Linkes EU-Wahlprogramm: Für Umverteilung und Klimagerechtigkeit

Linke-Spitze stellt Entwurf des Programms zur Europawahl 2024 vor

Wahlprogramme werden selten gelesen – selbst Mitglieder kennen die ihrer eigenen Partei meist nicht. Auch der Entwurf für ein Europawahlprogramm der Linken, den die Vorsitzenden am Montag der Presse vorstellten, ist einmal mehr ein Konvolut von 85 Seiten mit fünf Haupt- und zahlreichen Unterkapiteln. Die Schwerpunktthemen sind soziale Gerechtigkeit, Klimaschutz, Frieden und Mitbestimmung. Im Parteivorstand wurde es am Sonntag einstimmig beschlossen, wie der Kovorsitzende Martin Schirdewan am Montag in Berlin betonte. Schirdewan soll nach dem Willen der Parteispitze auf Platz eins der Linke-Liste zur Europawahl kandidieren. Bereits jetzt ist er auch Ko-Fraktionschef der Linken im Europaparlament (EP).

Die Experten in der Partei wie außerhalb werden nun mit der Exegese loslegen: Was hat es zu bedeuten, dass »Frieden und soziale Gerechtigkeit weltweit« erst nach den Großkapiteln zum »sozialen und ökologisch gerechten« Umbau der Wirtschaft und dem Kapitel »Klimagerechtigkeit!« folgt? Mancher mag das zum Beweis dafür nehmen, dass Die Linke »grüner werden will als die Grünen«. Und dass sie sich von ihren friedenspolitischen Grundsätzen verabschieden wolle. Tatsächlich fällt es auf, dass das Kapitel zur Friedens- und Außenpolitik gegenüber dem Europaprogramm 2019 um drei Ränge nach hinten gerutscht ist: von Platz eins auf Platz vier, und das im Jahr zwei des Ukraine-Kriegs.

An erster Stelle steht die Sozialpolitik unter dem Motto »Umverteilen für soziale Gerechtigkeit«. Das, sagt Schirdewan, sei dringend nötig in Zeiten, in denen »die Ungleichheit ungebremst« wachse, in denen die Lebensmittelpreise dramatisch gestiegen seien und Energie »für viele noch immer ein Luxusgut« sei. Derweil habe die EU-Kommission unter ihrer Präsidentin Ursula von der Leyen (CDU) die EU »in eine neue Blockkonfrontation hineinregiert«.

»Grundprinzip« der Linken bleibe es hingegen, an der Seite der Menschen mit mittleren und geringen Einkommen, der Gewerkschaften und sozialen Bewegungen zu stehen. Bündnisse mit solchen Organisationen hätten der Linksfraktion im EP auch bisher zu mehr Durchsetzungskraft verholfen, als es ihrem Stimmen- und Mandateanteil entspreche. Schirdewan verwies darauf, dass die Linke »massive Verbesserungen für Plattformarbeiter« und die europäische Mindestlohnrichtlinie »maßgeblich durchgesetzt« habe. Nach dieser Richtlinie, ergänzte die Kovorsitzende Janine Wissler, müsste der deutsche Mindestlohn im kommenden Jahr auf 14,12 Euro steigen. Die Mindestlohnkommission hatte im Juni eine Anhebung von derzeit zwölf auf lediglich 12,41 Euro beschlossen.

nd.Kompakt – unser täglicher Newsletter

Unser täglicher Newsletter nd.Kompakt bringt Ordnung in den Nachrichtenwahnsinn. Sie erhalten jeden Tag einen Überblick zu den spannendsten Geschichten aus der Redaktion. Hier das kostenlose Abo holen.

Die Linke fordere »Vorfahrt für öffentliches Eigentum anstelle von Privatisierungsorgien«, sagte Schirdewan. Sie verlange eine »europäische Zeitenwende für soziale Gerechtigkeit, Klimaschutz und Frieden«. Man wolle »durchaus auch mit einer Klassenperspektive den Reichen und Mächtigen« die rote Karte zeigen. Zugleich betonte er, Die Linke mache einen solidarischen Wahlkampf, der »nicht auf Ressentiment basiert«. Der Rechtsentwicklung in Europa stelle sie sich »mit Klarheit entgegen«.

Klassenkämpferisch präsentierte sich auch Wissler. »Wer Europa will, muss es den Reichen nehmen«, betonte sie und fügte hinzu: »Wir streiten für ein gutes Leben für alle in der EU und weltweit.« Derzeit erlebe Europa nicht die »Lohn-Preis-Spirale«, vor der unternehmernahe Wirtschaftsexperten stets warnen, sondern eine »Profit-Preis-Spirale«.

Die Linke wolle »überall gute, mit Tarifverträgen abgesicherte Arbeit« durchsetzen. Öffentliche Aufträge dürften »nicht an Unternehmen vergeben werden, die Lohndumping betreiben«, sagte Wissler. Im Programmentwurf wird zudem für die breite Einführung der Vier-Tage-Woche plädiert.

Im Gesundheitswesen und im Energiesektor will Die Linke Schluss machen mit der »Profitorientierung«. Wie in Deutschland, so tritt die Partei auch in der EU für eine Aufhebung von Schuldenbremsen ein. Denn, so Wissler: »Schuldenbremsen sind Zukunftsbremsen.« Zudem brauche es eine Übergewinnsteuer auf europäischer Ebene und einen Mindeststeuersatz von 25 Prozent auf alle Unternehmensgewinne. Aktuell sei eine »Investitionsoffensive für die öffentliche Daseinsvorsorge« nötig – für Verkehrs- und Klimawende zum Beispiel.

Schirdewan betonte, bei all dem gelte es, die »industrielle Basis und Arbeitsplätze zu erhalten« und den »klimagerechten Umbau« der Wirtschaft zu fördern. Zugleich fordere Die Linke, dass Unternehmen, die mit staatlichen Geldern gerettet worden sind, keine Dividenden an ihre Aktionäre ausschütten dürfen, um zu verhindern, dass Steuerzahlergeld in deren Taschen wandert.

Detailliert äußert sich Die Linke im Programmentwurf zu Verkehrs-, Mieten-, Gesundheitspolitik, zu Steuer- und Finanzpolitik. Und natürlich zur Klimapolitik und Klimagerechtigkeit. »Wer den Klimawandel begrenzen will, muss sich mit den Konzernen anlegen«, betonte Wissler. Demgegenüber wälze die Bundesregierung die Verantwortung »auf den Einzelnen ab«. Die Linke streite für ein Klimageld zur Entlastung der Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen europaweit. »Energiesperren, die Arme betreffen, wollen wir überall verbieten«, sagt Wissler. Zudem plädiere man für ein »Investitionsprogramm für kostenfreien ÖPNV europaweit«. Man wolle »die United Railways of Europe« (Vereinigte Eisenbahnen Europas) schaffen und die Bahn »zum wichtigsten Verkehrsmittel in Europa machen« mit EU-weitem Fahrplan und gedeckelten Fahrpreisen.

Zu den außenpolitischen Forderungen des Programms erläuterte Schirdewan, man trete für ein »geeintes Europa« ein, »das sich dem Frieden verpflichtet sieht«. Die EU-Politik müsse »Doppelstandards überwinden« und ihre Stimme nicht nur gegen die russische Invasion der Ukraine erheben, sondern auch dann, »wenn das Nato-Mitglied Türkei einen Angriffskrieg gegen Kurden in Irak und Nordsyrien führt«.

Die Linke stehe weiter gegen Aufrüstung und die Militarisierung der EU-Außenpolitik, gegen Subventionen für Rüstungskonzerne und für ein generelles Exportverbot für Waffen und andere Rüstungsgüter in Konfliktgebiete, versicherte Schirdewan und fügte hinzu: »Die Aufrüstungsverpflichtung wollen wir aus den EU-Verträgen streichen.« Zudem trete Die Linke dafür ein, dass die EU-Staaten »endlich dem Atomwaffenverbotsvertrag der Vereinten Nationen beitreten«. Für ein schnelles Ende des Ukraine-Kriegs wird im Programmentwurf eine diplomatische Initiative der EU zusammen mit Brasilien, Indien und China gefordert.

Klar spricht sich Die Linke gegen die jüngst beschlossene Verschärfung der EU-Asylpolitik aus. Die Bilanz der EU-Abschottungspolitik seien Zehntausende im Mittelmeer Ertrunkene, sagte Wissler. Der Programmentwurf sei ein »Angebot an alle, die sich ein soziales, ein demokratisches, ein friedliches Europa« einsetzen.

Der Programmentwurf soll nun mit der Parteibasis »breit diskutiert« werden, wie Linke-Bundesgeschäftsführer Tobias Bank betonte. Beschlossen werden soll das Wahlprogramm auf dem Europaparteitag Mitte November in Augsburg.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.