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OSZE: Blockaden statt Verständigung
Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa droht am Ukraine-Krieg zu scheitern
Eigentlich sollte in der OSZE gesprochen, diskutiert, verhandelt werden. Miteinander, nicht aneinander vorbei oder sogar gegeneinander. So war es jedenfalls einmal gedacht, als die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa 1995 aus der Vorläuferorganisation KSZE, der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, hervorging. Die KSZE-Schlussakte von Helsinki, verabschiedet 1975, war ein Meilenstein in der Verständigung zwischen Ost und West und bei der Suche nach Wegen aus dem Kalten Krieg und zur Verhinderung eines heißen Krieges.
Nun aber steckt die OSZE, die sich dem eigenen Anspruch zufolge um Fragen von Menschenrechten und Rüstungskontrolle kümmern soll, in einer tiefen Krise und bräuchte selbst Vermittlung. Das reicht bis zu Formalien, die letztlich natürlich auch inhaltliche Fragen sind. Allein die Tatsache, dass die OSZE nach jährlich wechselndem Turnus ab 2024 unter estnischem Vorsitz arbeiten sollte, wurde jüngst zum ausgewachsenen Problem. Estland als Nato-Mitglied ist für Russland ein rotes Tuch, weil sich das baltische Land im Ukraine-Konflikt klar gegen Moskau stellt.
Russland legte also sein Veto ein, und mit großer diplomatischer Mühe konnte sich das Bündnis auf das neutrale Malta als Kompromisslösung einigen. Dabei zeigte sich, wie schwierig das Einstimmigkeitsprinzip unter den 57 Teilnehmerstaaten mit insgesamt 1,3 Milliarden Einwohnern – außer allen europäischen Ländern auch die USA und Kanada, die Nachfolgestaaten der Sowjetunion und die Mongolei – zu handhaben ist.
Teller und Rand ist der nd.Podcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.
Was sich auch zeigte: dass das Wort Bündnis vielleicht inzwischen der falsche Begriff ist – zumindest wenn man sich die Auseinandersetzungen auf der am Freitag beendeten OSZE-Jahrestagung in der nordmazedonischen Hauptstadt Skopje ansieht. Im Mittelpunkt dabei natürlich: der Krieg in der Ukraine. Der russische Außenminister Sergej Lawrow freilich nennt ihn nach wie vor nicht Krieg, sondern folgt weiter der Moskauer Sprachregelung und äußerte sich laut der russischen Zeitung »Iswestija« über »unsere militärische Spezialoperation«. Diese richte sich gegen »das herrschende Neonazi-Regime in Kiew«, so berichtet es die »Washington Post«. Demnach warf Lawrow in Skopje der Ukraine auch vor, »die bloße Existenz der Russen und ihren entscheidenden Beitrag zur Geschichte der Ukraine zu leugnen«. Die OSZE werde zu einem Anhängsel von Nato und EU, zitiert die Nachrichtenagentur dpa aus der Lawrow-Rede, weshalb die Organisation »am Rande des Abgrunds« stehe.
Das sind durchaus nicht nur rhetorische Floskeln. Russland hat seit einiger Zeit seine Zahlungen an die OSZE eingestellt und blockiert auch Budgetentscheidungen. Es stelle sich die Frage, so Lawrow in Skopje, ob es sinnvoll sei, in die Wiederbelebung der Organisation zu investieren.
Nicht alle Vertreter der 57 Mitgliedsstaaten hörten sich Lawrows Rede an. Die Außenminister der Ukraine und der drei baltischen Staaten waren aus Protest gegen die Teilnahme des russischen Kollegen gar nicht erst angereist; während dessen Ansprache verließen mehrere Teilnehmer den Saal. Lawrow beschimpfte laut der russischen Agentur Tass danach US-Außenminister Antony Blinken und den obersten EU-Diplomaten Josep Borrell als »Feiglinge, die ein ehrliches Gespräch mit Fakten in der Hand scheuen«. Allerdings erschien auch Lawrow selbst nur zu seiner eigenen Rede und verließ den Tagungsort sofort wieder, ohne sich einer Diskussion oder anderen Debattenbeiträgen zu stellen.
Dieses Sittengemälde zeigt die zerrütteten Beziehungen innerhalb der EU und die Schwierigkeiten, angesichts des Ukraine-Kriegs zu so etwas wie Sicherheit und Zusammenarbeit zurückzukehren. Die wird sicherlich nicht zu erreichen sein, wenn Russland – wie die Ukraine forderte – einfach aus der OSZE ausgeschlossen wird. Und so einfach, wie es die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock in Skopje darstellte, dürfte der Ukraine-Krieg auch nicht zu beenden sein. Dazu brauche es »keine Verhandlungen, dazu braucht es schon gar keine Zugeständnisse der Ukraine«, sagte Baerbock auf der OSZE-Konferenz. Es brauche eine Entscheidung Russlands, »die Truppen zurückzuziehen und sich wieder für Frieden zu engagieren«. Die Ministerin wird selbst wissen, dass das ein frommer Wunsch ist, zumal die aktuellen Kriegshandlungen in der Ukraine eine andere Sprache sprechen.
Die Bundesregierung hat gerade erst wieder die Liste ihrer Waffen- und Rüstungslieferungen an die Ukraine aktualisiert. Dazu gehören mehr Schützenpanzer, mehr Artilleriemunition, mehr Fahrzeuge aller Art. Solange die wichtigsten Staaten in der OSZE vor allem über Waffen- und Rüstungsfragen reden und eher als Garnierung über Diplomatie, solange wird diese OSZE eine lahme Ente bleiben.
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