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Finanzpolitische Fessel: CDU-Politiker gegen die Schuldenbremse
Immer mehr CDU-Ministerpräsidenten wollen eine Reform des weitgehenden Kreditaufnahmeverbots für die öffentliche Hand
Die Autorität von CDU-Chef Friedrich Merz hat offenkundig gelitten. Seine Reden von der Notwendigkeit, auf neue Staatskredite zu verzichten, nehmen vieleselbst in der eigenen Partei nicht mehr ernst. Beziehungsweise: Sie widersprechen ihm wie auch der bayerischen Schwesterpartei.
Im Bundestag lehnen CDU und CSU die Reform der Schuldenbremse im Grundgesetz ab. Vorschläge zu ihrer Veränderung aus der CDU laufen darauf hinaus, dass vom weitgehenden Verbot für die öffentliche Hand, neue Kredite aufzunehmen, Investitionen in Sanierung und Ausbau von Verkehrsinfrastruktur, in Schulen und klimaneutrale Fertigung ausgenommen sein sollten. CSU-Chef Markus Söder betonte, die Unionsfraktion im Bundestag werde eine solche Reform blockieren. Ohne ihre Zustimmung wäre sie unmöglich, weil für eine Grundgesetzänderung eine Zweidrittelmehrheit erforderlich ist.
Von den CDU-internen Verfechtern einer Reform hat sich Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner am deutlichsten geäußert. Er war nach dem Karlsruher Haushaltsurteil vom 15. November der erste Unionspolitiker, der eine solche gefordert hatte. Ende vergangener Woche plädierten auch die CDU-Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt und Sachsen, Reiner Haseloff und Michael Kretschmer, für eine Überarbeitung.
»Die Reform der Schuldenbremse für Zukunftsinvestitionen ist dringend erforderlich«, bekräftigte Wegner am Dienstag gegenüber dem »Stern«. Er reagierte damit auf einen Rüffel von Merz, der mit Blick auf Wegners Position betont hatte, Entscheidungen darüber würden im Bundestag »und nicht im Rathaus von Berlin« getroffen.
Nach der Karlsruher Entscheidung, in der Sondervermögen beziehungsweise deren Umwidmung für andere Zwecke grundsätzlich für verfassungswidrig erklärt wurden, fehlen im auf mehrere Jahre angelegten Klima- und Transformationsfonds (KTF) des Bundes 60 Milliarden Euro. Dies trifft auch Projekte in den Bundesländern.
Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hat unterdessen angekündigt, dem Kabinett kommende Woche einen Nachtragshaushalt für 2023 vorzulegen. Nach Angaben seines Hauses will die Regierung dem Bundestag vorschlagen, für das laufende Jahr eine außergewöhnliche Notlage zu erklären, was ein erneutes Aussetzen der Schuldenbremse ermöglichen würde. Damit sollen in diesem Jahr bereits genutzte Kredite nachträglich rechtlich abgesichert werden.
Zugleich stimmte Lindner die Koalitionspartner auf »erhebliche Kraftanstrengungen« ein. Vor der Aufstellung eines verfassungsfesten Haushalts für 2024 müssten intensive und schwierige Diskussionen geführt werden. Am Mittwochabend wollten sich die Spitzen der Ampel-Parteien mit Kanzler Olaf Scholz (SPD) treffen, um über den Etat zu sprechen. Dabei wird es insbesondere um Ausgabenkürzungen gehen, die Scholz am Dienstag in seiner Regierungserklärung nur sehr allgemein angekündigt hatte.
Steuererhöhungen zur Erhöhung der Staatseinnahmen lehnt die FDP weiter ab. FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai sagte am Mittwoch: »Der Staat hat kein Einnahmeproblem, sondern ein Ausgabeproblem.« Auch ein erneutes Aussetzen der Schuldenbremse im kommenden Jahr schließt Djir-Sarai bislang aus. SPD-Generalsekretär Kühnert betonte hingegen, das im Haushalt 2024 klaffende Loch im zweistelligen Milliardenbereich sei »über bloße Einsparungen im Kernhaushalt und in den Investitionsvorhaben des Bundes« nicht zu füllen. Weder politische noch wissenschaftliche Kräfte hätten bisher »auch nur ansatzweise Sparvorschläge vorgelegt (…), die dieser Größenordnung gerecht werden«, sagte Kühnert am Mittwoch im Deutschlandfunk. Deswegen werde man auch 2024 nicht an einer mit einer Notlage begründeten Aussetzung der Schuldenbremse vorbeikommen.
Insgesamt fehlen infolge des Karlsruher Urteils im Etat 2024 fast 20 Milliarden Euro. Das liegt vor allem daran, dass die Regierung auch den Sondertopf für die Energiepreisbremsen auflösen muss, den Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF). Zinszahlungen daraus kommen nun auf den Kernhaushalt zu, ebenso Hilfen für Flutopfer, die bisher aus einem Sondervermögen gezahlt wurden.
Eins steht indes bereits fest: Der Start der von der Ampel geplanten sogenannten Aktienrente wird sich aufgrund der Haushaltslage verzögern. Der Sozialverband VdK fordert angesichts dessen das endgültige Aus für das Vorhaben. VdK-Präsidentin Verena Bentele sagte am Mittwoch, statt »staatliches Zocken am Aktienmarkt« zu ermöglichen, müsse die gesetzliche Rente gestärkt werden.
Angesicht der Haushaltsprobleme infolge des Urteils des Bundesverfassungsgerichts hatte Lindner am Montag darauf verzichtet, dieses Jahr die ersten zehn Milliarden Euro in den Kapitalstock der Aktienrente zu überweisen. Ob im kommenden Jahr wie ursprünglich geplant zwölf Milliarden Euro dafür bereit gestellt werden, ist angesichts der Unsicherheiten zum Haushalt 2024 offen.
Der FDP-Minister will mit dem sogenannten Generationenkapital nach und nach eine weitere Säule zur Finanzierung des Rentensystems schaffen. Der Staat soll dabei die Gelder aus dem Kapitalstock gewinnbringend in Aktien und Anleihen investieren. Aus den Erlösen sollen dann die Rentenbeiträge ab Mitte der 2030er Jahre stabilisiert werden.
»Selbst ohne das Urteil des Bundesverfassungsgerichts wäre es in diesen unsicheren Zeiten unverantwortlich gewesen, zehn Milliarden zusätzliche Schulden aufzunehmen und auf dem Aktienmarkt zu parken«, erklärte Bentele. »Die gesetzliche Rente finanziert sich zuallererst aus den Beiträgen der hart arbeitenden Menschen. Deshalb sollte die Bundesregierung jetzt, statt an die Börse zu gehen, in die Beschäftigten investieren und sich um gute und gut bezahlte Arbeit kümmern.«
Bentele forderte zudem eine stärkere Erhöhung der gesetzlichen Rente. Deren bisher angekündigte Anhebung um 3,5 Prozent im kommenden Jahr sei »für viele Rentnerinnen und Rentner angesichts der Preissteigerungen kein Schutz vor Armut«. Deshalb müssten im Rentenpaket II »alle Kürzungsfaktoren aus der Rentenformel gestrichen werden und die Renten wieder eins zu eins den Löhnen folgen«.
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