Woidke in der Lausitz: Kohleausstieg hart wie Beton

Ministerpräsident Dietmar Woidke freut sich über neue Jobs im Bahnwerk Cottbus

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 5 Min.

Es riecht nach Bauharz. Die leeren Blechdosen, in denen das Bindemittel drin war, stehen am Ausgang aufgestapelt. In der 440 Meter langen Halle hinter dem Cottbuser Hauptbahnhof wuseln unzählige Bauarbeiter geschäftig hin und her, fahren mit Hebebühnen hoch und runter, hin und her. Die neue Halle für das Bahnwerk ist in einem atemberaubenden Tempo schneller aus dem Boden gewachsen als geplant. Nun soll sie nach weniger als zwei Jahren Bauzeit bereits am 8. Januar fertig werden. Wenn die Inbetriebnahme gefeiert und der letzte Gast gegangen ist, soll die erste Nachtschicht sofort loslegen, sagt Gesamtprojektleiter Marc Hermann von der Deutschen Bahn AG am Donnerstag.

»Krass, wie schnell das ging«, staunt Oberbürgermeister Tobias Schick (SPD). Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) lässt sich erklären, wie das gelingen konnte. Einen Anteil daran hat die 2018 in Cottbus gegründete Sonocrete GmbH. Geschäftsführer Ricardo Remus entwickelte mit Christiana Rößler von der Bauhaus-Universität Weimar eine Technologie, mit der klimafreundlicher Beton schneller aushärtet, damit Betonfertigteile nicht zu teuer werden. In einer Vormischanlage wird der Zement dazu mit Hochleistungsultraschall behandelt. Herkömmlicher Zement härtet nicht so langsam aus, verursacht aber erhebliche CO2-Emissionen. Für weltweit acht Prozent des CO2-Ausstoßes trägt derzeit die Beton- und Zementindustrie die Verantwortung. Hier setzt die Sococrete GmbH an. Ihre Technologie bestand die ersten Praxistests unter anderem mit Betonstützen für die Bahnhalle, in der ab Januar ICE 4-Züge gewartet werden sollen.

Im alten Bahnwerk Cottbus, dem bis 2019 noch die Schließung drohte, kümmern sich 400 Beschäftigte um Dieselzüge. Es ist der mittlerweile einzige DB-Standort zur Wartung solcher Züge. In der neuen Halle werden zunächst 300 Kollegen arbeiten. Bis 2026 entsteht noch eine zweite neue Halle. Insgesamt verspricht das alles 1200 Jobs. Die ersten 600 Leute sind schon eingestellt und werden in verschiedenen Bahnwerken in ganz Deutschland auf ihre neue Aufgabe vorbereitet. Ein Ausbildungszentrum der Braunkohleindustrie in Jänschwalde verschafft nun auch der Deutschen Bahn Fachkräfte. Perspektivisch will die Bahn dieses Ausbildungszentrum übernehmen.

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Denn die Tage des Tagebaus in der Lausitz sind gezählt. Spätestens 2038 soll das letzte Kohlekraftwerke im Revier vom Netz gehen. Noch beschäftigt die Lausitzer Energie AG rund 6000 Personen. Doch für die wegfallenden Arbeitsplätze müssen neue geschaffen werden. Die Jobs im Bahnwerk Cottbus gehören dazu. Ministerpräsident Woidke macht sich da inzwischen keine großen Sorgen mehr. Vor vier Jahren, als der Kohleausstieg beschlossen wurde, haben ihm noch Lausitzer Unternehmer Briefe geschrieben und davor gewarnt, die Jugend werde wegen fehlender Jobs weggehen. Jetzt schreiben ihm diese Unternehmer wieder Briefe, dass ihnen Fachkräfte fehlen. Das Krankenhaus in Forst und das Cottbuser Carl-Thiem-Klinikum bilden schon Brasilianer und Vietnamesen für die Pflege aus. »Wir sind auf Fachkräfte aus der ganzen Welt angewiesen«, weiß Oberbürgermeister Schick.

Die selbst für ostdeutsche Verhältnisse starken Wahlergebnisse der AfD in der Lausitz könnten bei Zuwanderern allerdings abschreckend wirken. Die Braunkohle, die bis in die vierte Liga abgestiegene Fußballmannschaft FC Energie Cottbus und die AfD – das verbindet man anderswo gedanklich mit dem Revier, ist Laura Staudacher bewusst. Sie ist Vorsitzende der Vereins »Junge Lausitz«, in dem 14- bis 35-Jährige ein positives Bild von ihrer Heimat vermitteln möchten. »Wir leben gern hier. Wir wollen mehr über das reden, was die Region lebenswert macht«, sagt Staudacher, die bei der Bundestagswahl 2021 für die FDP kandidiert hatte. Für fünf Euro pro Quadratmeter warm könne man in Berlin allenfalls »eine Plattenbauwohnung am Stadtrand« mieten, in der Lausitz aber schön im Grünen leben, erklärt sie. Außerdem gebe es hier super spannende Jobs.

Dass sich die Vorbehalte gegen den Strukturwandel aber nicht einfach mit neuen Arbeitsplätzen lösen lassen, ist Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) klar. Wie die Menschen hier denken und fühlen, weiß er ganz genau, denn er ist einer von ihnen. Der Bauernhof, auf dem er groß geworden ist, stand nur anderthalb Kilometer von der Kante des Tagebaus Jänschwalde entfernt. »Diese Region ist durch Braunkohle groß und stark geworden«, sagt Woidke. Die Kohle sei Grundvoraussetzung für Glas- und Textilindustrie gewesen, sie sich einst ansiedelten. Das habe die Menschen geprägt. »Es geht um mehr als: Ich habe einen neuen Arbeitsplatz, wo ich genauso viel verdiene«, erklärt der Politiker.

Tief sitzt das Trauma der Nachwendejahre. Von den 20 000 Einwohnern von Forst beispielsweise hatten Woidke zufolge in der DDR 10 000 in den Textilfabriken gearbeitet. Dann waren es plötzlich nur noch 150.

Der Ministerpräsident berichtet, wie er vor vier Jahren nach dem Kohleausstiegsbeschluss 2000 Zuhörern in der Messe Cottbus eine »leuchtende Zukunft« auszumalen versuchte. Angesichts von 10,3 Milliarden Euro Fördermitteln allein für den Sturkturwandel in der zu Brandenburg gehörenden Niederlausitz schien ihm Optimimus berechtigt. Die Lausitz habe eine Chance wie nie zuvor. Doch viele Zuhörer winkten ab: »Das haben wir alles schon mal gehört. Das Gleiche hat uns Hemut Kohl auch versprochen.« Aus den blühenden Landschaften, die der CDU-Kanzler der Einheit verhieß, war bekanntlich nichts geworden.

Andererseits habe die DDR im Lausitzer Braunkohlerevier »zigtausend Hektar Landschaft hinterlassen, die Wüste waren«, erinnert Woidke. Doch inzwischen sind mit einem Milliardenaufwand Tagebaue rekultiviert worden und da ist noch für viele Jahrzehnte genug zu tun.

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