Deutsches Theater: Auftrag unklar, aber der Jeep rotiert

Im Deutschen Theater Berlin trifft Heiner Müllers Stück von 1979 auf einen Text des kongolesischen Autors Elemawusi Agbédjidji von heute

  • Jakob Hayner
  • Lesedauer: 5 Min.
Das alte und das neue Logo am Deutschen Theater in Berlin
Das alte und das neue Logo am Deutschen Theater in Berlin

Ineinander verschlungen und geschwungen stehen das D und das T auf dem Dach. Es ist das alte Logo des Deutschen Theaters in Berlin-Mitte, entworfen von John Heartfield zu einer Zeit, als das Haus zum ersten Staatstheater der jungen sozialistischen Republik aufstieg. Daneben steht nun hell erleuchtet ein neues Logo, das D streckt sich in die Länge, bis es wie eine Adresszeile im Internet aussieht, darin steht losgelöst das T, kaltes weißes Licht umreißt die Konturen. So grüßt das Digitalzeitalter.

Es ist üblich, dass eine neue Intendanz auch einen neuen optischen Auftritt mitbringt. Seit dieser Spielzeit leitet Iris Laufenberg das berühmte Theater in der Schumannstraße, die Berliner Kulturpolitik wünschte sich explizit die Theaterleiterin, die zuvor am Schauspielhaus in Graz war. Nun ist Laufenberg die erste Frau auf dem Intendantenposten in der langen Geschichte des Deutschen Theaters. Und das neue Design wirkt wie eine Kontaktaufnahme zur die Berliner Cafés bevölkernden Laptopklasse.

Wer sich hingegen noch an die DDR erinnert, sollte wohl mit der Eröffnungspremiere »Weltall Erde Mensch« von Alexander Eisenach beglückt werden. Das alberne Science-Fiction-Spektakel endet jedoch als Bruchlandung statt als Aufbruch in ungeahnten Welten. Auch Rainald Goetz’ neues Stück »Baracke«, eine Anatomie deutscher Verhältnisse in Familie und Politik nach 1990, kommt in der zwischen ironischer Distanz und Überdeutlichkeit changierenden Regie von Claudia Bossard nicht wirklich zur Geltung.

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In den Kammerspielen wurde mit »Der geflügelte Froschgott« eine weitere vielversprechende Uraufführung präsentiert: Der Monolog über Tod, Seele und Glauben stammt von Ingrid Lausund, die als Mizzi Meyer für die alltagsphilosophische Fernsehserie »Der Tatortreiniger« Drehbücher mit viel schwarzem Humor verfasst hat. In der Regie von FX Mayr wird das allerdings zum flachen Gehopse im grellen Neonbühnenbild mit Feier-des-Lebens-Mitmachtheater zum Schluss.

So schaut man gespannt auf »Der Auftrag / Psyche 17«. Große Bühne, große Erwartungen und großer Name: Mit dem Revolutionsstück »Der Auftrag« kommt Heiner Müller auf den Spielplan des DT zurück, der hier in den letzten Tagen der DDR »Der Lohndrücker« und »Hamlet / Hamletmaschine« selbst inszenierte, später folgte Dimiter Gotscheff. »Psyche 17« ist ein neuer, erstmals aufgeführter Kommentar zu »Der Auftrag«, geschrieben von Elemawusi Agbédjidji, einem Autor aus dem Togo. Ein Doppelabend zwischen Tradition und Gegenwart?

Der Regisseur Jan-Christoph Gockel hat bereits unter Laufenberg in Graz einen ähnlichen Doppelabend inszeniert, damals »Der Auftrag« und »Dantons Tod« von Georg Büchner. In Müllers Stück – geschrieben nach einer Vorlage von Anna Seghers – geht es um die Befreiung der Sklaven auf Jamaika. Diesen Auftrag aus dem revolutionären Frankreich bekommen der Sohn eines Sklavenbesitzers, ein Bauer und ein ehemaliger Sklave. Doch während sie auf ihrer Mission sind, krönt sich Napoleon zum Kaiser und führt die Sklaverei wieder ein. Was wird aus ihrem Auftrag?

»Solange es Herren und Sklaven gibt, sind wir aus unserem Auftrag nicht entlassen«, lautet der wohl berühmteste Satz aus Müllers Stück. Nur herrscht darüber in dem Trio keine Einigkeit, die kurzfristige Regenbogenkoalition über die Grenzen der Klassen und Hautfarben zerfällt. Julia Gräfner als Debuisson im Anzug kehrt in die Rolle des Eigentümers zurück, die Befreiung ist verraten, das Privileg ist süßer als der Bruch. Für die beiden Eigentumslosen, Florian Köhler als Galloudec und Komi Mizraijm Togbonou als Sasportas im Thomas-Sankara-Outfit, ist das unmöglich.

Gockel setzt auf eine Regie der starken Bilder. Die »Marseillaise« wird von einer E-Gitarre zerfleddert wie einst bei Jimi Hendrix in Woodstock die Hymne der USA, »The End« von The Doors erinnert an »Apocalypse Now« – der Film kam 1979 in die Kinos, im gleichen Jahr wurde »Der Auftrag« uraufgeführt. 1979 ist auch das Jahr, in dem deutlich wurde – in Afghanistan und im Iran –, dass die antikoloniale Befreiung in eine Sackgasse geraten ist und in neue Unterdrückung kippt. Von heute sieht es so aus, als hätte Müller diese Dialektik der Dekolonisierung im Blick gehabt.

Der Abend beginnt mit Fotos von Demonstrationen gegen den Einfluss Frankreichs, wie man sie aus dem westafrikanischen Staaten Burkina Faso, Mali, Gabun und Niger kennt. Es sind Länder, in denen es jüngst zu Aufständen und Putschen kam. Gockel selbst hat die Region oft bereist und kennt sie gut, was seine Dokumentarfilme »Die Revolution frisst ihre Kinder!« und »Coltan-Fieber« zeigen. Wiederholt sich zwischen Europa und Afrika der Verrat aus »Der Auftrag«? Das liegt nahe.

Der Abend wirkt jedoch, als würde er sich, trotz der zahlreichen Hinweise auf Gegenwärtiges, nicht auf eine mutige Deutung einlassen wollen und dreht sich im Kreis wie die drei Revolutionäre in ihrem Jeep auf der Bühne. Das liegt auch daran, dass die Bilder zwar eindrücklich, düster und atmosphärisch sind, sich aber kaum ins Metaphorische wagen. Der Mann im Fahrstuhl steht wirklich in einem Fahrstuhl und der Engel der Verzweiflung ist dann auch ein Engel. Und in »Psyche 17«, dem zweiten Teil nach der Pause, wird die Brille, die jeder als seine eigene Perspektive trägt, als Brille im Publikum gesucht. Kurz: Die Bilder werden totgeritten.

»Psyche 17« bringt nun auch eine »Frau im Fahrstuhl« auf die Bühne, gespielt von Isabelle Redfern. Der Text versucht, eine Ähnlichkeit zwischen der Kolonisierung Afrikas und des Weltalls durch die heutigen Abenteuerkapitalisten zu behaupten. Das holpert nicht nur politisch, sondern auch poetisch gehörig, sodass »Psyche 17« gegenüber »Der Auftrag« (obwohl bei Gockel stark gestrichen und glatt gebürstet) stark abfällt. Auch das routinierte Aus-der-Rolle-Fallen, um einige politisch korrekte, aber öde Einwände gegen Müller vorzutragen, ist lahm. Der Abend versandet.

Der bisherige Auftakt des Deutschen Theaters unter neuer Intendanz verspricht einiges, löst aber wenig ein. Es enttäuscht vor allem der Zugriff auf die Stoffe, die in den Aktualisierungen und Kommentierungen oftmals so oberflächlich wirkt, dass selbst das technisch Perfekte einen Anflug des Kulissenhaften und Hohlen bekommt. Das jedoch ist ein Problem, das nicht nur das Deutsche Theater betrifft, sondern die Kultur im Gesamten. Ob die nächsten zwei großen Premieren am DT eine Wende bringen? Die kommen immerhin von den Regiegrößen Claudia Bauer und Anne Lenk.

Nächste Vorstellungen: 26.11., 30.11., 12. 12., 19.12., 30.12.

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