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Theater »Warten auf Tränengas«: Bis einer heult
Das Stück »Warten auf Tränengas« am Neuen Theater Halle ist Revolutionstheater für Mitteextremisten
Während sich Demonstrierende in der Regel unter gemeinsamen Forderungen treffen, versammelt sich im Innenhof des Neuen Theaters in Halle die »schweigende Mehrheit«. Getrieben von vager Unzufriedenheit stehen sie stumm vorm Palast des Präsidenten, der von einer Feuertreppe auf sie herabblickt. Was will die anschwellende Masse? Auf den Protestplakaten sieht man nur das Bild einer aufgehenden Sonne. Sie sind einfach gegen den Ist-Zustand. »Stillstand verschafft keine Stabilität, im Gegenteil«, philosophiert eine der Demonstrantinnen.
Anstatt an Umsturzfantasien von rechts oder soziale Bewegungen von links anzuknüpfen, imaginiert »Warten auf Tränengas« eine Querfront gegen die Regierung. Überraschend gelingt der Umsturz. Den friedlichen Widerstand zerreißend habe ein geworfener Stein die Situation zum Kippen gebracht. Jetzt gibt es eine neue Präsidentin und die Zuschauer*innen werden zum Mitläufer dieser Bewegung gemacht.
Durch das Theater wandernd führt die Inszenierung das Publikum auf die Straße, um eine Demonstration zu simulieren. Während »Give Peace a Chance« verstärkt um die Stimmen einzelner Zuschauer*innen aus der mitgeführten Box dröhnt, fühlt sich der Weg bis zur nächsten Station sehr lang an. Dann baut sich die Bewegungs-Farce auf einem Platz hinter dem hallensischen Theaterhaus erneut auf und feiert den Triumph der Masse. Zwischen eingestaubter Globalisierungskritik à la Attac, basisdemokratischen Instrumenten und einer neuen nationalen Erzählung solle man endlich wieder stolz sein aufs eigene Land, verkündet die Schauspielerin Nicoline Schubert in fascho-futuristischer Uniform. Vereinzelt klebt das Bewegungslogo »Wir« auf den Jacken des Publikums, die zum Teil dieser konformistischen Revolte gemacht werden.
In der als immersiv angekündigten Reflexion über Demokratie zeigt sich, dass das bemühteste Mitmachtheater häufig bevormundend ist. Wie Jacques Ranciére in »Der emanzipierte Zuschauer« beschreibt, lässt der Versuch ein vermeintlich passives Publikum zu aktivieren, die Trennung zwischen Wissenden und Unwissenden meist unberührt. Im Trott durch das Theater in Halle fungieren die Zuschauenden als Stand-In für eine Revolution des Volkes. Sie sollen sich von ihr erst angezogen, dann abgestoßen fühlen. Wie ein gemeinsames Leben aussehen könnte, wird in Stichworten – Mehr Kindergärten, weniger Panzer – abgehandelt, aber nicht als Frage, über die es sich lohnt nachzudenken, formuliert.
Das Stück von den Autoren Andreas Sauter und Bernhard Studlar versucht, über die Gefahren einer populistischen Bewegung zu reflektieren. Erstarrt zur inhaltsleeren Geste von Widerstand erscheint die Handlung unspezifisch, die gezeigten Typen kraftlos. Nachdem der Ex-Präsident guillotiniert und der Abend folgerichtig in Tyrannei gekippt ist, wünscht man sich Vater Staat zurück. Am nachvollziehbarsten gespielt und angelegt ist die Rolle des Hingerichteten. Der von Till Schmidt verkörperte Präsident ist zwar ein bisschen korrupt, aber Mensch geblieben. Am Ende liegen die Sympathien beim guten alten System, während der Idealismus der Bewegungsführerin als Barbarei enttarnt wird.
Die Inszenierung Mareike Mikats, die mit Mille Maria Dalsgaard ab dieser Spielzeit die künstlerische Leitung des Neuen Theaters übernimmt, ist ein staatstragendes Stück für Mitteextremisten. Zwar spielt es mit linken Motiven, aber an der dargestellten Revolte zeigt sich, dass kein Interesse an sozialen Bewegungen der Gegenwart, wie »Deutsche Wohnen & Co enteignen« oder der für Arbeitszeitverkürzung bei Lohnausgleich kämpfenden »4-Stunden-Liga«, besteht.
Auch werden keine antikapitalistischen Debatten über das anzitierte »Gute Leben für Alle« rezipiert. Die Hoffnung auf eine bessere Welt liegt brach. Zugleich bleibt eine Analyse der sonst von rechts angerufenen »schweigenden Mehrheit« aus. Nation und Volk geistern durch den Abend, aber gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, die nach der neuesten Mitte-Studie in Deutschland immer mehr Zustimmung findet, spielt im neuen Staat keine Rolle.
»Dass es so weiter geht, ist die Katastrophe«, notierte Walter Benjamin in seinem Passagen-Werk, um die andauernde Katastrophe des Kapitalismus zu benennen. »Warten auf Tränengas« schmückt sich mit ähnlichen Sprüchen, aber schlägt ins Gegenteil um. Im Stück scheint jeder Versuch, etwas zu verändern, eine gerechtere oder ökologischere Welt anzustreben, einen faschistischen Kern in sich zu tragen. Zurück bleibt schale Resignation.
Nächste Vorstellungen: 15.10., 21.10., 3.11.
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