Wer spart, spart auch an Sicherheit

Dem Berliner Senat ist nicht bekannt, bei welchen Baufirmen sich Arbeitsunfälle häufen

Hohe Gerüste, schwere Geräte, große Stahlträger. So viel, wie in Berlin gebaut wird, so viele Arbeiter*innen müssen sich auf den Baustellen umherbewegen und dabei auf allerhand Gefahren achten. Das klappt nicht immer ohne Verletzungen: Im vergangenen Jahr ereigneten sich laut der Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft (BG BAU) etwa 2500 Arbeitsunfälle auf Berliner Baustellen. Fünf Bauarbeiter*innen verunglückten tödlich. Das geht aus der Antwort des Senats auf eine schriftliche Anfrage der Linken-Abgeordneten Niklas Schenker und Damiano Valgolio hervor.

»Es ist nachvollziehbar, dass auf Baustellen besondere Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden müssen«, sagt Schenker zu »nd«. Allein die Arbeitsumgebung mache den Beruf schon riskant, dazu kämen noch der Zeitdruck im Bausektor und die oftmals prekären Arbeitsbedingungen, die dazu führten, dass Bauarbeiter*innen besonders schnell und viel arbeiten müssten. »Der Senat muss deshalb gerade bei den öffentlichen Baustellen besonders gut hinschauen, ob alle Vorgaben zum Arbeitsschutz eingehalten werden.«

Das passiere aber nicht ausreichend, sagt Schenker. So liegen dem Senat keine Daten dazu vor, ob etwa bei bestimmten Baufirmen mehr Unfälle stattfinden als bei anderen. »Der Senat muss aber Kenntnis darüber haben, was bei den Firmen, die er beauftragt, passiert«, fordert Schenker.

Auch würden die Baustellen in Berlin zu wenig hinsichtlich des Arbeitsschutzes kontrolliert. Dem zuständigen Landesamt für Arbeitsschutz stünden nur sechs Arbeitskräfte in diesem Bereich zur Verfügung, vor fünf Jahren seien es noch doppelt so viele gewesen, heißt es in einer Pressemitteilung der Linksfraktion anlässlich der Senatsantwort auf die Anfrage. »In einer Stadt wie Berlin, wo an jeder Ecke gebaut wird, ist es besonders wichtig, auch viel zu kontrollieren«, sagt Schenker.

Mehr Kontrollen und Personal fordert auch die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU). »Wenn die Kolleg*innen über die Baustellen gehen, dann stellen sie zum Beispiel fest, dass oft angemessene Arbeitsschutzbekleidung fehlt«, sagt Thomas Hentschel, Vorsitzender des Bezirksverbandes Berlin der IG BAU, zu »nd«. In Berlin werden 65 Aufsichtsbeamt*innen mit Arbeitsschutzaufgaben für alle Berliner Betriebe eingesetzt. Damit kommt laut Berliner IG BAU ein*e Kontrolleur*in auf 33 237 Beschäftigte. Weil diese Aufsichtsbeamten aber noch für viele weitere Aufgaben zuständig sind, bleiben laut Arbeitsschutzamt zur Überprüfung des Arbeitsschutzes in den Betrieben eben nur sechs Kräfte übrig.

Was der Baugewerkschaft aber neben den Unfällen in Bezug auf den Arbeitsschutz auf Baustellen besonders wichtig ist, sind die Langzeitfolgen der körperlich stark belastenden Arbeit. Gerade im Sommer, wenn Arbeiter*innen tagelang bei 30 Grad in der Hitze schuften müssen, entstünden Nieren- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. »Im Tarifvertrag der Dachdecker ist ein Ausfallgeld für sehr heiße Tage festgelegt. Solche Ansätze müsste man weiterverfolgen«, sagt er. So müssten der Schutz vor Sonne und Hitze von draußen Arbeitenden auch in Klimaanpassungsstrategien mehr Raum bekommen.

Alexandru Firus vom gewerkschaftsnahen Peco-Institut, das mit der IG BAU zusammenarbeitet, macht seit drei Jahren aufsuchende Forschungs- und Beratungsarbeit in Unterkünften von Bauarbeiter*innen mit Fokus auf osteuropäische Arbeiter*innen. Zwar liege der Schwerpunkt seiner Arbeit im Rhein-Main-Gebiet und in Franken, aber die Strukturen im Bausektor, die allzu häufig zu einer Vernachlässigung von Arbeitsschutzmaßnahmen führten, gelten auch für Berlin, sagt er zu »nd«. Das seien vor allem informelle Beschäftigungsverhältnisse und das Ziel von Bauunternehmen, so günstig wie möglich zu bauen. »In so einem Umfeld wird natürlich auch am Arbeitsschutz gespart«, so Firus.

Weil viele Bauarbeiter*innen nur einen Teil ihres Lohns auf legalem Wege samt aller Sozialabgaben erhalten und den Rest informell, würden viele gesetzliche Vorgaben umgangen werden. Die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall berechne sich nur aus einem Teil des Gehalts oder die maximalen Arbeitszeiten würden regelmäßig überschritten. »Viele arbeiten unmenschlich viel. Überarbeitung, Bandscheibenvorfälle, kleinere Verletzungen sind der Standard«, sagt Firus.

Auch Thomas Herrschelmann, Sprecher der Fachgemeinschaft Bau (FG Bau), des mitgliederstärksten Bauarbeitgeber- und Bauwirtschaftsverbandes in Berlin und Brandenburg, sieht einen Zusammenhang zwischen Arbeitsschutzbemühungen und Sparbemühungen der Unternehmen. »Baufirmen, bei denen gespart wird, die sparen auch an der Sicherheit.« So würden viele Unternehmen zum Schutz der Arbeiter*innen eigene Sicherheitsfachkräfte weiterbilden, die Baustellen begutachten und auf Gefahren wie zum Beispiel Absturzmöglichkeiten hinweisen. Bundesweit gebe es etwa 25 000 dieser Fachkräfte bei den Firmen. »Es gibt aber natürlich auch solche, die so etwas aus Kostengründen weglassen. Dort gibt es dann mehr Unfälle, mehr ›Schwarzarbeit‹, sie bieten billig an und müssen dann einsparen.«

Den »ehrlichen Firmen« sei aber, nicht zuletzt aufgrund des Fachkräftemangels, an der Sicherheit ihrer Beschäftigten gelegen. Der FG Bau liegen keine Daten vor, welche Bauunternehmen gut und welche schlecht für den Arbeitsschutz sorgen. Allerdings ließen sich Rückschlüsse auf die Beschäftigungsverhältnisse durch Abfragen bei den Sozialkassen der Bauwirtschaft ziehen. »Auf Baustellen arbeiten die Beschäftigten bis auf ein paar Ausnahmen in Vollzeit. Es gibt aber einige Firmen, die ihre Beschäftigten zu einem größeren Teil als Teilzeitbeschäftigte anmelden. Diese werden dann einen Teil des Lohns an der Steuer vorbei auszahlen«, sagt Herrschelmann.

Der FG-Bau-Sprecher plädiert deshalb dafür, dass bei öffentlichen Ausschreibungen diese Auskünfte bei den Sozialkassen eingeholt werden, bevor die Aufträge an Baufirmen vergeben werden. »Leider wird das bislang nicht gemacht.«

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