- Kultur
- Kunst im Sozialismus
Verblichene Ideale
Das Dresdner Albertinum präsentiert eine umfangreiche Schau zu den künstlerischen Beziehungen zwischen der DDR und ihren sozialistischen Bruderländern
»Die Freundschaft der Jugend aller friedliebenden Völker sichert der Welt den Frieden« steht auf einem aus Holz geschnitzten Hängeleuchter, der derzeit im Dresdner Albertinum zu sehen ist. Der Satz bekräftigt, was mit den ebenfalls holzgeschnitzten, einander zugewandten Figuren auf der Tragfläche des Leuchters vermittelt wird: Sie repräsentieren stereotyp unterschiedliche Nationen bzw. Kulturen, die sich, dem in der Präambel der DDR-Verfassung postulierten Ideal der Völkerfreundschaft entsprechend, miteinander solidarisieren.
Um große Kunst handelt es sich bei diesem 1951 von Martin Angermann geschaffenen Objekt sicher nicht, eher um ein wenig kitschige Folklore. Solche hat auch ihren Platz in der Ausstellung »Revolutionary Romances«, die sich anhand von Werken aus der Zeit von den 50er bis zu den 90er Jahren dem Verhältnis der DDR-Kunst zu den so genannten sozialistischen Bruderländern wie Kuba, Vietnam oder Mosambik widmet. Gleichberechtigt hängt hier ästhetisch Renommiertes neben eher Dekorativem, Plattencover und Plakate sind ebenso ausgestellt wie Werke bekannter DDR-Künstlerinnen und -Künstler, etwa Blätter aus der Folge »Zum Kommunistischen Manifest« (1968) von Lea Grundig oder verschiedene Farbholzschnitte von Doris Kahane, die bäuerliches Leben in Vietnam zeigen. Einen großen Teil der Exponate, von denen viele erstmalig der Öffentlichkeit präsentiert werden, bilden außerdem Arbeiten von Künstlerinnen und Künstlern aus ebenjenen Bruderländern – darunter viele, die diese für ihr Diplom an der Hochschule für Bildende Künste (HfBK) Dresden anfertigten.
Es lässt sich einiges entdecken in dieser imposanten Schau, die mit ihrer Fülle an Material fast ein wenig überfordert. Eindrücklich etwa die Holzschnitte von Carmelo González, einem der herausragendsten Künstler der kubanischen Grafik. In sozialistischer Haltung stellen González’ Arbeiten den Menschen und sein (politisches) Begehren in den Mittelpunkt; ihr Hochformat ist der Form des menschlichen Körpers angepasst. González hat seinen Figuren durch akzentuierte Muskulatur und kühne, geschwungene Formen eine kämpferische Vitalität verliehen – Revolutionärinnen und Revolutionäre, die die Welt verändern sollten.
Ebenjene Lebendigkeit, die González’ Figuren eigen ist, hat Salvador Allende auf Christoph Wetzels Gemälde »Der tote Präsident« (1974) bereits verlassen. Wetzel zeigt das leblose chilenischen Staatsoberhaupt im Großformat in eine Chile-Fragge gewickelt auf einem Sessel mit Einschusslöchern – er suggeriert damit, Allende sei von den Putschisten ermordet worden, die 1973 die Macht in dem Land an sich gerissen hatten. Der Begleittext weist darauf hin, dass der Sozialist Allende sich selbst das Leben genommen hatte. Dies konnte erst 2011 mittels einer gerichtsmedizinischen Untersuchung dessen sterblicher Überreste zweifelsfrei belegt werden.
Wie an dieser fungieren die Begleittexte zu den Exponaten auch an vielen anderen Stellen als Korrektiv, ordnen die Kunstwerke in ihren historischen Kontext ein und befragen sie zur Richtigkeit und Aktualität ihrer Inhalte. Halten Sie dem Blick der Gegenwart stand, oder offenbart sich in ihnen etwas, das wir hinter uns gelassen haben oder zumindest hinter uns gelassen zu haben meinen? Es geht hier nicht nur um historische Akkuratheit, sondern auch um den Wandel von Ideologie und sozialen Normen.
In diesem Sinne wird von kuratorischer Seite nicht nur die Ästhetik des eingangs erwähnten Leuchters von Martin Angermann kritisiert, in der sich eine imperialistische Perspektive spiegele, sondern etwa auch ein Motiv auf dem »Kongo-Triptychon« (1965) von Heinz Lohmar, einst Professor von Gerhard Richter an der HfBK Dresden. Lohmars dreigeteiltes Gemälde, das sich auf die Kongo-Krise Anfang der 60er Jahre bezieht, ist eine plakative Anklage des Neokolonialismus.
Der Kongo war zum Zeitpunkt der Entstehung des Bildes zu einem Schlachtfeld für einen brutalen Stellvertreterkrieg zwischen den USA und der UdSSR um politischen Einfluss und Rohstoffe geworden. Links auf seinem Triptychon hat Lohmar ausschweifende Kapitalisten mit Prostituierten dargestellt, rechts kämpferische Sozialisten, in der Mitte sieht man das Elend des Krieges, massakrierte Leichen. Die Texttafel neben dem Werk konstatiert, dass eine der Leichen rassifiziert dargestellt ist – und tatsächlich, mit solch karikiert wirkenden Gesichtszügen würde man heute eine schwarze Person sicherlich nicht mehr malen. (Was allerdings weniger auf einen spezifischen Rassismus Lohmars als vielmehr auf einen noch allgemein, auch im Westen verbreiteten Mangel an antirassistischer Sensibilität schließen lässt.)
Die Ausstellung lässt die Zeit Revue passieren, in der die großen Ideale des Sozialismus, internationaler Solidarität und Frieden vielen greifbarer schienen als heute, in Teilen sogar realisiert waren – sie weist jedoch auch vielerorts auf Diskrepanzen dieser Ideale zur historischen Wirklichkeit hin. Passend dazu ist nicht nur staatstragende Kunst, sondern mitunter auch für die damaligen Verhältnisse Subversives zu sehen. So erzählt etwa in einem Video der Künstler und Verleger Lutz Wohlrab von der Mail-Art-Bewegung der DDR, deren Teil er war. Künstlerinnen und Künstler schufen Arbeiten, die sich postalisch verschicken ließen, und bauten so internationale Netzwerke auf. Gewissermaßen auch eine Form der internationalen Solidarität, die allerdings in Teilen gegen das DDR-Regime opponierte und deshalb streng überwacht wurde.
Auch nicht so recht zur Ästhetik des Sozialistischen Realismus passen die Schwarz-Weiß-Fotografien von Matthias Rietschel mit dem Titel »Vietnamesen in Dresden« (1987–1990) – obwohl sie in staatlichem Auftrag entstanden. Die Bilder, die die »Arbeit, Freizeit und Freundschaft« von »ausländischen Arbeitern in der DDR« dokumentieren sollten, zeugen durchaus auch von den Schwierigkeiten, mit denen vietnamesische Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter in dem Land konfrontiert waren – sei es das Verbot, mit DDR-Bürgern Liebesbeziehungen einzugehen, oder der beengte Wohnraum (in dem gleichwohl Erich Honecker als Schutzpatron von der Wand blickt).
Anders als die Arbeiten von Rietschel mögen viele Werke, die gerade im Albertinum hängen und von denen hier nur ein Bruchteil erwähnt wurde, für das eher an subtile Formsprache und Abstraktion gewöhnte Auge gerade jüngerer und/oder im Westen aufgewachsener Kunstinteressierter befremdlich wirken. Doch wem sie zu plump und agitativ vorkommen, der sollte sich daran erinnern, dass auch die im selben Zeitraum entstandene Kunst des Westens keineswegs ohne Agenda war – wenngleich das seinen populären Künstlern weniger bewusst gewesen sein dürfte als ihren Pendants in den sozialistischen Ländern. Und wenn die CIA etwa abstrakte Expressionisten wie Jackson Pollock förderte, um sie gegen den Kollektivismus der sozialistischen Länder in Stellung zu bringen, dann tat sie das im Namen einer Freiheit, die bis heute nur eine scheinbare ist.
Gleichwohl geht natürlich die Kunst eines Pollocks nicht in der Affirmation kapitalistischer Ideologie auf, ebenso wenig wie das Werk von Ronald Paris oder Doris Kahane in der Affirmation realsozialistischer Politik. Ihre besten Momente hatte die sozialistische Kunst der DDR und ihrer Bruderländer sicherlich überall dort, wo sie sich wirklich utopisch zeigte – im Albertinum lässt sich ein wenig davon erhaschen.
»Revolutionary Romances – Globale Kunstgeschichten in der DDR«, bis 2. Juni 2024, Albertinum, Dresden
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