Bündnis Sahra Wagenknecht: Rechts, links oder Mitte?

Zehn Bundestagsabgeordnete verlassen Die Linke und nehmen Mandate mit in neue Partei

Die Fotografen lauerten dicht gedrängt, als Sahra Wagenknecht und ihre vier Begleiter am Montagvormittag den Saal der Bundespressekonferenz in Berlin betraten. So, als gäbe es von ihr nicht schon Abertausende Bilder. Jeder wollte seinen Schnappschuss. »Frau Wagenknecht, einmal nach rechts bitte!« – »Hallo Frau Wagenknecht, jetzt bitte auch mal nach links!« – »Und jetzt noch mal in die Mitte!«

Rechts, links, Mitte – wohin die neue Partei der bisherigen Linke-Politikerin gehen wird, das ist in der Tat die Frage. Das am Montag vorgestellte Gründungsmanifest vermeidet jegliche derartige Einordnung, die Rede ist stattdessen von einer Rückkehr zur Vernunft. Dass an diesem Tag der Verein vorgestellt werden sollte, der die neue Wagenknecht-Partei aus der Taufe heben soll, war seit Tagen klar. Dass nun aber gleich zehn Bundestagsabgeordnete um Wagenknecht Die Linke verlassen – außer ihr auch Amira Mohamed Ali, Christian Leye, Ali Al-Dailami, Sevim Dagdelen, Klaus Ernst, Andrej Hunko, Zaklin Nastic, Jessica Tatti und Alexander Ulrich –, kam dann doch überraschend. Sie hatten am Montagmorgen gemeinsam mit einigen anderen Mitgliedern ihren Austritt erklärt. Das begründet sich auch darin, dass unter anderem Wagenknecht, Mohamed Ali und Leye inzwischen dem Vorstand des Vereins Bündnis Sahra Wagenknecht – Für Vernunft und Gerechtigkeit (BSW) angehören.

Dessen Ziel ist die Gründung einer neuen Partei, die im Januar stattfinden soll. Man wolle damit eine Lücke im Parteiensystem schließen, sagte Mohamed Ali, bis eben noch Fraktionschefin der Linken und nun die Vereinsvorsitzende bei Wagenknecht. Die Linke habe sich von ihren ursprünglichen Zielen entfernt, rutsche in die Bedeutungslosigkeit, verliere eine Wahl nach der anderen. »Wir wollen nicht zusehen«, so Mohamed Ali, »wie sich immer mehr Menschen von der Demokratie abwenden, weil sie sich nicht mehr politisch vertreten fühlen.« Die neue Partei solle für alle da sein, »die nicht auf der Sonnenseite stehen«, und für eine stabile Wirtschaft.

Letzteres ist für das Wagenknecht-Projekt der wichtigste Punkt. Es steht an der Spitze des Gründungsmanifests und war auch Sahra Wagenknechts erstes Argument in der Pressekonferenz. Sie wetterte gegen die »schlechte, planlose, inkompetente Bundesregierung«, die Deutschland mit ihrer Sanktionspolitik von preiswerter Energie abschneide. Sie plädierte für mehr sozialen Ausgleich, wandte sich gegen »ungeregelte Zuwanderung« und »blinden Öko-Aktivismus«, forderte mehr Diplomatie und Entspannungspolitik bei internationalen Konflikten und beschwerte sich über einen wachsenden Konformitätsdruck: »Jeder, der von der dominierenden Meinungsblase abweicht, wird diffamiert.« Gleich zu Beginn klagt das Gründungsmanifest über einen »autoritären Politikstil, der den Bürgern vorschreiben will, wie sie zu leben, zu heizen zu denken und zu sprechen haben«.

Überlegungen zu einer neuen Partei gab es schon längere Zeit. In Wagenknechts Umfeld wurde der Gedanke bereits diskutiert, nachdem auf dem Parteitag im Februar 2021 fast niemand aus dem Wagenknecht-Lager in die Parteiführung gewählt worden war. Ähnliches wiederholte sich beim Erfurter Parteitag im Juni 2022, als einige Wagenknecht-freundliche Kandidaten zudem ihre Bewerbungen zurückzogen. Spätestens seit dem Frühjahr 2023 sprach Wagenknecht immer offener über Parteigründungspläne. Seit einigen Monaten gab es kaum noch einen Zweifel daran. Im September sagte sie in einer TV-Talkshow: »Wenn man etwas kaputt macht, dann sollte man das nur machen, wenn man schon weiß, dass man etwas Neues aufbauen kann.«

Umstritten ist, wie die Linke-Abspalter mit ihren Bundestagsmandaten umgehen. Sie wollen im Parlament bleiben, denn, so Wagenknecht, man sei ja für bestimmte Positionen gewählt worden, für die man immer noch stehe – im Gegensatz zur Linken. Eine Mandatsniederlegung, um Linke-Nachrückern Platz zu machen, kommt für sie nicht in Frage. Verlassen die zehn Abgeordneten die Fraktion, hat sich der Fraktionsstatus erledigt. Auf dem Spiel stehen dann die Arbeitsplätze von 108 Mitarbeitern. Deshalb haben Wagenknecht und Co. beantragt, bis Januar in der Fraktion zu verbleiben.

Allerdings wollen sie ab sofort nicht mehr die Mandatsträgerabgabe zahlen, die Linke-Abgeordnete laut internen Regelungen von ihren Diäten an die Partei abführen müssen. Das geschieht nach nd-Informationen nicht vollständig: Zwei der am Montag aus Partei ausgetretenen Abgeordneten sind demnach mit ihren Abgaben an die Partei im Verzug. Alle zehn wollen das Geld ab jetzt in ihr neues Projekt stecken. Für Harald Wolf, Bundesschatzmeister der Linken, »eine Dreistigkeit, die wir nicht akzeptieren werden«, wie er gegenüber »nd« sagte. Gut möglich, dass es darüber einen juristischen Streit gibt.

Im Januar soll der Gründungsparteitag stattfinden, spätestens dann ist die Linksfraktion endgültig Geschichte. Auf einer Versammlung der Fraktionsbeschäftigten sagte Fraktionschef Dietmar Bartsch letzte Woche, es gehe jetzt darum, »den Laden in Würde zu beerdigen«. Sowohl Die Linke als auch die Wagenknecht-Partei werden dann den Gruppenstatus anstreben. Ob die Bundestagsmehrheit den zerstrittenen Spaltprodukten der Linksfraktion dies zubilligt, ist ungewiss; wenn ja, könnte ein Teil der Mitarbeiter wieder eingestellt werden. Wie man hört, versucht die Wagenknecht-Gruppe nicht nur Abgeordnete, sondern auch Fraktionsmitarbeiter auf ihre Seite zu ziehen.

Unterdessen überlegt man auch anderenorts, wie man Profit aus dem Linke-Streit schlagen könnte. So erklärte der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil, seine Partei stehe offen für enttäuschte Linke-Mitglieder, die sich »für Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität einsetzen und in unserem Land etwas bewegen wollen«. Ähnliche Signale gibt es aus der SPD-Bundestagsfraktion.

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Erste Landesverbände soll es Mitte 2024 geben. Bei der EU-Wahl im Juni will die Partei auf jeden Fall antreten, möglichst auch bei den Landtagswahlen im Herbst in Thüringen, Sachsen und Brandenburg. »Viele Menschen erwarten es«, so Wagenknecht, aber das hänge davon ab, wie weit die Landesverbände sind und wer kandidieren könnte. Ganz nebenbei wurde während der Pressekonferenz gleich viermal darauf hingewiesen, dass die neue Partei Spenden braucht.

Als künftige Mitglieder für die Partei, die »langsam und kontrolliert wachsen soll« (Christian Leye), umwirbt man nicht nur Linke-Genossen, sondern ebenso ehemalige Sozialdemokraten und Grüne. Auch Wähler und frühere Mitglieder von FDP, CDU und CSU hätten schon Interesse bekundet, sagt Wagenknecht. Und wer soll die Partei wählen? Diejenigen, die sich von den bestehenden Parteien nicht mehr vertreten fühlen, so Wagenknecht. Und viele, die aus Wut rechts gewählt haben.

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