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Weltchemikalienkonferenz: Neue Regeln für giftige Stoffe

In Bonn wird heftig um strengere Vorgaben für die Industrie gerungen

Auch in manchen Kuscheltieren finden sich gefährliche Schadstoffe.
Auch in manchen Kuscheltieren finden sich gefährliche Schadstoffe.

Nonylphenol-Ethoxylate ist nicht nur ein Zungenbrecher, die Chemikalien aus der Gruppe der nichtionischen Tenside bergen auch erhebliche Gefahren für Mensch und Umwelt. Daher ist ihr Einsatz in Waschmitteln oder bei der Textilherstellung in der EU seit vielen Jahren verboten. Das hindert die hiesigen Hersteller jedoch nicht daran, diese Stoffe in großem Stil zu exportieren. Wie eine kürzlich vorgelegte Studie des Umweltverbands BUND ergeben hat, werden jährlich sogar 700 000 Tonnen Chemikalien ausgeführt, die in der EU entweder verboten oder in der Verwendung stark beschränkt sind. Hier geht es um agrarische Pestizide, aber den Großteil machen eben Industriechemikalien wie Nonylphenole aus. »Es ist absolut verantwortungslos, dass auch die deutsche Chemieindustrie ihr Gift einfach in Länder exportiert, die kaum Kapazitäten für Kontrollen oder umweltgerechte Entsorgung haben«, kritisiert BUND-Geschäftsführerin Antje von Broock.

Bei der Debatte um Lieferkettengesetze, die fast nur Importe von Rohstoffen und Vorleistungsgüter im Blick hat, müsste daher auch in die andere Richtung gedacht werden. Neben solchen nationalen Regelungen wird zudem um eine globale Herangehensweise gerungen. Darum geht es bei der am Montag beginnenden 5. Weltchemikalienkonferenz. Fünf Tage lang beraten rund 1500 Vertreter aus Politik, Chemieindustrie, Zivilgesellschaft und Wissenschaft in Bonn über einen stärkeren politischen Rahmen für den Umgang mit Chemikalien. Es ist die erste Konferenz dieser Art seit 2015. Gründe für den großen Abstand sind nicht nur Unterbrechungen durch die Pandemie, sondern auch Kontroversen und die Komplexität der Materie.

Im Jahr 2006 war auf UN-Ebene erstmals ein politischer Rahmen geschaffen worden: Der »Strategische Ansatz für ein internationales Chemikalienmanagement« (SAICM) hatte als Ziel vorgegeben, bis 2020 einen nachhaltigen Umgang mit synthetischen Stoffen von der Produktion über die Verwendung bis hin zur Entsorgung zu erreichen. Dies wurde weit verfehlt. Nichtregierungsorganisationen führen das vor allem auf die mangelnde Verbindlichkeit und nicht ausreichende Finanzierung zurück. Genau um diese Punkte wurde bei den Vorbereitungen der Bonner Konferenz am heftigsten gestritten. Rund 100 NGOs fordern in einem Aufruf die Förderung neuer Technologien, ein Verbot besonders toxischer Stoffe sowie eine insgesamt ressourcenschonende Produktion sowie eine Entsorgung, die Menschen und Ökosysteme nicht weiter belastet. Prioritär seien Vorbeugung und Vermeidung sowie das Konzept »Polluters pay«: eine Abgabe von 0,5 Prozent auf alle Umsätze der Industrie mit Grundchemikalien, um damit den Aufbau umweltgerechter Managementsysteme im globalen Süden zu ermöglichen.

Die bisher geringen Fortschritte hängen auch damit zusammen, dass die Chemieindustrie trotz der schweren Unfälle von Seveso 1976 und Bhopal 1984 bis heute eine strengere Regulierung durch gute Lobbyarbeit verhindern konnte. Und im Fokus politischer Debatten stehen Chemikalien nur selten. Zu Unrecht: »Sie sind eine der Hauptursachen für die globale Erwärmung, den Verlust der biologischen Vielfalt und die Umweltverschmutzung«, heißt es etwa beim Umweltbundesamt (UBA). Die weltweite Produktion sei seit 1950 um das 50-fache gestiegen und werde sich bis 2050 im Vergleich zu 2010 voraussichtlich noch einmal verdreifachen. Zwar fallen die Schätzungen aufgrund der punktuellen Einbrüche in Folge der hohen Energiepreise mittlerweile etwas zurückhaltender aus, aber mit einem weltweiten Umsatz von rund 7,68 Billionen Euro gehörte die chemisch-pharmazeutische Industrie auch 2022 zu den dominierenden Branchen – mit teils besonders hohen Margen. Und die Weltgesundheitsorganisation (WHO) führt weltweit jährlich mindestens 1,6 Millionen Todesfälle auf die Belastung mit Chemikalien zurück.

Außerdem verweist das UBA darauf, dass die Anzahl der Chemikalien, ihre Komplexität sowie die Komplexität ihrer Anwendungen und Einsatzbereiche stetig zunehme. Oft ist zudem nicht bekannt, in welchen Produkten und technischen Prozessen welche Stoffe eingesetzt werden und wie die einzelnen Chemikalien und die Cocktails auf Mensch und Umwelt wirken. Boden, Luft und Wasser sind mit riesigen Mengen von Chemikalien kontaminiert, von denen einige sehr langlebig sind. Per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen, kurz PFAS, gelten sogar als »forever chemicals«, da sie praktisch gar nicht abbaubar sind. Ein Verbot ist in der EU schon lange in Vorbereitung, doch die Industrie konnte die Entscheidung bislang immer weiter in die Länge ziehen.

Schätzungen zufolge sind etwa 100 000 Chemikalien weltweit im Einsatz. Zuletzt waren lediglich 64 Stoffe gemäß SAICM streng reguliert, wie aus einer Anfrage der Grünen an die frühere Bundesregierung von 2021 hervorging. Hinzu kommt das weitgehende Verbot quecksilberhaltiger Produkte durch die Minamata-Konvention von 2013. Immerhin wurden im SAICM-Prozess, was auch Kritiker einräumen, Mittel zum Kapazitätsaufbau in Ländern des globalen Südens bereitgestellt, Umweltschützer sind in alle Verhandlungen einbezogen, und das Mandat ist offen, sodass auch über neu erkannte Probleme beraten werden kann. Dazu gehörten zuletzt neben Nanotechnologie und Arzneimittelrückständen in der Umwelt auch endokrine Disruptoren (Stoffe, die das Hormonsystem stören), wozu die Nonylphenole zählen.

Die Probleme bleiben gewaltig. Produktionszuwächse gibt es nämlich ausgerechnet in Ländern des globalen Südens, wo es große Lücken im Umweltrecht gibt und die Mittel fehlen, vorhandene Regelungen umzusetzen. Das geht auch zulasten der Beschäftigten und von Anwohnern, die dort besonderen Risiken ausgesetzt werden.

Doch die Gefahren lassen sich doch nicht einfach in den globalen Süden verschieben. Nonylphenol-Ethoxylate werden laut BUND aus der EU in Länder wie Mexiko, Indien und Taiwan exportiert, wo sie in der Bekleidungsindustrie etwa zum Waschen der Textilien während des Färbens genutzt werden und in großen Mengen in die Umwelt gelangen. Aber sie kommen auch wieder zurück, wie es in der Studie heißt: »In fertigen Textilien werden die Schadstoffe in die EU importiert und gelangen durch Waschen in die Gewässer.«

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