»Music for Black Pigeons« im Kino: Feier des Augenblicks

Die dänische Dokumentation »Music for Black Pigeons« ist dem Wesen des Jazz auf der Spur

  • Andreas Schnell
  • Lesedauer: 4 Min.
»Wenn man mit ihnen spielt, werden sie Teil von einem«, sagt der Komponist Jakob Bro.
»Wenn man mit ihnen spielt, werden sie Teil von einem«, sagt der Komponist Jakob Bro.

Seit vor mehr als hundert Jahren Nachfahren afrikanischer Sklaven in den USA Blues, Ragtime und andere Spielweisen zu dem amalgamierten, was wir heute Jazz nennen, hat sich diese Musik, die vielleicht eher ein Prinzip ist, in unendliche viele Sub-Genres aufgefächert: von den Wurzeln verpflichteten Formen bis hin zu kühnen Fusionen mit beinahe allem, was es sonst noch so an Musik gibt auf dieser Welt. Der afroamerikanische Ethnomusikologe Travis A. Jackson bestimmte mit Swing, Improvisation, Gruppeninteraktion, der Entwicklung einer individuellen Stimme und der Offenheit für unterschiedliche musikalische Möglichkeiten die wesentlichen Parameter dieser Kunstform, deren Protagonistinnen und Protagonisten heute aus aller Welt kommen. Einige von ihnen, namhafte und weniger namhafte, stellen die Filmemacher Andreas Koefoed und Jørgen Leth in dem Film »Music for Black Pigeons« vor, an dem sie in den letzten 14 Jahren gearbeitet haben.

Im Zentrum steht der 1978 geborene dänische Gitarrist und Komponist Jakob Bro, den die beiden Filmemacher bei seiner Arbeit begleiten. Bro steht für einen melodischen, reduzierten Stil, wie er im nordeuropäischen Jazz nicht unüblich ist. Und das prägt »Music for Black Pigeons« auch auf der Klangspur. Cool-Jazz-Legende Lee Konitz, im April 2020 im Alter von 92 Jahren gestorben, beschreibt Bros Kompositionen gar als schlichte Folk-Songs, »not much to it«, nichts Besonderes. Was aber gar nicht herablassend oder gar böse gemeint ist. Beim Treffen im Studio begegnen sich die Musiker (ja, in diesem Film spielen vor allem Männer zusammen und überwiegend weiße Männer) auf Augenhöhe. Der Gitarrist Bill Frisell beschreibt auf dem Weg zu einer gemeinsamen Session mit Bro, Konitz und anderen seine Kollegen als einige seiner Lieblingsmenschen auf der Welt. Ihr Zusammentreffen gerät entsprechend herzlich, die Gesichter der Beteiligten strahlen nach dem Moment des gemeinsamen Schaffens. Solche Momente gibt es viele in diesem Film. Und in diesen Szenen kommt »Music for Black Pigeons« einem wesentlichen Aspekt des Jazz sehr nahe.

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Denn so unterschiedlich die Musiker und Musikerinnen sind, so verschieden ihre Biografien, ihre kulturellen Hintergründe, so innig sind sie einander in der Hingabe an den Moment verbunden, in dem Musik entsteht, die sich zwar aufschreiben, vor dem inneren Ohr vorstellen und schließlich auch in ihrer klanglichen Substanz dokumentieren lässt. Aber eigentlich ist Musik eben auch eine Feier des Augenblicks, der Gemeinschaft, der kollektiven Produktion. Und das gilt für den Jazz wohl noch mehr als für die meiste andere Musik.

Schon in der ersten Szene drückt Lee Konitz das auf seine lakonische Art aus. »Jedes Mal, wenn ich eine Note auf der Tute spiele, denke ich: Woher kam das jetzt? So in etwa. Das hatte ich gar nicht geplant.« Wenig später sehen wir ihn, wie er auf dem Saxophon spielt, aber immer wieder abbrechen muss, weil seine Lippe wehtut. Im Grunde auch das ein Hinweis auf das Jetzt, auf die konkreten Bedingungen, auf die Musiker und Musikerinnen stoßen und die Teil des großen Kontinuums sind, in dem der Jazz sich immer wieder neue Wege bahnt.

Was »Music for Black Pigeons« weniger ist, ist eine Bestimmung dessen, was Jazz heute ist, mit seinen Brutstätten in Chicago und London, in denen Kontinuum eben auch heißt: Jazz als Freiheitsmusik, als Stimme der Geächteten, der Unterdrückten, besonders vehement in der Auseinandersetzung mit der Rassentrennung, im Kampf um Bürgerrechte, im ästhetischen Aufstand der Beat Generation oder auch bei Peter Brötzmann (»Machine Gun«) als künstlerische Antwort auf die Grausamkeiten des Krieges in Vietnam.

Aber das ist eben nur eine Seite dieser Musik, die immer auch darin bestand, die Ausdrucksmöglichkeiten des Individuums im Kollektiv auszuloten und immer wieder zu erweitern. Und wenn in »Music for Black Pigeons« eher ruhige Stilistiken dominieren, in langen Einstellungen tief in die Töne und manchmal auch in die Stille hinein gelauscht wird, gibt es auch Momente, in denen jene anderen, ekstatischeren, wilderen Seiten des Jazz aufscheinen. Wenn beispielsweise der Schlagzeuger Andrew Cyrille auf seinem Instrument den Takt in brodelnde Polyrhythmik auflöst oder die japanische Perkussionistin Midori Takada Donnergrollen produziert.

Gewidmet ist der Film Lee Konitz, Paul Motian, Jon Christensen und Tomasz Stanko, die in den vergangenen Jahren starben – und die in »Music for Black Pigeons« nicht nur in Bild und Ton weiterleben. In einer der vielen intimen Szenen dieses ruhig, aber konzentriert erzählten Films reflektiert der Musikproduzent Manfred Eicher über Stanko, der dem europäischen Jazz ab den frühen 60er Jahren wesentliche Impulse gab. Während er mit Jakob Bro Aufnahmen hört, die jener mit Stanko gemacht hat, sagt Bro: »Wenn man mit ihnen spielt, werden sie Teil von einem.«

»Music for Black Pigeons«; Dänemark 2022. Regie: Jørgen Leth und Andreas Koefoed, 92 Min. Jetzt im Kino.

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