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DDR-Friedensbewegung: Im Frieden darf’s keine Sieger geben
Ein Probst, der Probleme löste, und andere Erinnerungen an die Friedensbewegung der DDR
Hans-Otto Furian habe ich als liebenswürdigen älteren Herrn in Erinnerung. Niemand sonst hat mich je »Bruder Krampitz« genannt. Ich bin Heide, für den Berliner Propst war das aber kein Problem. Das war ja das Besondere an der DDR-Kirche, dass sie an Mitgliedern schrumpfte, aber immer mehr Leute in ihren Räumen zusammenfanden. Als Bischofsstellvertreter war Furian (1931–2012) ein Freund klarer Worte. »Wenn sich die Kirche den Fragen der Menschenrechte, des Friedens und der Umwelt verschließt, versäumt sie ihren Auftrag«, hatte er noch 1988 gemahnt, damals auf der Frühjahrssynode der Berlin-Brandenburgischen Kirche, Bereich Ost.
Aber das war lange her. In den frühen 90er Jahren war die »Arche«, der ich angehörte, die letzte jener Umwelt- und Friedensgruppen, die noch in der evangelischen Kirche wirkte. Und auch von uns war nur noch die Arbeitsgruppe Obdachlosigkeit übrig geblieben, die sich nach 1989 im Grün-Ökologischen Netzwerk Arche gebildet hatte – eine kleine Wärmestube in der Treptower Bekenntniskirche, betrieben von ein paar ehrenamtlichen Idealisten. Als gewählter Sprecher besuchte ich Propst Furian einmal im Quartal, in seinem Büro in der Neuen Grünstraße. Ich erzählte ihm von unserer Arbeit und schnorrte Geld. Wir waren völlig überfordert. Damals hatten wir die Obdachlosen auch in unseren Räumen schlafen lassen, unbeaufsichtigt. Und auf einmal hatten wir eine Telefonrechnung am Hals von über 500 Mark, allesamt 0190er-Nummern. Ich sehe ihn immer noch hinter seinem Schreibtisch sitzen, seine Mundwinkel hoben sich zu einem leichten Grinsen. Dann tippte er mit dem Zeigefinger auf die Tischplatte: »Lassen Sie den Zettel mal hier liegen.« – Unser Projekttelefon wurde nicht abgestellt, weil das Konsistorium die Rechnung beglich.
Als Historiker, der zum DDR-Protestantismus promoviert wurde, denke ich, dass es vor der Kerzenrevolution im Herbst ’89 mit den Gruppen in der Kirche ähnlich gewesen sein muss, sei es bei den Ausreisewilligen, den Friedensbewegten oder den Ökos. Furian hat erzählt, wer vor mir alles an seinem Tisch gesessen und um Hilfe gebeten hatte. Ibrahim Böhme zum Beispiel, der die Sozialdemokratische Partei der DDR mitgegründet hat, aber seinerzeit noch – als Stasi-IM – für die Initiative für Frieden und Menschenrechte bei ihm vorsprach. Und wie ich erfuhr, hieß der Mann gar nicht Ibrahim, sondern Manfred. Außerdem soll er immer solche alten Strickpullover mit Löchern getragen haben. Auch die Aktivistinnen von Frauen für den Frieden, Bärbel Bohley und Ulrike Poppe, saßen schon bei Propst Furian am Tisch. Und immer sollte der Kirchenmann irgendeinen Ärger aus dem Weg räumen, auch in der Kirche, oder eine Rechnung bezahlen. Auf jeden Fall hatte Furian Humor. Den autoerotischen Zeitvertreib der Unbedachten kommentierte er trocken: »Bruder Krampitz, wenigstens haben Sie keinen Ärger mit Staat und Polizei.« Eine neue Zeit brachte neue Probleme.
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In der DDR schien alles einfacher gewesen zu sein; es gab uns und es gab die. Man war schon ein mutiger Mensch, wenn man bestimmte Bücher las und nicht zum FDJ-Pfingsttreffen ging. Zur Erinnerung: Das Herrschaftssystem in jenem Land funktionierte über ein rationales Austauschverhältnis: Aufstiegschancen und soziale Verbesserungen gegen politisches Wohlverhalten. Eben dieses Geben und Nehmen wird der Hauptgrund gewesen sein, weshalb über zwei Millionen Menschen der SED beigetreten waren. Wer gegen dieses System aufbegehrte – im »Friedensstaat DDR« –, der war erstmal allein und schadete zuerst sich selbst.
Was sich heute vielleicht der Vorstellung entziehen mag: Jede Form der Selbstorganisation trug das Odium der Staatsfeindschaft. Nicht einmal Selbsthilfegruppen gab es in der DDR. Und wer sich mit der SED-Friedenspolitik nicht zufriedengeben wollte, weil er vielleicht den Wehrkundeunterricht ablehnte und genauso Angst vor den sowjetischen Atomraketen hatte wie vor den US-amerikanischen, der oder die konnte sich mit Gleichgesinnten nur in kirchlichen Räumen austauschen, auf Friedenswerkstätten, Bluesmessen und Synoden.
Außerhalb der Kirche aber zog jede selbstorganisierte Aktivität schwerste Konsequenzen nach sich. Es reichte schon aus, als Jugendlicher mit einem Schwerter-zu-Pflugscharen-Aufnäher die Schule oder den Lehrbetrieb zu betreten, um Ärger mit dem Direktor zu bekommen und selbstredend mit Stasi und Volkspolizei. Dabei zeigte der kleine Textildruck am Parka lediglich das Abbild jener berühmten Skulptur von Jewgeni Wutschetitsch, die die Sowjetunion der Uno in New York geschenkt hatte.
Die Friedensarbeit gehörte, neben dem Ringen um Aussöhnung mit Israel, zum Wesen des 1969 gegründeten Bundes der Evangelischen Kirche in der DDR (BEK). Als sich am 1. September 1979 der deutsche Überfall auf Polen, also der Beginn des Zweiten Weltkriegs, zum vierzigsten Mal jährte, verabschiedeten die westdeutsche EKD und der BEK eine gemeinsame Erklärung: Das »Wort zum Frieden« war eine Initiative des DDR-Kirchenbundes, darin heißt es: »Lange bevor ein Krieg ausbricht, hat er in den Gedanken und Herzen der Menschen schon begonnen. Misstrauen und Angst und das Gefühl der Bedrohung löschen alle anderen Hoffnungen aus.«
In den folgenden Jahren gründeten sich mit der Nachrüstungsdebatte zahlreiche Friedensgruppen auch in der DDR, im geschützten Raum der Kirche. Die Mitglieder dieser Initiativen wandten sich gegen die Aufstellung neuer Raketen in beiden Teilen Deutschlands. Hilfe und Unterstützung bekamen sie aus dem Westen, von der Partei Die Grünen. Der Kirchenhistoriker Rudolf Mau schreibt dazu: »Eine sich anbahnende ›Friedensbewegung‹ über die Systemgrenzen hinweg suchte die SED unbedingt zu verhindern.«
Zuerst aber sprach auf der berühmten Demonstration im Bonner Hofgarten am 22. Oktober 1983 mit Heino Falcke auch ein Vertreter der unabhängigen Friedensbewegung in der DDR. »Vor allem müssen wir uns einsetzen für Gerechtigkeit«, so der Erfurter Propst. »Es gilt ja nicht nur einen kommenden Krieg zu verhindern, sondern den Krieg zu beenden, der längst gegen die Dritte Welt und unsere natürliche Umwelt geführt wird.«
Die verschiedenen ostdeutschen Initiativen hatten bereits damit begonnen, ihre Arbeit zu verknüpfen. Unter dem Motto »Konkret für den Frieden« hatten sie am 5. und 6. März 1983 in der Christusgemeinde in Berlin-Oberschöneweide ein Koordinierungstreffen auf die Beine gestellt, mit immerhin 37 Friedensgruppen. Im selben Jahr fand auch die erste »Friedensfahrt ohne Sieger« statt, eine dreitägige Fahrraddemo in und um Berlin mit zeitweise bis zu achtzig Teilnehmern und der Losung: »Im Frieden darf’s keine Sieger geben, sonst werden wir nie im Frieden leben.« De facto war das eine Demonstration im öffentlichen Raum! Mit Tüchern als Mundschutz und lautem Klingelgeläut war die Gruppe am Kalkwerk in Rüdersdorf vorbeigefahren.
In der Nähe von Bernau hatten die Demonstranten haltgemacht, konkret: an der Zufahrt zum sowjetischen Übungsgelände, das mit der Forderung nach »Rückführung der SS-20-Sprengköpfe« symbolisch besetzt worden war. Diese und andere Aktivitäten zogen von staatlicher Seite schwere Konsequenzen nach sich: Ordnungsstrafen und Verhaftungen.
Infolge zunehmender Repression, deren sichtbarer Ausdruck die Ordnungswidrigkeitsverordnung (OWVO) vom März 1984 war, kam die DDR-Friedensbewegung in der zweiten Hälfte der 80er Jahre beinahe zum Erliegen, während gleichzeitig die Umweltgruppen einen größeren Zulauf erlebten. Auf dem Gebiet der Ökologie waren noch Aktivitäten möglich, ohne dass die Einzelnen vom Staat sofort kriminalisiert wurden.
Erst nach der Wende, in den Tagen des zweiten Golfkriegs, erlebte Ostdeutschland wieder eine Friedensbewegung. Lichterketten und Mahnwachen schossen schier aus dem Boden. Viele Tausend Menschen, auch wir bei der Arche, demonstrierten gegen den US-Imperialismus. Propst Furian gehörte nicht zu ihnen, er war kein Pazifist. Darauf angesprochen, erklärte er mir, der Irak bedrohe Israel. Deutschland müsse Israel helfen, zur Not sogar mit Waffenlieferungen. – Auf meinen Einwand, das sei doch ein Widerspruch zu seiner sonstigen Haltung (den Militärseelsorgevertrag mit der Bundeswehr hatte er vehement abgelehnt), sagte er: »Wenn das ein Widerspruch ist, halte ich ihn aus.«
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