Pandemie: It’s All Over Now, Baby Blue

Gibt es eine Normalität nach der Pandemie?

  • Bettina Wilpert
  • Lesedauer: 3 Min.
Schwangere und Gebärende gehörten zu denjenigen, die von der Pandemie besonders eingeschränkt waren
Schwangere und Gebärende gehörten zu denjenigen, die von der Pandemie besonders eingeschränkt waren
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Manchmal erinnern einzelne Menschen, die in Zügen Maske tragen, an vermeintlich längst vergangene Zeiten. Dabei gilt Corona erst seit letztem Jahr als endemisch, und nur etwas mehr als ein Jahr ist es her, dass das Robert-Koch-Institut im Juni 2022 Fallzahlen veröffentlichte. Trotz allem, was wir in den letzten Jahren über Pandemiebekämpfung gelernt haben, steigt die Zahl der Infektionen mit der neuen Corona-Variante »Eris« wieder, und der Epidemiologe Hajo Zeeb vom Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie rief dazu auf, sich bei Erkältungssymptomen wieder selbst zu testen. Corona offenbarte uns zahlreiche gesellschaftliche Probleme, und kurz schien es, als würde sogar einiges besser werden: Die Luft war ohne Flugverkehr klarer, Menschen in Care-Berufen bekamen ansatzweise die verdiente Anerkennung, und es war in aller Munde, Risikogruppen zu schützen. Für Erzieher*innen oder Pflegekräfte hat sich seitdem aber nichts an ihrer Arbeitssituation verbessert, immer mehr von letzteren geben diesen Beruf sogar ganz auf.

Vergessen scheint der Schutz von Risikogruppen wie chronisch kranken Menschen, denn sie sind sowieso unsichtbar in unserer Gesellschaft. Nicht nur vulnerable Gruppen sollten das Virus weiterhin nicht unterschätzen; laut einer aktuellen Studie ist das Risiko für gesundheitliche Beschwerden auch zwei Jahre nach der eigentlichen Infektion erhöht. Auch für Long Covid gibt es bisher keine Behandlung. Krankenhäuser haben wieder auf Normalbetrieb geschaltet, und auch in den Schulen läuft der Unterricht, als wäre nichts gewesen, obwohl laut einer Metastudie den Schüler*innen im Durchschnitt 35 Prozent des sonst in einem Schuljahr erzielten Lernfortschritts fehlt. Die Auswirkungen auf das soziale Miteinander in der Schule wurden gar nicht erfasst, dürften jedoch weiterhin nachwirken. Im Gespräch mit der »Taz« konstatierte der Sozialwissenschaftler Klaus Hurrelmann, die Bundesregierung nehme zwar die medizinischen Langzeitfolgen der Corona-Pandemie ernst, aber nicht die psychischen und sozialen. Die Menschen seien erschöpft, und er sehe eine Analogie zum Krankheitsbild der posttraumatischen Belastungsstörung. Gibt es also überhaupt eine Normalität nach der Pandemie?

Ich merke an mir selbst, wie sehr die einsamen Corona-Winter mich weiterhin belasten. Mein erstes Kind bekam ich mitten im Lockdown des zweiten Jahres der Pandemie. Ich hatte keine traumatische Geburt, aber denke ich an die Umstände zurück, bekomme ich einen Kloß im Hals. Mein Partner durfte zur Geburt selbst zwar anwesend sein, doch die Tage davor und danach, die ich im Krankenhaus war, durfte er nicht zu Besuch kommen und seine neugeborene Tochter nicht sehen. Es dauerte Monate, bis ich mein Kind Familie oder Freund*innen auf dem Arm halten ließ, aus Angst vor Ansteckung. Ich bin gerade mit meinem zweiten Kind schwanger, und diese »normale« Schwangerschaft ist so anders. Durch sie kann ich meine vorherige verarbeiten. Ich habe die Ressourcen und die Möglichkeit zu dieser Verarbeitung. Es bräuchte jedoch eine gesamtgesellschaftliche Aufarbeitung, psychologische Beratungsangebote für die, die auf den Intensivstationen gearbeitet haben, mehr Unterstützung für die Alleinerziehenden sowie die Kinder und Jugendlichen, die keine Lobby haben, aber die schwerste Last tragen mussten. Und zwar bevor der nächste Ausnahmezustand kommt. Bettina Wilpert

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