialbindung bezahlbaren Wohnraums erzeugen«.

Mit der im Haushalt 2024 vorgesehenen Kürzung bei den Ausgaben für die Studienförderung (Bafög) verschärft sich die soziale Schieflage der Ampel-Politik. Denn von »Gerechtigkeit« und Verbesserung der Bildungschancen für junge Menschen aus Arbeiter- und Migrantenfamilien kann damit keine Rede mehr sein.

Dem Ansinnen, die Spitzensteuersätze für Vermögende und Besserverdienende auch nur ein wenig anzuheben oder eine Vermögensabgabe zur Finanzierung der Hilfspakete in der Corona-Pandemie einzuführen (von Inflationsausgleichspaketen und Energiekostenbeihilfen war vor dem Ukraine-Krieg noch keine Rede) oder gar eine reguläre Vermögensteuer, hat sich die FDP strikt verweigert. Zugleich setzten sich die Liberalen mit ihrer Forderung durch, dass das Verbot einer Nettoneuverschuldung grundsätzlich weiter eingehalten wird, wenngleich mit Hilfe diverser Tricks.

Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner blockiert die Finanzierung zahlreicher Vorhaben bzw. stellt dafür nur unzureichende Mittel zur Verfügung. Einzig beim Militärhaushalt und beim 100-Milliarden-Sondervermögen sieht er keine Finanzierungsprobleme.

So sind eine echte Verkehrswende in Richtung Ausbau des Schienennetzes und die gerade angesichts der hohen Zahl Geflüchteter dringend nötige, von den Gewerkschaften geforderte Schaffung eines Sondervermögens für die Behebung von Bildungs- und Pflegenotstand kaum möglich. Und auch bei der ausreichenden Finanzierung der im Koalitionsvertrag vorgesehenen Kindergrundsicherung mauern die Liberalen bekanntlich.

Dabei werden große und mehrheitlich nicht durch eigene Leistung zustande gekommene Vermögen in Deutschland seit langem im internationalen Vergleich so gering besteuert wie nur in wenigen weiteren Ländern. Darauf wies Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), kürzlich in einem Essay mit dem Titel »Superreiche könnten den Staat retten« hin. Während sich die Vermögen weltweit in den Händen von wenigen Milliardären konzentrieren, seien die Staaten so hoch verschuldet wie noch nie, schreibt Fratzscher in dem Mitte Juni veröffentlichten Text.

Ein zentraler Grund für die »ungewöhnlich großen Vermögen in Deutschland« sei, so Fratzscher, »dass kaum ein anderes Land Vermögen so gering und gleichzeitig Arbeit so stark besteuert«. Nach seiner Schätzung hätte der deutsche Staat jedes Jahr 120 Milliarden Euro zusätzliche Einnahmen, wenn er Vermögen so stark wie Frankreich, Großbritannien oder die USA besteuern würde.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -