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Wim Wenders und Anselm Kiefer: Phönix aus der Asche

Wim Wenders’ Film über Anselm Kiefer ist schönes Kunstgeraune

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 6 Min.
Auch hier ist alles monumental bis monströs: Der Künstler in einer seiner Werkstätten
Auch hier ist alles monumental bis monströs: Der Künstler in einer seiner Werkstätten

Sind Ruinen nun die letzten Zeugen des Untergangs oder die ersten einer Art Wiederauferstehung? Wohl immer beides, und das in besonderem Maße für den Maler Anselm Kiefer, der im März 1945 im baden-württembergischen Donaueschingen geboren wurde. Am Tag nach seiner Geburt versank die Stadt in Trümmern. Diesen Luftangriff hat er zwar nicht bewusst erlebt, dennoch wurde er zum Zeugen der unsinnigen Zerstörung.

Was er als Kind bewusst erlebte, ist jedoch etwas anderes: Eine Ruinenlandschaft als großer Abenteuerspielplatz! Verbotene Zonen, die eine unwiderstehliche Anziehungskraft besaßen. Die Stunde null war voller ungeahnter Freiräume. Die Fantasie fand in dieser dürftigen Zeit reichlich Nahrung. Ruinen bergen also durchaus etwas Optimistisches, im Sinne der Zeilen aus Johannes R. Bechers DDR-Nationalhymne: »Auferstanden aus Ruinen und der Zukunft zugewandt«. Verwundert es da, wenn der heute fast 80-jährige Anselm Kiefer immer noch bevorzugt Bilder schafft, in denen Tod und Zerstörung eine Rolle spielen – aber eben nicht wie traumatisiert, sondern eher befreit im Sinne eines Rollenspiels?

Im vergangenen Sommer stand ich im Dogenpalast in Venedig in Kiefers letzter großer Ausstellung mit riesigen Tafelbildern. Es roch nach frischer Farbe und gleichzeitig brandig. Das lag daran, dass Kiefer tatsächlich mit einer Art Flammenwerfer die Farbschichten stellenweise wieder abgebrannt hatte, denn das Thema der Ausstellung war der Brand des Dogenpalastes von 1577, bei dem auch eine in ihrer Pracht einmalige Bibliothek zerstört worden war. Das Motto der Schau stammte vom italienischen Philosophen Andrea Emo: »Diese Schriften werden, wenn sie verbrannt sind, endlich etwas Licht verbreiten.« Das klingt nach einem Phoenix, der aus der Asche aufsteigt.

Darum geht es in Anselm Kiefers überaus monumentalem Werk – und eben das scheint auch Wim Wenders (ebenfalls 1945 geboren) an Kiefers Bildwelten so fasziniert zu haben. Wenders drehte über ihn einen Dokumentarfilm, der mittels 3D-Technik der Magie des Unwirklichen, des Schrecklichen ebenso wie des Schönen nachspürt, samt ihrer verborgenen Korrespondenzen.

Bislang sprengte Wenders mit seinen Dokumentarfilmen stets Grenzen des bisher Üblichen – von »Buena Vista Social Club« (1999) über »Pina« (2011) bis »Das Salz der Erde« (2014) –, hier setzt er ganz auf die Bildwirkung, verzichtet fast vollständig auf erklärenden Kommentar. Dazu passt seine Liebeserklärung an das Genre: »Was ich an Dokumentarfilmen schätze, ist, dass sie ihre Form jedes Mal neu erfinden können.«

Wenders besucht mit seinem Kameramann Franz Lustig die legendär gewordenen Ateliers Kiefers, zuletzt das heutige in Croissy bei Paris. Welch riesige unterirdische Fabrik, so wie sie einer seiner Widerparte, Richard Wagner, im »Ring des Nibelungen« mit Nibelheim schuf. Kiefer gerät oft in die Nähe des Monströsen – doch immer gelingt ihm im letzten Moment etwas, das man als Einbruch der Zeit ins Kunstwerk übersetzen könnte. Eine der schönsten, weil schlichtesten Szenen des Films: Wir sehen den Maler mit dem Fahrrad durch die riesigen Werkhallen fahren, die er zu seinem Atelier gemacht hat. Hebebühne, Kran, Säurebad, Schweißerei, natürlich ein Lager für Überreste aller Art – das bringt den feinsinnigen Künstler in Kollision mit der hier herrschenden industriellen Dimension, die selbst schon wieder etwas Ruinenhaftes an sich hat.

Für Kiefer ist ein Werk, und sei es von der Größe eines Fußballfeldes, ein Werk – und keine bloße Performance oder eine Kunstaktion. Insofern ist Kiefer konservativ: Er will die Kunst vor dem zerstörerischen Ansturm der Zeit schützen, aber auf eine paradoxe Art. Er setzt sie ungeschützt der Zeit aus, lässt diese ihre ebenso fruchtbare wie furchtbare Wirkung auf das Werk tun. Die Dinge verwittern, verfallen, vermodern – und dann entsteht doch Neues. Diese Art Metamorphosen fixiert Kiefer. Er nutzt dazu alles, was sich ihm an passendem und unpassendem Material bietet: Metallschrott, Seile, Filz, Stein, Holz ... Typisch die Begegnung eines Brautkleides mit einem Stapel Ziegelsteine statt eines Kopfes. Da zeigt sich die Nähe Kiefers zu Joseph Beuys, bei dem er einst studierte. Interessant, so beider Auffassung, ist immer das Zusammentreffen von Dingen, die nicht zusammengehören.

Eine erkennbare Struktur hat »Anselm« nur insofern, als dass wir verschiedene Orte besuchen, an denen Kiefer lebte. Auf unmerkliche Weise sickerten die Landschaften in sein Werk ein. Dabei ist Landschaft nie nur als bloße Natur verstanden, nein, sie ist die vom Menschen malträtierte Natur – eine künstliche Landschaft, in die Kiefer alle Deformation hineinholt, die der Mensch als Ausbeuter ihr antat.

Im Odenwald suchte er die »Erdhaut« und fand sie bereits abgestorben. Für einen geborenen Optimisten verbreitet Kiefer viel Pessimismus, der häufig das Apokalyptische streift. Doch immer merkt man ihm die Lust an, die Dinge einer inneren Tendenz nach zu forcieren. So bereits als Gymnasiast, der auf den Spuren von Vincent van Gogh nach Arles reiste, um dort dessen Sonnenblumen zu malen. Und was sehen wir auf den Bildern des 18-Jährigen? Schwarze Sonnenblumen, die alles Blühen längst hinter sich gelassen haben. Dafür bekam er dann sogar einen Preis.

Mit Wenders stehen wir verblüfft in Barjac in Südfrankreich, wo Kiefer fast 30 Jahre gearbeitet hat. Die vom Künstler »bewirtschaftete« Landschaft sieht aus, als befinde sich dort jene »Zone«, über die Andrej Tarkowski einst »Stalker« drehte – halb Meteoriteneinschlag, halb Großbaustelle des Sozialismus. Wie immer bei Kiefer ist es ein Schlagabtausch zwischen Gestern und Morgen: Spielstand unentschieden.

Das Gelände ist heute ein Freiluftmuseum, in dem seine fragilen »Himmelspaläste« wie Fingerzeige in den Himmel ragen. Marode Wehrtürme in unwirklicher Gegend – oder ein bloß leicht verfremdeter Blick auf ein Spargelfeld am frühen Morgen? Für Kiefer jedenfalls ein archetypisches Symbol unserer Existenz im ständigen Übergang. So bekennt er dann auch: »Ich fühle mich überhaupt nicht angekommen, fühle mich verbannt. Nicht auf der Flucht, aber auf dem Weg.« Manche sehen in Kiefer auch einen modernen Alchimisten, einen, der Albtraum und Realität auf eine so unerwartete Weise zu verschmelzen vermag, dass es schon wieder etwas Erhebendes bekommt.

Wim Wenders erweitert die Dokumentation um einige Spielszenen, das Personal dafür entstammt der Kiefer-Wenders-Familie. Anselm Kiefer als junger Mann ist sein Sohn Daniel Kiefer, und Kiefer als Kind wird gespielt von Anton Wenders, dem Großneffen des Regisseurs. Schöne heile Filmwelt. Doch wie um das Familiäre wieder auf Distanz zu bringen, räumt Wenders dann eilig den Platz für Martin Heidegger und seine Rede von der »Sprache als Haus des Seins«. Paul Celans »Todesfuge« soll das Gefühl ermitteln, wie es ist, wenn der Krebs das Gehirn ergreift: Alles wird schwarz. Und Ingeborg Bachmann liefert ebenfalls stilisierte Worte der Dichtung zu den stilisierten Bildern Kiefers im sehr stilisierten Film von Wenders.

Ist das nun gut oder schlecht? Natürlich kann man das nicht so einfach beantworten: Wer sich auf die Hermetik von Wort und Bild einlässt, der kann hier eine Art Pilgerreise zum magischen Zentrum aller Kunst unternehmen. Wer jedoch der Faszination mit dem Schutzschild kritischer Distanz entgegentritt, bleibt draußen vor der Tür stehen und wendet sich vielleicht sogar genervt ab. Zu viel Kunstgeraune? Aber schön ist es doch, irgendwie.

»Anselm – Das Rauschen der Zeit«,
Deutschland/Frankreich/Italien 2023.
Regie und Buch: Wim Wenders.
Mit: Anselm Kiefer, Daniel Kiefer, Anton Wenders. 93 Min. Jetzt im Kino.

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