Wolf R. Eisentraut: Er verzauberte die »Platte«

Ein widerspenstiger und wirkmächtiger Architekt: Wolf R. Eisentraut zum 80.

  • Heinrich Niemann
  • Lesedauer: 5 Min.
Architekturprofessor Wolf R. Eisentraut in seinem Berliner Büro
Architekturprofessor Wolf R. Eisentraut in seinem Berliner Büro

Wenige Wochen vor seinem 80. Geburtstag hat Wolf R. Eisentraut sich und uns ein Buch geschenkt: »Zweifach war des Bauens Lust«. Einer der wohl bekanntesten zeitgenössischen Architekten bietet Einblicke in sein über 50-jähriges vielseitiges Schaffens, fast exakt jeweils zur Hälfte in der DDR und im vereinigten Deutschland.

Eisentraut gehört zur Generation jener, die noch im Zweiten Weltkrieg geboren wurden, ihre Chance im ostdeutschen Staat ergriffen haben und erfolgreich beweisen konnten, sich aber nach der deutschen Vereinigung unter veränderten gesellschaftlichen Bedingungen neu behaupten mussten – und auch dies schafften. Sein Vater war bereits Architekt, in Plauen. Der Sohn, der am 1. Dezember 1943 in Chemnitz das Licht der Welt erblickte, war also keines der »Arbeiter- und Bauernkinder«, die in der DDR explizit besondere Förderung genossen, war auch nicht bei den Jungen Pionieren. Trotzdem wurde er, als man sein Talent bereits auf der Oberschule erkannte und angesichts guten Abiturs außerplanmäßig zum Architekturstudium an der Technischen Universität in Dresden zugelassen.

Architekt war auch in der DDR ein begehrter Berufswunsch, dementsprechend gab es viel mehr Bewerber als Studienplätze. Gegen Ende der DDR gab es weniger als 1000 Studenten, denen es vergönnt war, diesen Beruf zu erlernen. Mitglied der SED wurde Eisentraut erst, als sein »Aufstieg« schon erfolgt war.

Eisentraut ist seinen Lehrern in der Schule und an der Hochschule noch heute dankbar. Der Absolvent hatte das Glück, sich in der neu eingerichteten Experimentalwerkstatt am Institut für Städtebau der Bauakademie in Berlin seine ersten Sporen beim damals »führenden und bekanntesten, wenn auch umstrittenen Architekten in der DDR« Hermann Henselmann zu verdienen. Er selbst wirkte später an der Entwicklung der »WBS 70« mit, also jener Wohnungsbauserie aus vorgefertigten (Platten-)Bauelementen, die in vielen Städten der DDR Wohnungsknappheit zu minimieren beitrug. Zudem war er mitverantwortlich beim Entwurf des 1973 bis 1976 errichteten Palastes der Republik in Berlin, er war damals gerade 29 Jahre alt. Er konzipierte dessen Mittelteil mit Eingangshalle und auch das neuartige und eigenwillige Theater im Palast, Tip genannt.

Seine Bauten und stadtplanerischen Entwürfe prägten die Großsiedlung in Berlin-Marzahn; neben dem Konzept für die Marzahner Promenade und einzelnen Bauten schuf er das seit 2008 denkmalgeschützte Rathaus Marzahn und das heutige Freizeitforum, aber auch die Körperbehinderten-Schule in Berlin-Lichtenberg sowie die »Galerie M«, die 2014 leider abgerissen wurde.

Auch nach 1990 hat er in verschiedenen Städten – häufig in der »alten« Bundesrepublik – seine Entwürfe verwirklichen können, darunter beeindruckende Beispiele für einen sinnvollen, ressourcensparenden Rück- und Umbau von nicht mehr benötigten Plattenbauten. Sein gesamtes Schaffen war geprägt von der Auseinandersetzung mit der Frage nach der Aufgabe der Architektur in der Gesellschaft und ihr unabdingbares Zusammenspiel mit den wirtschaftlich-technischen Möglichkeiten sowie den politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für das Bauen.

Eisentraut hatte mit etlichen Schwierigkeiten zu kämpfen und scheute sich nicht, Konflikte auszutragen. Er verstand es, beengende Vorschriften und bürokratische Behördenvorbehalte zu überwinden und trotz der begrenzten wirtschaftlichen Möglichkeiten der DDR Großartiges zu leisten. Nicht selten kollidierten seine Vorstellungen mit denen der staatlichen Verantwortlichen als Auftraggeber. Selbstbewusst und beharrlich warb er für seine Ideen, praktische und äthetische Lösungen, die mit den Planvorgaben vereinbar waren. Dafür fand er auch entscheidungsbereite Unterstützer, etwa unter Betriebsdirektoren.

Das Freizeitforum Marzahn ist ein solches Beispiel. Der Architekt fügte entgegen dem üblichen Vorgehen die für den komplexen Wohnungsbau vorprojektierten Einzelprojekte wie Sporthalle, Schwimmhalle, Jugendklub, Bibliothek, Saal mit Bühne und anderes mehr zu einem neuen Ganzen zusammen. Dazu gehörten dann nicht nur ein elegantes Foyer und Treppenhaus, sondern auch eines der in neuen Gebäuden damals und heutzutage selten anzutreffenden Deckengemälde, dort von Peter Hoppe »Der Morgen – Der Tag – Der Abend – Der Traum«. Kunst am Bau im besten Sinne. Nach der Vereinigung stand der Bezirk vor der Aufgabe, diesen Komplex öffentlicher Daseinsvorsorge und Kultur, für den nun die öffentliche Verwaltung eigentlich gar nicht mehr zuständig war, am Leben zu erhalten. Eine Herausforderung noch heute.

Gerade die Marzahner Promenade und das Marzahner Tor veranschaulichen die grundsätzlichen architektonischen und städtebaulichen Unterschiede zwischen der Bundesrepublik und der DDR, die systembedingt waren und sind. Angeblich alternativlose Abrissentscheidungen verdanken sich eigennützigem Interesse potenter privater Investoren. Eisentraut kommentiert: »Am Beispiel des Marzahner Zentrums kann man zumindest einige Charakteristika der Architektur im Sozialismus oder solcher im Kapitalismus ausmachen.«

Als 1990 auf einer öffentlichen Veranstaltung der damalige Berliner Stadtbaudirektor meinte, dass es in der DDR den Architektenberuf gar nicht gegeben habe, widersprach Eisentraut, stellte sich und einige seiner Kollegen mit deren Werken vor. Seine Nachfrage, welche Bauten der höchste Baubeamte Berlins nachweisen könne, ist später noch lange in der Zunft als Anekdote zitiert worden.

Diese Episode war bezeichnend für die in jener Zeit Platz greifende abschätzige Beurteilung von Leistungen generell in der DDR wie auch spezifisch im architektonischen Bereich – bis hin zur Missachtung und Negierung von Urheberrechten sowie von bau- oder planungsrechtlichen Regeln aus der DDR. Eisentraut gehört zu den wenigen Architekten, die für die Anerkennung ihrer Urheberrechte gekämpft haben, mit Erfolg. Auch in der DDR gab es das Urheberrecht, es war keineswegs durch das sogenannte Kollektivwesen in den Betrieben außer Kraft gesetzt.

Eisentraut bringt sich denn auch noch heute – nunmehr akzeptiert und respektiert – beratend in die bauliche Weitergestaltung des Freizeitforums und des Rathauses in Marzahn ein. Laut dem Zeitzeugen wird die Architektur der DDR »als eine Besonderheit in die deutsche Architekturgeschichte eingehen«.

»Zweifach war des Bauen Lust«, eine Ausstellung zu Ehren des Architekten Wolf R. Eisentraut, Eröffnung am 3. Dezember (16 Uhr) im Bezirksmuseum Marzahn-Hellersdorf, Haus 1, Alt-Marzahn 51, Berlin. das gleichnamige Buch erschien jüngst im Lukas-Verlag (40 €); Lesung am 17. Dezember in der Peter-Weiss-Bibliothek in Hellersdorf (10.30 Uhr) in Berlin, Hellersdorfer Promenade 14.
Unser Autor Dr. Heinrich Niemann war von 1995 bis 2006 Bezirksstadtrat für Stadtentwickklung in Marzahn-Hellersdorf.

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