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Literaturpreis »Open Mike«: Um die Wette lesen
Junge Literatur beim 31. »Open Mike«, dem vom Haus für Poesie seit 1993 veranstalteten Wettbewerb
Wie es um den Nachwuchs im literarischen Feld bestellt ist, lässt sich jedes Jahr im Herbst beim »Open Mike« beobachten. Die Berliner Literatureinrichtung Haus für Poesie, die bis 2016 Literaturwerkstatt hieß, veranstaltet seit 1993 den Wettbewerb, der jungen Leuten ohne eigenes Literaturbuch Sichtbarkeit garantieren soll. Agenten schwirren herum, Kärtchen werden ausgetauscht. Das Vorlesen findet im Heimathafen Neukölln statt, wo viel Platz ist und für Essen gesorgt wird. So auch vergangenes Wochenende.
Insgesamt waren 21 Autorinnen und Autoren nominiert. Vorgelesen wurde Prosa und Lyrik, maximal 15 Minuten, dann erklang ein Gong. Eine Vorjury aus Dichtern, Lektorinnen und Verlagsleuten hatte aus aberhunderten Texten ausgewählt. Das Programm erstreckte sich über drei Tage: Am Freitag wurde eröffnet mit einer Rede von Kathrin Röggla. Die war vor 30 Jahren eine der ersten Gewinnerinnen. Prämierte, die mittlerweile Bücher vorweisen können, sprachen über ihre Erfahrungen nach der Auszeichnung. Samstag und Sonntag wurde dann in Blöcken von drei oder vier Lesungen dem Publikum Literatur dargeboten.
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Unter den Gästen war die Publikumsjury der »Taz«, die einen eigenen Preis vergibt; hinter der letzten Reihe schrieben Blogger live online über das Geschehen; an der linken Wand war die Jury positioniert: Shida Bazyar, Anja Zag Golob, Senthuran Varatharjah. Ihnen oblag die Qual der Wahl. Sie nahmen sich eine halbe Stunde mehr Zeit als im streng getakteten Programm vorgesehen. Vielen Autoren ging es um familiäre Angelegenheiten. Körperlichkeit spielte eine große Rolle. Dass der Gebrauch der Sprache nicht selbstverständlich ist, wollten manche klarmachen: experimentelle Lyrik, selbstreflexive Prosa. Tiere gaben Texten Titel. Migration und Mehrsprachigkeit waren immer wieder Thema. Geologische Erkundungen wurden durchgeführt und eine Landschaftssimulation sollte einen Arbeitsplatz sichern. Die meisten Beiträge hatten etwas Tadelloses an sich. Im Betrieb muss man eben auch lernen, was ankommt, und Form wahren.
Wer wurde gekürt? Salvatore Calanduccia mit einer philosophischen Erzählung, die über Gott, Gebet, Schreiben nachdachte. Kenan Kokic aus Wien, der eine sehr eindringliche Prosa über eine »verstreute«, stumme Familie vortrug. Und die Lyrikerin Miedya Mahmod, deren episches Gedicht die Jury ein »Klagelied« nannte. Sie erhielten die 7500 Euro Preisgeld zu gleichen Teilen. Susanne Romanowskis »Die Heimsuchung« gewann den »Taz«-Publikumspreis als einer der wenigen lustigen Texte: Es ging um Gentrifizierung, Beziehungsende, das surreale Entstehen eines Lochs in der Wohnung. Insgesamt sind alle Entscheidungen nachvollziehbar. Nur ging leider Mario Schemmerl leer aus. Er erzählte vom Arbeitsalltag im »Sonnenhof«, wo Menschen, mit denen es zu Ende geht, gepflegt werden. Die perfide »Kunstfertigkeit« solcher Heime war eine Erinnerung an die außerliterarischen Probleme, die in der Wirklichkeit lauern und die man nicht im Kopf lösen kann.
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