- Kultur
- 50 Jahre Putsch in Chile
»El Pueblo Unido«: Signal zur Solidarität
Die Ausstellung »El Pueblo Unido« im Berliner Kino »Babylon« erinnert daran, wie nach dem 11. September 1973 durch die DDR und in der Bundesrepublik der Kampf gegen die Pinochet-Diktatur in Chile unterstützt wurde
Es ist ein kreativer Ort, das ist gleich zu spüren: Das kleine und mit vielen Kunstwerken an den Wänden keineswegs nüchtern wirkende Büro der beiden Ausstellungsmacher Claudia Opitz und Sebastian Köpcke befindet sich im Parterre eines zweistöckigen Mehrfamilienhauses. Auf Tischen stapeln sich Bücher und Broschüren, auf vielen Covern sticht das Wort Chile heraus. Das Anwesen mit der hier typischen Remise plus Garten steht und liegt an einer ruhigen Nebenstraße in Friedrichshagen am südöstlichen Stadtrand von Berlin.
Diese unter dem Alten Fritz für böhmische Kolonisten am Nordufer des Großen Müggelsees gegründete Siedlung entwickelte sich im folgenden Jahrhundert zur Villenkolonie und erlebte ihren Boom an seinem Ende, als nach der Reichsgründung 1871 an der nun zur Friedrichstraße gewordenen Dorfstraße immer mehr repräsentative Wohn- und Geschäftshäuser entstanden.
Heute heißt die Magistrale des etwas abgeschirmt von der Metropole liegenden und eigentlich zu Köpenick gehörenden Ortsteils, der noch immer wie eine eigene Kleinstadt wirkt, nach Wilhelm Bölsche. Damals kam der dem Naturalismus anhängende Schriftsteller hier mit Bruno Wille, Christian Morgenstern, Erich Mühsam und anderen literarischen Größen seiner Zeit im Friedrichshagener Dichterkreis zusammen. Auch zu Zeiten der DDR galt der bei den eigentlichen Berlinern beliebte Ausflugsort als ein Refugium für Literaten und Bildende Künstler. Mit einer großen Dichte an Werkstätten und Galerien wird dieses Erbe bis heute in Friedrichshagen fortgesetzt.
Um ein Erbe, ein politisches und kulturelles, geht es in diesen Tagen auch bei dem Projekt des Friedrichshageners Sebastian Köpcke, der seit mehr als drei Jahrzehnten als Ausstellungsmacher, Autor und Fotograf für Museen und Einrichtungen im In- und Ausland tätig ist. Claudia Opitz, die zusammen mit dem Gebrauchsgrafiker an der Präsentation mit dem Titel »El Pueblo Unido – Erinnerung an den 11. September 1973« arbeitet, ist nicht zuletzt die Organisatorin im Team.
Ab dem heutigen Montag, dem 50. Jahrestag des CIA-geförderten Putsches gegen die demokratisch gewählte Regierung unter dem Sozialisten Salvador Allende, werden im Ausstellungsraum des Kinos »Babylon« am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin-Mitte ihre Tafeln mit grafischen Zeugnissen aus beiden deutschen Staaten zur damaligen Solidarität mit Chile zu sehen sein. Die Ausstellung im Spiegelraum des traditionsreichen Lichtspielhauses geht bis zum 25. Oktober.
»Dieser 11. September«, sagt Claudia Opitz, »brannte uns unter den Nägeln.« Opitz ist auch als Gesundheitscoach und Personaltrainerin sowie schriftstellerisch tätig. Aus einem gemeinsamen Kinderbuchprojekt mit Sebastian Köpcke vor sechs Jahren wurde eine dauerhafte Kooperation. Beide sind vom Jahrgang 1967 und in der DDR-Hauptstadt geboren. Die Chile-Ausstellung ist kein Auftragswerk, sondern wird von ihren Überzeugungen und ihrem Enthusiasmus getragen. Das »Babylon« hatte sofort zugesagt, dafür Räume zur Verfügung zu stellen.
Die damaligen Ereignisse in Chile selbst wollen Opitz und Köpcke im »Babylon« nicht nacherzählen. Über diesen Teil der Geschichte könne man an vielen Stellen etwas lesen oder aus Dokumentarfilmen erfahren. »Was uns interessiert hat, war die Rückwirkung der dortigen Ereignisse auf Deutsche in Ost und West, ihr Impuls für die Solidaritätsbewegung und deren Ausdrucksformen«, hebt Sebastian Köpcke hervor. Zudem habe sich die Auseinandersetzung mit dem Thema Chile über weite Strecken auf der künstlerischen Ebene abgespielt, was für sie als Ausstellungsmacher zusätzlich reizvoll sei.
Bei ihrer Recherche über Monate sind die beiden auf eine gewaltige Menge an Material gestoßen, von Flugblättern und Plakaten bis zu Plattencovern und Buchtiteln. Auf den ersten Blick überwiegen die Ost-West-Gemeinsamkeiten. So wurde in der DDR wie der Bundesrepublik von den Agitatoren auf dieselben ikonischen Bilder zugegriffen: der Panzer in einer Straße von Santiago, das letzte Foto von Allende mit einer Maschinenpistole am Eingang der Moncada, das versteinerte Gesicht von General Augusto Pinochet mit Sonnenbrille, umgeben von weiteren am Putsch beteiligten Militärs.
Fündig wurden Opitz und Köpcke unter anderem beim Deutschen Plakatmuseum in Essen und in verschiedenen Archiven, nicht zuletzt dem APO-Archiv an der FU Berlin, das die Geschichte der Außerparlamentarischen Opposition und Studentenbewegung dokumentiert. Die Art und Weise, wie sich die Solidaritätsbewegung im Westen äußerte, erklärt sich mit ihrem Entstehen in linken Kreisen aus eigenem Antrieb. »Im Osten war das ja staatlich gewollt und begleitet und wurde aktiv gefördert«, erläutert Köpcke. In der DDR habe man sich beim Chile-Thema stark auf das Künstlerische und Visuelle konzentriert. Darunter sei viel großformatige Kunst gewesen, die öffentlich ausgestellt wurde.
In der BRD und Westberlin lagen die Dinge da etwas anders. Das Material, auf das die Ausstellungsmacher gestoßen sind, macht das deutlich: Bildhafte Darstellungen sind hier oft mit politischer Aufklärung verbunden, die markig, propagandistisch herüberkommt, Handreichungen für politische Aktionen enthält und zu solchen mobilisiert, von Demoaufrufen über Blutspendetermine bis zum Hungerstreik. Dieser Aktivismus richtete sich nicht nur gegen die rechte Diktatur in Chile, sondern klar adressiert auch gegen politische Widersacher im eigenen Land. »Da werden dann auch SPD und CDU angegriffen und der Kollaboration mit dem Regime bezichtigt«, berichtet Sebastian Köpcke. »Nennen wir sie mal Mittäter«, ergänzt Claudia Opitz.
Pinochets Putsch hat sich bei beiden tief ins Gedächtnis eingeschrieben und sie bereits im Kindesalter stark bewegt. Unabhängig voneinander schildern sie es als ein Ereignis, das ihr politisches Bewusstsein früh mitgeprägt hat. Wie auch der Vietnamkrieg, dessen Grausamkeit über Zeitungen und Fernsehen überall vermittelt wurde.
Der Schulalltag, das ganze gesellschaftliche Leben seien damals von einem Solidaritätsgedanken durchdrungen gewesen, erinnert sich Claudia Opitz. Wie viele andere Kinder habe sie Postkarten geschrieben, die »Freiheit für Luis Corvalán« forderten, den nach dem Putsch eingekerkerten Generalsekretär der Kommunistischen Partei Chiles. »Wir haben Corvalán mit Kuchenbasar freigekämpft«, sagt Opitz halb im Scherz. »So war die Wahrnehmung, so fühlte sich das an.« Natürlich sei Solidarität in der DDR nicht immer nur als Kür, sondern manchmal auch als Pflicht empfunden worden, merkt Köpcke an. »Ich habe aber deshalb jetzt auch im Nachhinein nicht das Gefühl, im falschen Staat gelebt zu haben.«
Ihre Ausstellung spiegelt auch wider, wie Chile für Linke in Ost- und Westdeutschland als Projektionsfläche diente. Schließlich verkörperte der ferne Andenstaat, wo mit Wahlen statt blutiger Revolution am Rad der Geschichte gedreht worden war, einen Anlauf zum Sozialismus auf die freundliche Art.
Für die Solidaritätsbewegung bewirkte das, dass sie nicht bei null beginnen musste. Bereits mit dem Sieg von Salvador Allende bei den Präsidentschaftswahlen 1970 und den von seiner Unidad Popular vorangetriebenen sozialen und wirtschaftlichen Umwälzungen hatte Chile ein großes Echo und Unterstützung bei fortschrittlichen Kräften in aller Welt erfahren.
Für die besondere Ausstrahlung Chiles in dieser Zeit spricht auch die große Bekanntheit, die progressive Künstler aus diesem vorher wenig beachteten Land weit über Lateinamerika hinaus erlangten. Musikgruppen wie Quilapayún und Inti-Illimani, der Musiker Víctor Jara oder die Liedermacherin Isabell Parra waren auch bei Deutschen in Ost und West populär. »Chile hat ein Menschenbild gezeichnet, das ganz weit vorgegriffen hat«, schwärmt Sebastian Köpcke.
Die politischen Flüchtlinge, oft Intellektuelle, die sich nach dem Pinochet-Putsch ins Exil retteten, kamen so gewissermaßen nicht als Fremde. Sowohl im Osten wie im Westen waren diese Chilenen willkommen. In mittlerweile zwei Dutzend Zeitzeugengesprächen, die ergänzend zur Ausstellung auf der Webseite ok-projekt.de und bei Youtube zu finden sind, lassen Opitz und Köpcke solche früheren Exilanten mit ihren Erinnerungen zu Wort kommen. Etwa den Schauspieler und Regisseur Alejandro Quintana, der 1973 in die DDR emigrierte. Außerdem berichten hier Menschen von ihren Erfahrungen, die damals beruflich mit Chile befasst waren. Vertreten sind Diplomaten, Politiker, Künstler, Journalisten und Fotografen sowie Aktivisten der Friedens- und Solidaritätsbewegung.
Den dritten Baustein zum Projekt von Opitz und Köpcke liefert die 1974 von Floh de Cologne veröffentlichte Rock-Kantate »Mumien«, in der die Kölner den Putsch in Chile kraftvoll und emotional verarbeitet haben. Bei der Ausstellungseröffnung am Montagabend ab 18.30 Uhr im »Babylon« wird das Musikstück in Kombination mit einer Film-Collage wieder zu erleben sein. Von der 1983 aufgelösten Politrock-Band hat sich Dieter Klemm angekündigt.
Der Putsch erschütterte eine damals zum Zeitgeist gehörende scheinbare Gewissheit eines stetigen und unaufhaltsamen Vormarsches des Sozialismus in der Welt. Der 11. September war zwar ein mobilisierender Moment, aber noch mehr ein tiefer Schock. Nachdem die USA beschlossen hatten, dass Allende weg muss, hätten die Chilenen »keinerlei Chance« gehabt, schätzt Sebastian Köpcke ein. Die Brutalität, mit der dieser Regime change mit westlicher Beihilfe dann umgesetzt wurde, habe damals viele entsetzt.
Für Claudia Opitz ist das Ende von Allendes Chile das Aufwachen aus einem naiven Traum, der auch für die Linke heute Lehren bereithält. »Man hatte damals völlig verkannt, dass die Kreise, die da gestört wurden, sich das niemals bieten lassen würden.« Wenn es an den Kern ihrer Interessen gehe, werde eben auch zu faschistoiden Mitteln gegriffen.
Nicht nur aus der historischen Perspektive ist das Thema Chile für Claudia Opitz und Sebastian Köpcke weiter bedeutsam. Dabei verweisen sie auf das neoliberale Experiment, dem das Land nach dem Putsch unterworfen wurde. Er stand am Beginn einer unheilvollen Entwicklung, die auch heute und hier ihre Wirkung längst entfaltet hat. Chiles 11. September ist auch nach 50 Jahren noch eine offene Wunde.
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