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Wortwitz komm raus, du bist umzingelt
Food for Thought (Teil 12): Hick-Hack-Hurra. Warum müssen vegane Produkte immer so klingen, als wären sie was anderes?
Eine junge Frau mit Birkenstock-Sandalen und lose zusammengebundenem Haar steht amüsiert vor dem Kühlregal. Neben ihr ein Mann mittleren Alters, der seine Brille zurechtrückt und die Stirn in Falten legt. Seine Lippen versuchen die Wörter nachzuformen, die auf den bunten Verpackungen abgedruckt sind: Sim Sala Mi, Mozzalino, Chick-Curry-Ki, Lasagn-Yeah … Wie bitte?
Vegane Lebensmittel sind mitten in der Gesellschaft angekommen. Im Supermarkt haben sie ihre eigene Abteilung oder mischen sich keck unter das Standardsortiment. Statt Produkte aus Massentierhaltung finden wir jetzt die massenhafte Ausbeutung sprachlicher Kreativität im Kühlregal: Ob Chickeriki Streifen, Hick-Hack-Hurra oder Beflügel Nuggets – der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt.
Da haben wir den Vleischsalat! Wer vegan leben möchte, muss nun nicht nur die Ernährung umstellen, sondern auch den Sprachgebrauch. Bei Wörtern wie Veyona, Vegarella und Come On Bert wissen aber selbst die eingefleischtesten Veganer*innen nicht auf den ersten Biss, womit sie es zu tun haben. Wie ist es zum Beispiel mit dem »Wie’n Schnitzel«? Soll das einfach wie’n Schnitzel schmecken oder wie’n Wiener Schnitzel?
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Als wären Cevapcici nicht schon schwer genug über die Zunge zu bringen, macht man Vevapcici draus. Da wird uns die Wahl der veganen Alternative artikulatorisch nicht gerade leicht gemacht. Bei Bezeichnungen wie »Ohne Muhhh«, »No Milk« oder »M*LK« trinkt man seinen Kaffee dann doch lieber schwarz.
Vielleicht ist die Unaussprechlichkeit der Produkte aber auch eine Strategie, um sich vor Klagen der Konkurrenzindustrie zu schützen. Und weil immer noch viele am Geschmack veganer Ersatzprodukte zweifeln, beteuern manche Marken die Genießbarkeit schon im Produktnamen: Streichgenuss, Reibegenuss, Pastagenuss, Hirtegenuss, Grill & Pfannen-Genuss, Genießerscheiben, you name it. Man muss es sich nur lange genug einreden, dann wird auch das vEGGie irgendwann PerfEGGt schmecken.
Aber warum eigentlich all diese veganen Ersatzprodukte? Das Hauptargument scheint ganz einfach: Der Mensch ist ein Gewohnheitstier, Veränderung soll, wenn überhaupt, so unmerklich und mühelos wie möglich passieren. Vor einigen Jahren ging es beim Veganismus tatsächlich noch um Verzicht, aber diese Zeiten sind nun endlich vorbei. Wer das Leid, das in der Produktion tierischer Produkte steckt, nicht mehr unterstützen möchte, soll nicht auf deren Genuss verzichten müssen. Für alles gibt es jetzt eine Alternative, die nicht nur gleich schmeckt und aussieht, sondern auch noch beinahe gleich klingt.
Vegane Ernährung ist längst keine Ausnahmeerscheinung in neureichen Öko-Haushalten und studentischen WGs mehr, sondern mittlerweile in großen Fast-Food-Ketten angekommen. Die Supermarktregale für vegane Produkte werden immer länger und die Auswahl darin immer größer. Die Nachfrage steigt und das Angebot wächst – und daran ist erst mal nichts auszusetzen. Wir müssen alle weniger tierische Produkte essen. Wenn nicht aus Liebe zu den Tieren, dann doch zumindest aus Liebe zum eigenen Überleben. Denn der Ausstoß an Treibhausgasen aus der Tierhaltung trägt signifikant zum globalen Klimawandel bei, der uns alle betrifft.
Der moderne Veganismus soll massentauglich werden, also fügt er sich in eine Welt, in der wir immer alles haben können und auf nichts verzichten müssen, in der wir nichts mehr selbst herstellen, sondern alles in buntem Plastik serviert bekommen. Eine grüne Verpackung mit zwanzigprozentigem Anteil an recycelten Materialien reicht dann für das gute Gewissen. Aber auch nachhaltiger Konsum ist immer noch Konsum und hat seine Folgen. Wenn wir zu veganen Ersatzprodukten greifen, können wir zwar die Auswirkungen tierischer Produkte auf Umwelt und Tiere vermeiden, die gesundheitlichen Nachteile industriell hergestellter Lebensmittel tragen wir aber weiterhin – und deren Verpackungsmüll mit uns nach Hause.
Die vegane Lebensmittelindustrie versucht so nah wie möglich an das tierische Original zu kommen, indem sie Geschmack, Konsistenz und Aussehen bis zur Verwechslungsgefahr imitiert. Eine ähnliche Strategie scheint nun auch das Marketing zu verfolgen: Die originalgetreuen Produktnamen geben uns das Gefühl, dass wir kaum etwas ändern müssen, um etwas zu verändern. Wir können wie gewohnt weiter konsumieren, ganz ohne schlechtes Gewissen, sogar mit dem Gefühl, etwas Gutes zu tun. Verzicht ohne Verzicht: Jackpot!
Für alles, was wir aufgeben, wollen wir einen Ersatz finden, der uns das Gefühl gibt, keine Einbußen in unserem Konsumverhalten machen zu müssen. Mit erzwungenen Begriffsimitationen stößt man aber an sprachliche Grenzen: Die ausgefallenen Produktnamen und der gewollte Sprachwitz wecken zwar erst mal Interesse, tendieren allerdings dazu, einen Großteil der Bevölkerung zu irritieren und abzuschrecken. Vegane Ernährung ist nun einerseits zugänglicher und einfacher als je zuvor, andererseits stellen die Wortneuschöpfungen neue sprachliche Hürden auf. Neben Ersatzprodukten wird eine ganze Ersatzsprache geschaffen, mit der sich der Veganismus abzuspalten droht und Gefahr läuft, sich nur auf eine kleine privilegierte Zielgruppe zu konzentrieren.
Lebensmittel kann man ersetzen, Geschmack lässt sich imitieren, aber der Fisch mit V wird wohl erst mal nicht in den Duden einziehen. Bisher verkauft sich der sprachliche Witz noch recht gut, die Frage ist nur, wie weit er sich treiben lässt. Wer sich ohnehin schon vegan ernährt, wird sich gut amüsieren, aber gerade diejenigen, die etwas Vertrautes suchen, werden davon nicht angesprochen. So muss sich die eine oder andere Marketingfirma wohl doch irgendwann eingestehen: Laxxs mit Doppel-X: das war wohl nix!
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