Berliner Straßen und Plätze: Die Revolution 1848 ins Stadtbild

1998 wurde in Berlin ein Platz nach der Märzrevolution 1848 benannt, der Bezirk leugnet seine Existenz und verweigert die Beschilderung

Heinrich Heine blickt auf den Platz der Märzrevolution, der laut Bezirk »offiziell nicht vorhanden ist«.
Heinrich Heine blickt auf den Platz der Märzrevolution, der laut Bezirk »offiziell nicht vorhanden ist«.

Zugegeben, über die gesellschaftspolitische Tragweite der folgenden Geschichte lässt sich streiten. Sie ist eher ein Kuriosum, das Einblick gewährt in die Untiefen der Berliner Verwaltung. Dennoch wirft sie die Frage auf, inwieweit über verwaltungstechnische Vorgänge Politik gemacht wird. Es geht um einen recht unscheinbaren Platz zwischen dem Hauptgebäude der Humboldt-Universität und dem Maxim-Gorki-Theater. 1998 wurde im Amtsblatt für Berlin unter dem Titel »Benennung eines Platzes« verkündet: »Im Bezirk Mitte von Berlin wird der noch zu gestaltende Platz zwischen Maxim-Gorki-Theater, Straße am Festungsgraben, Kastanienwäldchen, Humboldt-Universität zu Berlin und Dorotheenstraße in Platz der Märzrevolution benannt. Die Benennung wird am 18. März 1998 wirksam.« Damit war die Benennung per Verwaltungsakt vollzogen.

Schaut man in diverse Stadtpläne oder gibt in Online-Karten »Platz der Märzrevolution« ein, findet man ihn an eben jener Stelle ausgewiesen. Vor Ort deutet jedoch nichts darauf hin, dass man auf einem Pflaster steht, das nach einem Volksaufstand benannt ist, der in Berlin in blutige Barrikadenkämpfe mündete. Die von Frankreich ausgehende Bewegung wollte zunächst bürgerliche Freiheitsrechte durchsetzen. In Berlin bekam sie Zulauf von Arbeiter*innen und Arbeitslosen, die über die bürgerlichen Forderungen hinaus noch eigene einbrachten.

»Früher hieß sie die gescheiterte Revolution. Ich bin aber gar nicht so sehr der Ansicht«, sagt Jürgen Karwelat, Vorstand der Berliner Geschichtswerkstatt, im Gespräch mit »nd«. Die Geschichtswerkstatt betreibt »Geschichte von unten«, organisiert Veranstaltungen und Führungen, publiziert zu verschiedenen historischen Themen. »Damals hatte in Berlin die Reaktion nach sechs Monaten wieder die Oberhand«, sagt Karwelat. In der Zwischenzeit habe es aber eine sehr freie Gesellschaft gegeben. »Davon haben wir später profitiert. Denn die Verfassung, die dann in Frankfurt verabschiedet worden ist, ist praktisch die Basis der Weimarer Verfassung und diese wiederum die Basis unserer heutigen Verfassung mit den vielen Freiheitsrechten.«

2023 jährte sich die Märzrevolution zum 175. Mal. Die Geschichtswerkstatt nimmt dies zum Anlass, auf die fehlende Beschilderung am Platz der Märzrevolution hinzuweisen. Eine Nachfrage beim Bezirksamt ergibt: »Schilder können dort nicht aufgestellt werden, da der ursprünglich vorgesehene ›Platz der Märzrevolution‹ am Maxim-Gorki-Theater offiziell nicht vorhanden ist.« Der Name sei aus dem Liegenschaftskataster gestrichen worden, weil die Herstellung des Platzes aufgegeben wurde, als der Platz vor dem Brandenburger Tor zum Platz des 18. März umbenannt wurde. Für die Bennung und Kennzeichnung von Straßen und Plätzen sind in Berlin die Bezirke verantwortlich.

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In der Tat: Neben dem Bezug auf dasselbe historische Ereignis verbindet den Platz des 18. März und den Platz der Märzrevolution eine gemeinsame Entstehunggeschichte. 1997 beschloss die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) von Mitte gemeinsam mit dem Rat der Bürgermeister, den Platz vor dem Brandenburger Tor in Platz des 18. März 1848 umzubenennen, und zwar mit Wirkung zum 18. März 1998 – dem 150. Jahrestag der Revolution. Ebenfalls vorangetrieben wurde die Umbennenung von der Aktion 18. März. Hauptziel des 1978 gegründeten Vereins war und ist, deutschlandweit einen Feiertag am 18. März einzurichten. Er hat viele prominente Unterstützer*innen. Auch Jürgen Karwelat von der Geschichtswerkstatt ist Mitglied.

Dem damals schwarz-roten Senat missfiel dieses Umbenennungsvorhaben so dermaßen, dass er dem Bezirk die Kompetenz entzog. Sein Vorschlag: Nicht der historische Schauplatz und prominente Ort vor dem Brandenburger Tor sollte an die Revolution erinnern, sondern der Streifen zwischen Maxim-Gorki-Theater und Humbolt-Universität. Das Problem: Seinerzeit existierte dort kein Platz als solcher. An der Stelle befand sich die Ausfahrt eines stillgelegten Tunnels. Einst unterquerte die Straßenbahn dort die Prachtstraße Unter den Linden.

Der Platz musste also erst noch errichtet oder, wie es im Amtblatt heißt, »gestaltet« werden. Einem Aktionskünstler, der den Tunnel als Lagerfläche mietete, wurde die Räumlichkeit gekündigt und der Bahnschacht mit einer Betonplatte gedeckelt. Kostenpunkt: 2,5 Millionen Mark. Zum Jubiläum war der Umbau jedoch nicht abgeschlossen. Schilder konnten demnach auch nicht aufgestellt werden. Die Sache verlief sich schließlich.

Am Brandenburger Tor gab man aber seinerzeit keine Ruhe. Die Schriftstellerin Christa Wolf und der Autor Günter Grass unterstützten die Aktion 18. März. Doch die Situation war verfahren. Erst als der damalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) den Kompromissvorschlag einbrachte, die Jahreszahl zu streichen und somit sowohl an die Barrikadenkämpfe 1848 als auch an die erste freie DDR-Volkskammerwahl 1990 zu erinnern, gelang ein Durchbruch. Seit Juni 2000 heißt der Ort Platz des 18. März, Schilder weisen ihn aus.

Dass diese auf dem Platz der Märzrevolution noch immer fehlen, ärgert die Geschichtswerkstatt. Anfang Dezember verschickte sie Mitteilungen an die BVV-Fraktionen Mitte mit der Bitte, den »Unsinn« aufzuklären. Das Bezirksamt beharrt darauf, dass die Benennung gegenstandslos geworden sei, weil die Planungen zur Herstellung des Platzes verworfen wurden. Im Amtsblatt steht aber ausdrücklich, dass ein Platz benannt wird, der erst noch zu gestalten ist. Der Platz müsste also unabhängig von seiner Gestaltung existieren. Vielmehr könnte man umgekehrt interpretieren, dass aufgrund seiner Benennung der Platz gestaltet werden muss.

Das Bezirksamt scheint zudem einen Sinneswandel erlebt zu haben. Mehrmals wurde der Platz der Märzrevolution in der BVV thematisiert. So antwortete das Bezirksamt 2018 auf eine Anfrage aus der SPD-Fraktion, ob es vor dem Gorki-Theater einen Platz gebe, der benannt werden könne: »Die Flächen sind mit ›Am Festungsgraben‹ und ›Platz der Märzrevolution‹ bereits benannt.« Und 2019 hieß es auf Anfrage der Piratenpartei, ob rechtzeitig zum 175. Jubiläum der Platz der Märzrevolution ausgewiesen werden könne: »Für die Teile der Fläche, die auf öffentlichem Straßenland liegen, käme dort eine Beschilderung durch das Bezirksamt in Frage.«

Ein schmaler Teil des Platzes gehört der Sing-Akademie zu Berlin, die Haus und Platz zur Nutzung an das Land Berlin verpachtet hat. Vorstand Georg Castell erklärt: »Ja, es gibt einen Platz der Märzrevolution vor dem Haus der Sing-Akademie, und zwar heißt er unserer Kenntnis nach bereits seit 1998 so.« Er begrüße eine Beschilderung und bedauere, dass sie bisher nicht erfolgt sei. Von seiner Seite aus stünde dem nichts im Weg. Allerdings liege das in der Hand des Landes Berlin als Pächter beziehungsweise des Bezirks. Von dort müsse die Initiative ausgehen.

Eines der einst aufwändig angefertigten Schilder soll heute in einem Kreuzberger Hinterhof stehen.
Eines der einst aufwändig angefertigten Schilder soll heute in einem Kreuzberger Hinterhof stehen.

Auch wenn der Platz nie als solcher erkennbar war, teure guss- und schmiedeeiserne Schilder mit Emailletafeln wurden einst angefertigt. Über Umwege gelangten sie in die Hände der Aktion 18. März. Eins steht laut Jürgen Karwelat heute in einem Hinterhof der Kreuzberger Heimstraße (siehe Foto).

Kurz vor den Weihnachtsferien meldet sich bei »nd« noch eine Person aus der BVV, die im zuständigen Kulturausschuss sitzt. Sie möchte anonym bleiben. Fraktionsübergreifend werde man sich der Sache annehmen, schon bei der nächsten Ausschusssitzung im Januar. Es gehe darum, den Dissens über die Fakten aufzulösen, um zu prüfen, inwieweit dem Anliegen der Geschichtswerkstatt Rechnung getragen werden könne.

Der Bezirk pocht darauf, dass die Würdigung der Ereignisse nicht von der Anzahl der Straßen- und Platzbenennungen oder Gedenktafeln abhänge, sondern von der gelebten Erinnerung. Eine ähnliche Benennung in örtlicher Nähe zum Platz des 18. März würde »eher zur Verwirrung als zu verstärkter Wirkung beitragen«.

Karwelat meint: »Die Stadt ist voll mit preußischen Königinnen und Königen und Generälen und Schlachten, die an das Preußen erinnern, gegen das die Bürger von Berlin am 18. März 1848 aufgestanden sind. Aber es gibt wenige Straßen, die an die Revolution von 1848 erinnern. Insofern macht das gar nichts.« Eine Hervorhebung des Platzes der Märzrevolution wäre ein ganz kleiner Ausgleich, sagt Karwelat.

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