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»Outside the Box«: Die Möglichkeit des Kampfs
Die neue Ausgabe der Zeitschrift »Outside the Box« widmet ihre Gesellschaftskritik den globalen feministischen Kämpfen
»Es gibt gegenwärtig keine Frauenbewegung (und deswegen machen wir Theorie)«, fasst Constanze in einem Interview die Erzählung zusammen, die ihre feministische Sozialisierung prägte. »Mittlerweile spüre ich ein Verlangen nach einer feministischen Bewegung, und ich vermisse sie fortwährend als Möglichkeit« – nämlich die Möglichkeit, das Leben jenseits der bestehenden Zwänge wirklich anders zu gestalten. Theorie bleibt in diesem Zusammenhang so etwas wie die Möglichkeit der Möglichkeit und muss sich entsprechend ins Verhältnis setzen zu den realen feministischen Bewegungen, sprich Kämpfen.
Daher ist es nur konsequent, dass sich die neue Ausgabe der Zeitschrift für feministische Gesellschaftskritik »Outside the Box« dem Thema »Kämpfe« widmet. Die Redaktion des Leipziger Kollektivs beschreibt die Motivation mit einem Zwiespalt. Einerseits ließ sich in den vergangenen Jahren ein Missverhältnis zwischen der doch beträchtlichen feministischen Theoriebildung, vom materialistischen bis zum Queer-Feminismus, und dem Fehlen einer tatsächlichen Bewegung beobachten, noch verstärkt durch Isolation in der Pandemie. Andererseits gab es mehr Bewegungen, etwa einen globalen Politisierungsschub gegen sexualisierten Machtmissbrauch im Zuge von #Metoo, die weltweite Bewegung gegen Femizide oder zuletzt die seit einem Jahr andauernden Proteste im Iran, die sich als weibliche Revolution verstehen. Wie lassen sich diese Momente zusammendenken und was sind die Bedingungen für feministische Kämpfe, fragt daher die »Outside the Box«.
Eine feministische Bewegung?
Die Zeitschrift gibt es seit knappen 15 Jahren in Leipzig, sie ist mittlerweile selbst eine Art Institution der feministischen Bewegung geworden. Zwischen den bisher acht Ausgaben vergehen manchmal mehrere Jahre, was auch mit der Redaktionspraxis zu tun hat: Die Gesellschaftskritik der »Outside« versteht sich nicht als abstraktes Philosophieren, sondern wird in der gemeinsamen Auseinandersetzung und von subjektiver Erfahrung aus erarbeitet. Entsprechend finden sich auch in der aktuellen Ausgabe neben theoretischen Reflexionen Interviews, Kollagen und literarische Formen vom Liedtext bis zum Romanauszug, die das Thema umstellen.
So begab sich etwa die redaktionsinterne AG Dauerwelle »auf die Suche nach einer, nach der feministischen Bewegung«. Bezug nehmend auf die in Dauerschleife laufende Wellenbewegung des Feminismus führte die Arbeitsgruppe Interviews mit unterschiedlichen Akteur*innen aus dem Leipziger Politumfeld, die sich über eigene Diskriminierungserfahrungen, feministische Bewegungen oder die Theorie politisierten. Aus den verschiedenen Zugängen und zum Teil widersprechenden Positionen wird klar, dass es die eine Bewegung weder gibt, noch durch Vereinheitlichungen wie geteilte Leiderfahrung einfach so geben könne. Stattdessen ringen die Interviewten in ihren Biografien mit Streit und Differenzen, deren »Nicht-Erinnern und De-Thematisieren innerhalb der Bewegung(en) diese schwächt«, wie etwa Luke anmerkt. Zudem nähmen die Hemmungen für Auseinandersetzungen zu: »Entweder gibt es blutige Grabenkämpfe oder man tut so, als wäre nichts. Es scheint eine Vorwegnahme von Standpunkten zu geben, Lager, denen man sich zugehörig fühlt«, reflektiert die Redaktion die aktuelle Kultur.
Zeitschleife der Kämpfe
Begleitet wird die Spurensuche von mehreren Perspektiven auf feministische Bewegungen in Gegenwart und Geschichte. Mit Katharina Karcher spricht die Redaktion über ihre Studie zur Geschichte der militanten feministischen Gruppe Rote Zora, die zwischen den 1970er und 90er Jahren Anschläge auf Industrie und Handel verübte. Im deutschsprachigen Raum komme die Erinnerung und Diskussion um feministische Militanz kaum vor, so Karcher. Bemerkenswert sei an der Roten Zora aber vor allem die Selbstreflexion der Praxis, die dem Grundsatz Rechnung trägt, dass »in patriarchalen Gesellschaften feministische Kämpfe progressiv sind, aber deswegen sind sie nicht automatisch revolutionär«. Weil man aber nicht auf die revolutionären Umstände warten könne, brauche es eben die (auch individuellen) Widerstandsakte – die bestenfalls wohlüberlegt sind.
Über die »Frauen der Novemberrevolution« schrieb Dania Alasti ein Buch und redet darüber mit Lilli Helmbold. Frauen, durch den Krieg in die Produktion geholt, organisierten damals massenhaften Streik und Proteste gegen den Ersten Weltkrieg und die patriarchale Ordnung des Kaiserreichs. »In dem Moment aber, in dem die Revolution ins Rollen kam, verschwanden die Frauen«, so Alasti. Sie wurden verdrängt und waren in den Räten nicht repräsentiert, bis schließlich ihre Errungenschaften in der Konterrevolution untergingen. Bis heute bleibt davon, bei annähernd gleicher Forderung nach Emanzipation, ein »Feststecken in der Zeitschleife«.
Eine neue Qualität der Bewegung stellt hingegen Dastan Jasim im Gespräch über die feministische Revolution im Iran fest. Über alle Bevölkerungsschichten hinweg habe sich eine Bewegung gebildet, »die auch die Männer dazu bringt, nicht nur von ›außen‹, sondern wirklich ehrlich mitzumachen, weil es sie auch betrifft«. Zugleich warnt sie vor romantischer Überhöhung, denn in der Bewegung gehe es auch um die Auseinandersetzung mit »Zentralismus, Nationalismus, Autoritarismus und eine sehr rechte legacy« – Widersprüche also, über die nicht hinweggegangen werden dürfe.
Kritik des Extraktivismus
Einen weiteren Schwerpunkt der Ausgabe bildet bemerkenswerterweise eine »Kritik des Extraktivismus«, der vier Beiträge gewidmet sind. Ebenfalls aus einer »Kleingruppenarbeit« entstanden, haben die Redakteurinnen Koschka Linkerhand und Olga Winter den »Blick auf länder- und milieuübergreifende Kämpfe weiten wollen« und kamen über die Lektüre der feministischen Marxistin Silvia Federici auf lateinamerikanische und afrikanischen Widerstandsbewegungen gegen das Regime des Extraktivismus: ein Schlagwort aus dem Umfeld ökosozialistischer Ansätze, mit dem die Rohstoff- und Naturausbeutung im globalen Süden und deren gesellschaftliche Organisation verknüpft ist.
Bemerkenswert ist diese thematische Hinwendung zu subalternen Kämpfen, weil es aus ähnlichen Theorierichtungen wie der »Outside« durchaus Kritik am postkolonialen Gestus gibt. Oft genug hat sich die Überhöhung einer (wie auch immer gearteten) Bewegung als Verlegenheitslösung erwiesen, wenn die Theorie nicht weiterkommt, wie etwa in gegenwärtigen Auseinandersetzungen um Abolitionismus. Die Extraktivismuskritik der Redaktion folgt jedoch einem ehrlichen Interesse an »den materiellen Bedingungen feministischer Kämpfe«, wie Linkerhand und Winter ausführen.
Dafür haben sie Texte übersetzen lassen, die diese Kämpfe gewissermaßen dokumentieren. Darunter ist ein Beitrag Eva Vázquez’ vom Kollektiv Miradas Criticas del Territorio desde el Feminismo über die Repatriarchalisierung der Gesellschaft im Zuge des Rohstoffabbaus, die sich strukturell und ökologisch bis zum Zugriff auf den Körper selbst vollzieht. Samantha Hargreaves und Patricia Hamilton vom Kollektiv Women in Mining widmen sich zwei Fallstudien zum Zusammenhang von Prostitution und Bergbau in Australien und Südafrika und analysieren die »sozioökonomische Praxis« der Prostitution.
Die Redaktion ordnet diese Analysen in einen breiteren Kontext von Kapitalismus- und Kolonialismuskritik, denn so »wirft die Beschäftigung mit dem Extraktivismus ein grelles Schlaglicht auf die materiellen Bedingungen unserer Möglichkeiten der Wahl, Selbstbestimmung und ökonomischen Absicherung« auch im globalen Norden. Zugleich werfen diese Kämpfe die Frage nach dem (revolutionären) Subjekt Frau wieder auf. Die beobachteten Kämpfe bringen dieses in Stellung, im globalen Norden wurde es aber lange Zeit verabschiedet und verweist damit tatsächlich an die Grenzen der »Forderung nach bürgerlicher Emanzipation für alle Menschen«. In die transnationalen Kämpfe um einen Ökofeminismus setzen die Autorinnen eine gewisse Hoffnung, denn »die universale Emanzipation der Frauen im Kapitalismus kann nur die Emanzipation vom Kapitalismus bedeuten« – jedoch nicht ohne zu betonen, dass dem auch eine regressive Traditionslinie zugrunde liegt.
»Ein richtiger Backstein«
Die vielen und unterschiedlichen Beiträge der Ausgabe sind selbstverständlich nicht das letzte Wort zu feministischen Kämpfen. Sie bilden vielmehr eine Annäherung an die Komplexität und Zusammenhänge der verschiedenen globalen Problemlagen – immer mit der Frage verbunden, welche gesellschaftlichen Strukturen diese hervorbringen und wie sie sich zu etwas Gemeinsamem verbinden ließen.
Die gesamte Ausgabe ist durchzogen von einem solidarischen Umgangston. In den Gesprächen und Reflexionen wird kaum ein Gegenüber – abgesehen von den Verhältnissen – als politischer Feind adressiert und entsprechend wenig klare Kante provoziert. Das ist eine bemerkenswerte Alternative zu den identitären und polemischen Abgrenzungen, die sich sonst ebenso in der linken Szene wie in der Mehrheitsgesellschaft beobachten lassen.
Aber in dem betont gemeinsamen Erkenntnisinteresse an feministischen Kämpfen geht auch der beschworene Kampf in der eigenen Praxis unter. Es muss nichts Schlechtes sein, die Kämpfe zum Gegenstand zu machen, ohne selbst einen um deren Deutung zu führen – aber so bleibt die eigene Analyse notwendigerweise auf einem gewissen Abstraktionsniveau. Das ist den Redakteurinnen der »Outside the Box aber durchaus bewusst, die «keinen neuen ›Ziegel‹ zu kreieren» angetreten sind und dann wurde «es ein richtiger Backstein». Wie man damit Barrikaden baut, denn so fordert es die Redaktion, muss sich wiederum in der Praxis zeigen.
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