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»Oppenheimer«: Der amerikanische Prometheus
Christopher Nolans neuer Film »Oppenheimer« erzählt vom Bau der Atombombe und der Kommunistenjagd im Amerika der 50er
Heutzutage wirken große historische Leinwandschinken über große Männer etwas aus der Zeit gefallen. Das Genre des Monumentalfilms hatte seinen Höhepunkt in den 50er und 60er Jahren. Dennoch hat Christopher Nolans Film »Oppenheimer« schon vorab enorm viel Aufmerksamkeit bekommen. Kein Wunder, gilt der 1970 in London geborene und zurzeit in Los Angeles lebende Filmemacher doch vielen als einer der innovativsten Regisseure unserer Zeit.
In den vergangenen Jahren wurden Nolans Filme immer bildgewaltiger und monumentaler. Das gilt für seinen Öko-Weltraum-Science-Fiction-Blockbuster »Interstellar« (2014) ebenso wie für den wegen Whitewashing kritisierten Kriegsfilm »Dunkirk« (2017), in dem wie in diesem Genre üblich kaum People of Color zu sehen sind – entgegen der historischen Wahrheit.
Mit seinem neuen dreistündigen Opus »Oppenheimer« greift Nolan noch einmal tief in die Kiste der historischen Mythen des 20. Jahrhunderts und erzählt von der Geburt der Atombombe. Das wird mit visionären Bildern, aber auch reichlich Pathos als elegische, mehrere Jahrzehnte umfassende Erzählung inszeniert, mit einer ebenso taffen wie widersprüchlichen Titelfigur: dem Physiker J. Robert Oppenheimer (1904-1967).
Über allem schwebt die Entwicklungsgeschichte der Atombombe in der Wüste von New Mexiko, doch das ist nur ein Aspekt der opulenten Filmhandlung. Der Film basiert auf der 600seitigen Oppenheimer-Biografie von Kai Bird und Martin J. Sherwin, die mit dem Pulitzer-Preis prämiert wurde, und verhandelt vor allem die politischen Probleme Oppenheimers in den 50ern während der Kommunistenjagd in den USA.
Im US-amerikanischen Original hieß die 2005 erschienene Biografie »American Prometheus: The Triumph and Tragedy of J. Robert Oppenheimer«. Der Physiker als mythologische Figur, die das Feuer aus dem Himmel stiehlt, schwere Schuld auf sich lädt und hart bestraft wird – mit diesem Ansatz erzählt auch Nolan seine Geschichte Oppenheimers.
Dabei gibt sich halb Hollywood die Klinke in die Hand. Neben Hauptdarsteller Cillian Murphy in der Titelrolle ist Matt Damon als Army General Leslie R. Groves zu sehen, der das »Manhattan-Projekt« überwachte, den Bau der Atombombe in einer eilends in der Wüste New Mexicos hochgezogenen kleinen Stadt voller Wissenschaftler Anfang der 40er Jahre. Robert Downey Jr. gibt als Lewis Strauss den Leiter der Atomenergiebehörde und intriganten Gegenspieler von Oppenheimer. Dieser musste sich in den 50ern vor zahlreichen Gremien wegen seiner linken Gesinnung rechtfertigen. Schließlich wurde dem 1904 in New York geborenen theoretischen Physiker seine Sicherheitsstufe entzogen und die weitere Tätigkeit als Berater der Behörde verboten.
Florence Pugh spielt Jean Tatlock, die kommunistische Geliebte Oppenheimers, und Emily Blunt verkörpert seine Ehefrau Kitty, die ebenfalls zeitweise KP-Mitglied war, um nur einige Stars zu nennen. Damon, Downey und Blunt sollen jeweils auf mehrere Millionen US-Dollar Gage verzichtet haben, um in Nolans Film mitzuspielen. Anders hätte das Budget von 100 Millionen Dollar kaum ausgereicht, was im Vergleich zu Nolans sonstigen Filmen – »Interstellar« kostete 165 Millionen Dollar, »The Dark Knight Rises« 250 Millionen – sogar noch günstig ist.
»Oppenheimer« ist trotz der epischen Länge ein durchaus temporeicher Film, der in schnellen Perspektivwechseln verschiedene Lebensabschnitte des Wissenschaftlers als komplexes Panorama auffächert. Dabei nutzt Nolan ebenso Schwarzweiß- wie Farbsequenzen und lässt auch physikalische Teilchen, Energieschleifen, Sonneneruptionen, Sterne und gigantische Explosionen bild- und soundgewaltig über die Leinwand rasen, summen, zittern und schießen.
Die einzelnen Erzählebenen reichen von Oppenheimers Jugend, in der er in Harvard studierte, zu seinem Aufenthalt in Göttingen, wo er promovierte und unter anderem den Physikern Niels Bohr (Kenneth Branagh) und Werner Heisenberg (Matthias Schweighöfer) begegnete. Es geht um seine erste Lehrtätigkeit in Berkeley und darum, wie er schließlich zum wissenschaftlichen Leiter des Manhattan-Projekts wurde und maßgeblich an der Entwicklung sowie dem Bau der ersten Atombombe beteiligt war. Aber auch die Nachkriegszeit und die in den 50er Jahren zunehmende politische Repression, der er ausgesetzt war, wird zum tragenden Handlungsstrang dieser in ganz verschiedene Richtungen ausfransenden filmischen Erzählung.
Dabei geht es auch um die Wissenschaftsgewerkschaft, die er an der Universität von Berkeley gründen wollte, um Geldspenden an die Antifaschisten in Spanien und um die Frage, wie sehr sein Engagement und das anderer Wissenschaftler beim Bau der Atombombe vor allem Teil eines Kampfes und Wettrüstens gegen den Faschismus und die deutsche Nazi-Herrschaft war. Der wissenschaftliche Erfolg beim Bau der Bombe wird schnell durch die Einsicht getrübt, dass mit der Existenz der Atombombe das neue Zeitalter der Vernichtungswaffen eingeläutet wurde.
Mit welch fröhlicher und fahnenschwenkender Idiotie der Abwurf der ersten Atombombe auf Hiroshima auch von den intellektuellen Wissenschaftlern in der Wüste gefeiert wurde, zeigt der Film recht ungeschminkt. Und an dieser wie auch an anderen Stellen driftet Nolans filmische Erzählung für Momente ins Surreale ab, wenn Oppenheimer gerade noch in der feiernden Menge steht und plötzlich alles in grelle atomare Blitze getaucht wird, Menschen sich die Haut vom Gesicht pellen und der Wissenschaftler über verbrannte Leichen watet.
Christopher Nolan versucht der Widersprüchlichkeit dieser historischen Figur gerecht zu werden und inszeniert Oppenheimer als naiven Täter und getriebenes Opfer.
»Oppenheimer«, USA/UK 2023. Regie und Buch: Christopher Nolan. Mit: Cillian Murphy, Emilly Blunt, Rami Malek, Matt Damon, Kenneth Branagh u.a. 180 Minuten. Kinostart: 20. Juli.
1. »The Day After« von Nicholas Meyer (1983)
2. »Dr. Seltsam oder wie ich lernte, die Bombe zu lieben« von Stanley Kubrick (1964)
3. »Hiroshima mon amour« von Alain Resnais (1959)
4. »Briefe eines Toten« von Konstantin Lopuschanski (1986)
5. »Wenn der Wind weht« von Jimmy T. Murakami (1986) (nd)
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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