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SPD Berlin: Angst vor Punk
Nach blutleeren Debatten beschließt SPD mehr Klimaschutz, Görli-Zaun und Waffenlieferungen
Die ersten Delegierten waren schon gegangen, als es am Schluss des SPD-Landesparteitags dann doch noch kurz tumultig wurde: Die Jusos hatten sich in einem Initiativantrag gegen den Plan der schwarz-roten Koalition für den Görlitzer Park in Kreuzberg gestellt. Keine Videoüberwachung, kein Zaun um das Gelände, keine nächtliche Schließung: Derartige Repressionen würden das Problem nur in die umliegenden Kieze verlagern, argumentierte die Jugendorganisation. Stattdessen solle man auf sozialarbeiterische Angebote und Drogenkonsumräume setzen.
In Redebeiträgen wurden einzelne Delegierte deutlicher. »Wir dürfen nicht eine Kopie der CDU werden«, sagte Mehmed König, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft SPD-Queer und warnte vor einem »Freiluftgefängnis light« im Görlitzer Park. »Wenn Videoüberwachung Straftaten verhindern würde, müssten wir an jeder Straße, an der es schon mal eine Straftat gab, welche anbringen«, sagte Svenja Diedrich, Kandidatin für den Juso-Landesvorsitz. Der Gegenwind kam ebenso heftig zurück: »Es ist inakzeptabel, wenn es in der Stadt Angsträume für Frauen gibt«, sagte Innensenatorin Iris Spranger, in deren Bereich die Situation im Görlitzer Park fällt. »Soziale Maßnahmen und Repression sind für uns ein Zweiklang in unserem Berlin«, fasste sie die neue Linie der SPD zusammen. Der parteirechte Abgeordnete Martin Matz fürchtete schon, dass die SPD durch die Debatte »unsere gerade erst erarbeitete Profilierung in dem Bereich« zu verlieren drohe.
Der Querschlag von der Parteibasis blieb am Ende trotzdem aus. Nach einer halben Stunde wurde die Debatte zunächst nach einer denkbar knappen Abstimmung abgebrochen. Dies gab einen Ausblick auf den Verlauf der nächsten Voten: Der Parteitag strich zunächst kritische Passagen zur schwarz-roten Regierungspolitik aus dem Antrag, dann die Ablehnung von Videoüberwachung und am Ende auch kritische Passagen zur Umzäunung und nächtlichen Schließung. In dieser stark verwaschenen Form wurde der Antrag dann angenommen. Die Abstimmungen verliefen dabei so knapp, dass mehrmals minutenlang ausgezählt werden musste, um die Mehrheitsverhältnisse einschätzen zu können.
Zuvor hatte die Berliner SPD ein mit sechs Stunden quälend langes Spiel der Selbstvergewisserung präsentiert. Im Vorfeld stand die Befürchtung, dass der zweite Parteitag seit dem Entschluss zur großen Koalition kontrovers werden könnte. Beim letzten Parteitag, der kurz nach dem knappen Votum der Parteibasis für Schwarz-Rot in einem Mitgliederentscheid stattfand, hatte sich noch viel Ärger über die Landesspitze von Franziska Giffey und Raed Saleh entladen.
Diesmal verkehrte sich die Stimmung ins Gegenteil: Die SPD scheint sich nicht nur in Blitzgeschwindigkeit in ihre neue Rolle als Juniorpartnerin eingefunden zu haben. Sie scheint auch ebenso schnell wieder in den Modus eines durchbürokratisierten Apparats zurückgekehrt zu sein. Dabei hatte Landeschef Saleh bei der Eröffnung des Parteitags noch angekündigt, dies sei »der Ort, wo wir die Zukunftsfragen dieser Stadt diskutieren und entscheiden«.
»Diskussion« ist dabei recht breit gefasst. Über weite Teile des Parteitags verliefen die Debatten ausgesprochen harmonisch, in abgelesenen Redebeiträgen wurden die Forderungen aus den Anträgen noch einmal wiederholt. Mit Ausnahme des Görlitzer Parks wurden kontroverse aktuelle Debatten wie die über den Doppelhaushalt oder das neuerliche Enteignungsvolksbegehren weitgehend ausgeklammert. Man wollte lieber über Themen mit weniger Streitpotenzial reden.
Mit dem Leitantrag beschloss der Parteitag ein ökologischeres Profil für die Sozialdemokraten. »Klimaschutz ist eine Kernaufgabe unserer Partei«, sagte Landeschef Saleh bei der Vorstellung des Antrags. Mit dem Klima-Sondervermögen, das Schwarz-Rot beschlossen hat, will die SPD Gebäude energetisch sanieren, den BVG-Busverkehr bis 2030 elektrisieren und mehr Tempo-30-Zonen einführen. Bei allem müsse, wir sind immer noch bei der SPD, natürlich auch an Schwächere gedacht werden und soziale Härten mit zahlreichen Unterstützungsmöglichkeiten aufgefangen werden. Zudem soll die Fernwärme zumindest mehrheitlich rekommunalisiert werden.
Auf 26 Seiten sammelten die Sozialdemokraten eine umfangreiche Mischung aus Feel-Good-Forderungen, die wohl niemandem wehtun. Wenig überraschend wurde der Antrag dann auch einstimmig angenommen. Wie es der Parteitag trotzdem schaffte, davor zwei Stunden lang über ihn zu debattieren, erklärt sich aus einer internen Repräsentationslogik: Die Vorsitzenden der großen Arbeitsgemeinschaften ebenso wie zahlreiche Mandatsträger durften minutenlang ihre Unterstützung für die Parteilinie kundtun und reüssieren, welche Forderung ihnen besonders gefallen haben. Man könnte meinen, die dröge Debatte sei bewusst in die Länge gezogen worden, damit weniger Zeit für die kontroversen Anträge am Ende blieb. Den Ratschlag des Lichtenberger Bezirkspolitikers und SPD-Landesvorstandsmitglieds Kevin Hönicke, »nicht immer nur reden, auch mal einfach machen«, schienen die Genossen jedenfalls lieber zu ignorieren.
Werden die Sozialdemokraten mit dem Klimaschutzprogramm »grüner als die Grünen«, wie es eine Delegierte formulierte? »Die Grünen haben den Klimaschutz nicht erfunden«, sagte Bausenator Christian Gaebler während der Debatte. Mit dem Leitantrag setze die SPD eigene Akzente. Das Klimasondervermögen verbuchten er und andere Senatoren als Erfolg der SPD. »Das war unser Projekt, wir haben das reinverhandelt«, sagte Wirtschaftssenatorin und Landeschefin Franziska Giffey.
Bis zur Debatte um den Görlitzer Park zeigten sich die Genossen wenig diskussionsfreudig und winkten den Großteil der Anträge durch. Grüner als die Grünen wurden sie so auch in einem anderen Bereich: Als Teil eines größeren Antrags zu sicherheitspolitischen Themen fordert die Berliner SPD jetzt, der Ukraine »benötigte Waffen, Ausrüstung und Munition bereitzustellen, um die territoriale Integrität der Ukraine in den Grenzen von 1991 wiederherzustellen«. In einem knappen Redebeitrag hatte Antragstellerin Hannah Elten nur Formalia erläutert. Eine weitere Debatte gab es nicht. Ob allen Delegierten klar war, worüber sie dann abstimmten? Dass sich in der anschließenden Debatte über eine Enquetekommission zur Aufarbeitung der sozialdemokratischen Russlandpolitik mehrere Delegierte positiv auf Willy Brandts Entspannungspolitik bezogen, lässt daran zweifeln.
Für die Landesführung dürfte der Parteitag einen Erfolg darstellen. Kritische Töne zur schwarz-roten Regierungspolitik waren kaum zu vernehmen. Ob sich die Partei selbst einen Gefallen damit tut, der Debattenkultur jedes Blut zu entziehen und kontroverse Themen nur am Rand zu behandeln, steht auf einem anderen Blatt.
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