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Silvester-Krawalle: »Debatte hatte neue Qualität«
Gesellschaftliche Spaltung verschärft antimuslimischen Rassismus in Berlin
In der Debatte um die Silvester-Krawalle sei mit falschen Zahlen hantiert worden und Expert*innen seien herangezogen worden, die vom Fach keine Ahnung hätten. Insgesamt hätten antimuslimische Äußerungen in der medialen Debatte eine neue Qualität gewonnen. Das glaubt zumindest Rüdiger José Hamm, Co-Geschäftsführer der Bundesarbeitsgemeinschaft religiös begründeter Extremismus (BAG RelEx). Die BAG RelEx ist eine Dachorganisation von insgesamt 35 zivilgesellschaftlichen Akteuren, die sich in der Extremismuspräventionsarbeit engagieren. Das Bündnis ist Teil des Demokratieförderprogramms der Bundesrepublik. Die Organisationen unterstützen etwa Menschen dabei, aus der radikalen Szene auszusteigen. Viele Mitglieder der BAG RelEx seien von der Debatte frustriert gewesen, sagte Hamm am Montag bei einer Podiumsdiskussion der Organisation. Sie hätten das Gefühl, es sei egal, wie sehr sie sich integrierten und anstrengten, um gegen Stigmatisierungen anzukämpfen. »Alles, wogegen sie ankämpfen, ist in der Debatte geballt wieder aufgekommen«, so Hamm.
Expert*innen diskutierten bei der Podiumsdiskussion über die Hintergründe sowohl von religiös begründetem Extremismus als auch von rechtsextremer Radikalisierung. Bei der öffentlich zugänglichen Veranstaltung war unter anderem die Bundestagsabgeordnete Martina Renner (Linke) anwesend. Radikalisierung gehe nicht nur von einer Seite aus, waren sich die Podiumsdiskutanten einig. Als Beispiel führten sie die Debatte um die Silvester-Krawalle in Neukölln an.
Renner zeigte sich überzeugt, dass Themen der Rechten von Parteien der Mitte aufgegriffen worden seien. »Der antimuslimische Diskurs hat Vorgeschichte. Seit die AfD in den Bundestag gezogen ist, sind Themen und Perspektiven, die die Partei besetzt, auch in Statements anderer Parteien eingeflossen«, sagt Renner, die Sprecherin für antifaschistische Politik der Linken-Fraktion im Bundestag ist. Die Öffentlichkeit habe Renner zufolge dabei das Bild einer homogenen Gruppe gezeichnet, die gegen den Staat agiere und rechtsfreie Räume schaffe. »Bemerkenswert ist, dass bei Randaleereignissen wie bei Fußballspielen niemals von rechtsfreien Räumen gesprochen wird, obwohl es eine ähnlich hohe Zahl an Verletzten gibt.«
Oft begünstigten soziale Unsicherheit und sinkendes Vertrauen in die demokratischen Organe Radikalisierungsprozesse, betonte Jamuna Oehlmann, Co-Geschäftsführerin der BAG RelEx, in einer einführenden Rede. Studien zufolge seien Jugendliche in Deutschland immer öfter sozial benachteiligt. Zugleich sinke ihr Vertrauen in demokratische Institutionen, sagte Oehlmann. Das werde von extremistischen Akteur*innen genutzt. Um entschieden dagegen zu handeln, brauche es ein stabiles Demokratieförderungsgesetz. Durch ein fest verankertes Gesetz könnten Projekte zur Prävention langfristig finanziert werden, statt wie zurzeit alle paar Jahre eine Verlängerung beantragen zu müssen. Ein solches Gesetz zu verabschieden, ist in der Koalitionsvereinbarung der Bundesregierung vorgesehen. Doch derzeit können sich die Ampelparteien nicht einigen.
Rüdiger José Hamm unterstrich, dass nicht nur prekäre Verhältnisse zu Radikalisierungsprozessen führten. Er verwies darauf, dass es aufgrund der Globalisierung auch in der Mittelschicht Verlustängste gebe. Dies trage zu einer verstärkten Radikalisierung im rechtsextremen Spektrum bei. »Sie bedienen feindselige Narrative auf den Islam und verstärken auch antisemitische, rassistische, sexistische und queerfeindliche Perspektiven«, sagte der Politologe, der auch das Kompetenznetzwerk »Islamistischer Extremismus« koordiniert. Im Bereich Islamismus wiederum sei zu beobachten, dass sich die Ideologien diversifizierten, so Hamm. Zunehmend seien Strömungen aktiv, die sich von dschihadistischen Gruppierungen wie dem IS unterschieden.
Um diesen Entwicklungen entgegenzuwirken, forderten die Podiumsteilnehmenden, mehr Formen politischer Teilhabe für Jugendliche auf lokaler Ebene zu schaffen. Linken-Politikerin Renner forderte etwa, das Wahlalter herabzusetzen oder das Wahlrecht für Migrant*innen mit dauerhaftem Aufenthalt in der Bundesrepublik auszuweiten. Kommunen könnten Mitbestimmung schaffen, indem sie Jugendliche am politischen Geschehen teilhaben ließen, etwa durch Jugendräte und Beiräte. Entscheidend sei dabei, dass der Anteil von bislang wenig vertretenen Menschengruppen erhöht werde. »Die Politik muss Bedingungen dafür schaffen, dass sich diese Gruppen repräsentiert fühlen«, sagt Renner.
Als Beispiel für eine lokale Form von Teilhabe führte Hamm ein Projekt an einer Schule in Pankow an. Dabei hätten Schüler*innen Konzepte erarbeitet, wie sie den Schulhof gestalten wollten. Am Ende habe sich herausgestellt, dass nicht genügend Budget vorhanden gewesen sei. Einige Schüler*innen hätten Hamm persönlich gesagt, das Projekt sei zwar schön gewesen, hätte ihnen aber nichts gebracht, weil sie nach ihrem Abschluss kaum Jobaussichten hätten. Damit sich Jugendliche mitgenommen fühlten, dürften solche Projekte nicht allein von oben herab entschieden werden. »Stattdessen müssen Schüler, Lehrer und sogar Reinigungskräfte oder der Kiosk neben der Schule einbezogen werden«, sagt Hamm. So könne »Partizipation erlern- und erfahrbar« gemacht werden.
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