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Hellmut Gollwitzer: Der Wille des Vaters und seines Sohnes
Sozialistischer Christ und Friedensaktivist: Ein Gedenken an Hellmut Gollwitzer in Berlin
»Müssen Christen Sozialisten sein?« lautete die übergreifende Frage einer 1975 von Helmut Gollwitzer provozierten Auseinandersetzung zwischen Theologen unterschiedlicher Prägung, in die sich auch die Theologin und Feministin Dorothee Sölle aktiv einbrachte. Gollwitzers Ansage war unmissverständlich: »Das Ziel des Dienstes der Jünger Jesu ist eine sozialistische, klassenlose Gesellschaft. Hinsichtlich dieser Zielvorstellung, die zugleich das Kriterium für die Kritik der bestehenden Gesellschaft gibt, lässt der Wille des Vaters dem Jünger keine Wahl. Er muss Sozialist sein.«
Ausgangspunkt seiner Überlegungen war die Erkenntnis, dass die Regenerationsfähigkeit des Kapitalismus zwar die allzu kurzfristigen Hoffnungen der Sozialisten widerlegt habe, nicht aber ihre Prognose, dass der Kapitalismus die Menschheit in den Untergang führen werde. Darum sei heute die erste Frage nicht, ob ein Christ Sozialist sein könne oder müsse, sondern ob ein Christ weiterhin Befürworter und Apologet des kapitalistischen Systems sein könne, ob er also nicht brennend interessiert sein müsse an Wegen zur Überwindung dieses Systems und an Alternativen zu ihm.
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Für Gollwitzer, 1908 in Pappenheim in Mittelfranken als Sohn eines bayerisch-konservativen, evangelisch-lutherischen Pfarrers geboren, war es ein langer Weg, bis er zu dieser Überzeugung gelangte. Als Nachfolger Martin Niemöllers, (»Gefangener des Führers« unter anderem im KZ Sachsenhausen) und als konsequenter Gegner der Nazis mit einem »Reichsredeverbot« belegt, wurde Gollwitzer zu einer der zentralen Gestalten der Bekennenden Kirche.
Seine Theologie betrieb er nach dem Vorbild von Martin Luthers und Karl Barths auch später immer in enger Tuchfühlung mit den aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen. Grenzüberschreitungen waren für ihn typisch. Weit über Theologen- und Kirchenkreise hinaus prägte er die Studenten- und später die Friedensbewegung in der Bundesrepublik mit. Schon in den 1950er Jahren hat Gollwitzer eine Neubestimmung des jüdisch-christlichen Verhältnisses gefordert. Ihn beunruhigte, dass die jüdische Theologie durch die Shoah weit mehr erschüttert worden ist als die christliche, die sehr schnell über Auschwitz hinweggehend wieder so zu reden versuchte, wie sie es zuvor getan hatte.
Gollwitzer hat sich mit Fragen der politischen Ethik bereits zu einer Zeit befasst, als die Evangelische Kirche und mit ihr die evangelische Theologie die Möglichkeit und die theologischen Bedingungen Evangelischer Sozialethik (neben der traditionellen Individualethik) noch nicht wirklich grundgelegt hatten. Gollwitzers Vortrag vor der Bonner Studentengemeinde im Sommersemester 1957 »Wir Christen und die Atomwaffen« wirkte als Initialzündung für die große Atom-Diskussion, die die Evangelische Kirche in Deutschland bis fast an den Rand ihrer einheitlichen Existenz zu führen drohte.
Gollwitzers Theologie und Ethik waren ökumenisch: Er thematisierte nicht nur die Probleme des Nordens wie »Frieden und Kriegsverhütung«. Vielmehr nahm er den gesamten Erdkreis in den Blick, indem er sich die drängenden Fragen der Länder der sogenannten Dritten Welt zu eigen machte und von ihnen her Theologie praktizierte.
Es scheint so, als ob sich Gollwitzers theologische Kapitalismuskritik und mit ihr sein gesamtes theologisches Denken mit dem Zusammenbruch des »real existierenden Sozialismus« im Jahr 1989/1990 erledigt habe. Doch die heutigen ökonomischen Krisen und der geradezu katastrophenhafte Verlauf der Globalisierung sowie der Klimawandel zeigen, dass dies voreilig gewesen sein könnte. Aktueller denn je dürfte der Aufruf Gollwitzers an die Christen sein, sich politisch zu engagieren.
Gollwitzer starb vor 30 Jahren am 17. Oktober 1993 in Berlin-Dahlem.
Veranstaltungshinweis: Tagung »Das Gerechtigkeit und Frieden sich küssen« zum 30. Todestag von Helmut Gollwitzer, Freitag 6. Oktober bis Sonntag 8. Oktober im Gemeindesaal der Evangelischen Kirchengemeinde Berlin-Dahlem, Thielallee 1-3;
Lektüretipp: Andreas Pangritz: Der ganz andere Gott will eine ganz andere Gesellschaft. Das Lebenswerk Helmut Gollwitzers, München 2018.
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