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Die Cholera in Zeiten der Konflikte
Die vermeidbare Krankheit ist in vielen Ländern Asiens und Afrikas auf dem Vormarsch
Vor rund einem Jahr wurden in einem Krankenhaus in Hasakeh im Norden Syriens die ersten Cholerafälle festgestellt. Insgesamt meldete Syrien im vergangenen Jahr über 70 000 an Cholera Erkrankte an die Weltgesundheitsorganisation WHO, 102 der Erkrankten verstarben. Nur Afghanistan registrierte mit über 280 000 mehr Cholerafälle. Der letzte Ausbruch der vom Bakterium Vibrio cholerae ausgelösten schweren Durchfallerkrankung lag in Syrien 15 Jahre zurück. In Nordsyrien trafen, wie die Hilfsorganisation medico berichtete, eine Reihe von Faktoren zusammen, die die Verbreitung der Krankheit begünstigen: rund vier Millionen Binnenflüchtlinge, die unter humanitär teils katastrophalen Verhältnissen leben, sowie Wassermangel aufgrund von Dürre und weil die Türkei die vertraglich vereinbarte Wasserversorgung blockiere. Das Beispiel Syrien ist nur eines dafür, wie eine vermeidbare Krankheit durch Vertreibung, mangelnden Zugang zu sauberem Wasser und die Folgen des Klimawandels günstige Bedingungen findet.
Andere Länder, die 2022 seit Jahrzehnten wieder einen größeren Choleraausbruch erlebten, waren der Libanon und Südafrika. Insgesamt hat sich im Jahr 2022 die Zahl der an die WHO gemeldeten Cholerafälle mehr als verdoppelt. Das geht aus einer am 22. September von der WHO veröffentlichten Datenanalyse hervor. 44 Länder meldeten 472 697 Fälle, was nicht nur einen Zuwachs bei den Erkrankungen, sondern auch bei den betroffenen Ländern bedeutet – im Vorjahr waren es 35. Auch größere Ausbrüche mit mehr als 10 000 Fällen waren 2022 stärker verbreitet, darunter in Ländern, in denen die Krankheit seit Jahren bis Jahrzehnten nicht mehr vorgekommen war. Und die Gefahr ist alles andere als gebannt: »Die aktuellen Daten für 2023 deuten darauf hin, dass dieser weltweite Anstieg anhält. 24 Länder melden derzeit aktive Ausbrüche, wobei sich einige Länder inmitten einer akuten Krise befinden«, teilte die WHO mit.
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Die Durchfallerkrankung Cholera wird durch mit dem Bakterium Vibrio cholerae kontaminiertes Wasser oder Lebensmittel übertragen. Von Infizierten wird das Bakterium mit Fäkalien oder Erbrochenem ausgeschieden. Viele Cholerainfektionen verlaufen symptomlos. Doch in schweren Fällen kann der starke Flüssigkeits- und Salzverlust binnen Stunden zu Kreislaufkollaps, Muskelkrämpfen bis hin zu Schock und Tod führen. Die Inkubationszeit liegt zwischen einem halben Tag und fünf Tagen. Bakterien werden noch bis zu zehn Tage nach der Ansteckung ausgeschieden. Behandelt werden Erkrankte in der Regel mit einer Elektrolytlösung, um Dehydrierung zu verhindern. In schweren Fällen muss Flüssigkeit intravenös verabreicht werden. Laut Kinderhilfswerk Unicef sind Säuglinge und kleine Kinder besonders gefährdet zu dehydrieren, vor allem wenn sie mangelernährt sind. 46 Prozent der an die WHO gemeldeten Cholerafälle betrafen Kinder unter fünf Jahren. Allerdings sei zu beachten, dass diese Zahlen in der Regel nicht durch Laboruntersuchungen bestätigt wurden und es sich daher zum Teil auch um andere Durchfallerkrankungen handeln könnte. Besonders mit Unsicherheit behaftet seien die aus Afghanistan gemeldeten Zahlen.
Die an die WHO übermittelten Ausbrüche betrafen 16 Länder in Asien und 17 in Afrika. Europa meldete ebenfalls 51 Cholerafälle, 47 davon waren aber bereits erkrankt eingereiste Personen. In Afrika mit etwas über 100 000 an Cholera Erkrankten lag die Todesrate mit 1,9 Prozent deutlich über der in Asien mit durchschnittlich 0,1 Prozent. Große Ausbrüche in Afrika gab es in Kamerun, der Demokratischen Republik Kongo, Malawi, Nigeria und Somalia.
Eine besondere Schwierigkeit stellte im vergangenen Jahr der Mangel an Cholera-Impfstoff dar. Schluckimpfungen gegen Cholera werden in der Regel in Gebieten mit einem aktuellen Ausbruchsgeschehen verabreicht, um die Ausbreitung einzudämmen. Aufgrund der fehlenden Vakzine wurde bei Impfkampagnen daher nur eine einfache Dosis anstelle von zwei aufeinanderfolgenden Dosen verabreicht. Laut WHO hat sich diese Strategie als effektiv erwiesen, obwohl sich über die Dauer des Impfschutzes noch wenig sagen lasse.
Fortschritte meldet die WHO immerhin bezüglich der durch Tests bestätigten Fälle. So sei die Zahl der Länder, die bei der Diagnose Schnelltests verwendeten, um 20 Prozent gewachsen. Damit erschöpfen sich aber schon die Erfolgsmeldungen: »Jahrelange Fortschritte im Kampf gegen diese uralte Krankheit sind verschwunden«, beklagte das Steuerungskomitee der Globalen Taskforce zur Kontrolle der Cholera schon im März anlässlich des Weltwassertages.
Denn so wie die Ursachen für die Ausbreitung der Cholera bekannt sind, so sind es auch die Rezepte, die nachhaltig dagegen helfen würden: Zugang zu sauberem Trinkwasser, Sanitäranlagen und Hygiene. Gleich nach der Überwachung des Krankheitsgeschehens steht daher bei den Handlungsempfehlungen die Investition in Trinkwasser- und Abwasserinfrastruktur an zweiter Stelle.
Das Steuerungskomitee hatte auch darauf hingewiesen, dass viele Choleraausbrüche mit Extremwetterereignissen zusammenhingen, da diese entweder durch zu viel oder zu wenig Wasser die Wasserversorgung stören. Müssen die Menschen zudem in überfüllten Notquartieren unterkommen, steigt das Risiko weiter. So sieht Unicef 1,1 Milliarden Menschen auf der Welt gefährdet, durch die Auswirkungen des Klimawandels an Cholera zu erkranken.
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