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Hauspreise sinken, Spekulation bleibt
Wie der Preis des Geschäftsartikels Wohnraum zustande kommt und warum aus fallenden Werten höhere Mieten folgen
Am deutschen Immobilienmarkt hat die große Entwertung eingesetzt. »Der Rückgang der Kaufpreise ist vor allem auf eine Korrektur der spekulativen Preisübertreibungen zurückzuführen«, schreibt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Beendet ist damit allerdings nur die »Überbewertung«, die Spekulation geht munter weiter. Das liegt an der Logik des Geschäftsartikels Wohnraum, dessen marktwirtschaftlicher Preis sich allein danach bemisst, was sich Investor*innen von ihm versprechen. Das bekommen jene zu spüren, die eine Immobilie bloß bewohnen und sich nicht an ihr bereichern wollen.
Nach seiner großen Krise ab 2008 erlebte der globale Immobiliensektor einen langen Aufschwung. Genährt wurde er durch extrem niedrige Zinsen. Wer sein Geld in Immobilienfonds (Reits) steckte, der erzielte zwischen 2012 und 2022 eine Rendite von 13,5 Prozent pro Jahr, errechnete die US-Investmentbank JP Morgan. Das war deutlich mehr als mit Staatsanleihen (jährliche Rendite 2,3 Prozent) oder Hedgefonds (6,3 Prozent) zu holen war.
Auch in Deutschland ging es bis 2022 durchgängig bergauf. »Am stärksten stiegen die Preise bei den von Anlegern gefragten Mehrfamilienhäusern«, sie »galten fast schon als risikoarmes Basisinvestment«, erklärt die DZ Bank. Bemerkbar machte sich dieser Boom bei den Normalbürger*innen als steigende und zunehmend unbezahlbare Wohnkosten. Laut einer Umfrage des Kreditvermittlers Interhyp Mitte 2023 sahen drei Viertel der Befragten eine »Immobilienblase« vorliegen. Fast die Hälfte bezeichnete die Immobilienpreise als »abgekoppelt vom wahren Wert der Substanz«. Dabei übersahen sie allerdings, dass die kapitalistische »Substanz« des Immobilienwertes in nichts anderem besteht als in der Spekulation auf kommende Erträge.
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Der Preis eines Hauses berechnet sich grundsätzlich anders als der eines Autos oder anderer Güter im Kapitalismus. Denn in die Bewertung der Immobilie fließen nicht nur Baukosten und Betriebskosten ein. Sondern vor allem der Preis des Bodens, der sich in den vergangenen Jahren zum Teil vervielfacht hat. Wie bestimmt sich nun der marktwirtschaftliche Preis einer Sache, des Bodens, die gar nicht produziert worden ist, die keine Herstellungskosten hat, sondern die schlicht vorhanden ist? Die Antwort von Karl Marx: Was bezahlt wird, »ist der Kaufpreis nicht des Bodens, sondern der Grundrente, die er abwirft.« Damit ist der Immobilienspekulation Tür und Tor geöffnet. Der Reihe nach:
Der Boden und sein Wert
Was Grundeigentümer*innen auf dem Markt anbieten, ist ein reines Rechtsverhältnis. Ihnen gehört ein Stück Erdoberfläche und das bedeutet, sie können anderen verbieten, es zu betreten und zu nutzen. Zu einer Einkommensquelle wird ein Quadratmeter Erdeigentum, weil andere ihn brauchen, um darauf zu leben oder zu produzieren. Für dieses Recht verlangen Grundeigentümer*innen eine Geldsumme, die ökonomisch gesehen einem reinen Tribut entspricht. »Ein Teil der Gesellschaft verlangt hier von den anderen einen Tribut für das Recht, die Erde bewohnen zu dürfen«, schreibt Marx, »wie überhaupt im Grundeigentum das Recht der Eigentümer eingeschlossen ist, den Erdkörper, die Eingeweide der Erde, die Luft und damit die Erhaltung und Entwicklung des Lebens zu exploitieren.«
Da der Boden nicht produziert worden ist, sind in ihn auch keine Herstellungskosten eingeflossen, die der Eigentümer rentabel verwertet. Was ein Quadratmeter wert ist, hängt allein davon ab, was jene, die ihn brauchen, für seine Nutzung zahlen können. Unternehmen brauchen Boden, um auf ihm zu produzieren, und von ihrem Ertrag geben sie einen Teil an die Grundeigentümer*innen. Lohnabhängige brauchen einen Ort zum Wohnen und müssen dafür einen Teil ihres Konsumbudgets abtreten. An Lohn und Umsatz partizipieren die Eigentümer*innen des Bodens, und von diesen Einkommen ist abhängig, was sie für die Nutzung verlangen können.
Die Eigentümer*innen partizipieren zwar nur von der Leistung anderer. Für sie selbst stellen sich Pacht und Miete gleichwohl als Früchte ihres Eigentums dar, aus denen sie den Wert ihrer Grundstücke hochrechnen. Dazu können sie als ersten Schritt die Miet- und Pachterträge vergleichen mit dem marktüblichen Zins nach dem Muster: Wenn eine Million Euro derzeit zwei Prozent Zinsen bringen, also 20 000 Euro, und wenn mein Grundstück pro Jahr 40 000 Euro Pachteinnahmen bringt, dann ist mein Grundstück zwei Millionen Euro wert. Grundeigentümer*innen betrachten also ihre Mieteinnahmen als Zins und weisen daraus ihrem Grundstück einen fingierten Kapitalwert zu, weswegen Marx hier von »fiktivem Kapital« spricht – im Gegensatz zu »echtem« Kapital wie einer Fabrik, das durch die Arbeitskraft verwertet wird.
So funktioniert die Berechnung des Bodenwerts rückwärts – aus den Erträgen, die der Boden verspricht. »Die Mietpreise sind in München nicht höher als in Chemnitz, weil die Grundstücke dort viel teurer sind«, erklärt der Stadtsoziologe Andrej Holm, »sondern vielmehr gilt umgekehrt: Die Grundstückspreise in München sind so hoch, weil dort höhere Mieten erwartet werden können.«
Es geht also Erwartungen. Da Grundstücke das Anrecht und die Aussicht auf künftige Einnahmen repräsentieren, zählt hier nur die Zukunft. Und daher fließt in die Berechnung des Bodenwerts alles ein, was seine künftigen Erträge beeinflussen könnte: der erwartete Zuzug von Menschen und Unternehmen, eine voraussichtlich gute Wirtschaftskonjunktur, geplante Verkehrsanbindungen und anderes können die erwarteten Erträge und damit den Bodenwert steigen lassen. Diese erwarteten Erträge des Bodens wiederum werden verglichen mit den erwarteten Erträgen anderer Geldanlagen wie Aktien oder Anleihen. Und aus diesen spekulativen Vergleichen ergibt sich schließlich ein Preis. Auf diese Weise wird Wohnraum zum Teil des allgemeinen Marktes für den Handel mit Investments, und auf diesem Markt agieren die Profis: Banken, Fonds, Aktiengesellschaften.
Der Bodenpreis ermittelt sich durch Spekulation auf künftige Erträge im Vergleich mit den erwarteten Erträgen anderer Geldanlagen – das ist seine »Substanz«, weswegen der Immobilienmarkt sehr schwankungsanfällig ist. Derzeit geht es mit den Hauspreisen wieder abwärts, was vor allem an den gestiegenen Zinsen liegt. Damit endet aber nicht die Spekulation, die Investor*innen passen lediglich ihre Renditekalkulationen an die neuen Bedingungen an.
Die Wirkung steigender Zinsen
Die höheren Zinsen verteuern den Kauf einer Immobilie, zudem sind die Kosten für Bau, Sanierung und Bewirtschaftung eines Hauses gestiegen. Dadurch sinkt für Immobilieninvestor*innen die Mietrendite, also das Verhältnis von Aufwand und Mieterträgen. Die höheren Zinsen bedeuten gleichzeitig, dass sichere Investments wie Staatsanleihen mehr Rendite bringen. Beides – die gesunkene Mietrendite und die gestiegene Anleihenrendite – erhöht am Immobilienmarkt den Druck, die Renditen steigen zu lassen, was über zwei Wege geschehen kann: die Hauspreise fallen oder die Mieten steigen. Beides verbessert das Verhältnis von Aufwand und Ertrag.
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Und beides geschieht derzeit: Zum einen »hat die Immobiliennachfrage von Kapitalanlegern erheblich nachgelassen und bei Mehrfamilienhäusern zu spürbaren Preisrückgängen geführt«, erklärt die DZ Bank. Zum anderen steigen die Mieten weiter, da der Wohnraummangel anhält, was die Mieter*innen erpressbar macht. »Dem sehr starken Bevölkerungsanstieg steht keine entsprechende Ausweitung des Angebots gegenüber«, erklärt das DIW, und die DZ Bank fügt an, dass »sich die Vermietungsaussichten als Folge des Ukrainekriegs noch verbessert« haben. Zudem werde die Nachfrage nach Mietwohnungen »von verhinderten Eigenheimkäufern vergrößert, die sich den Kauf von Wohneigentum nicht mehr leisten können. Diese Entwicklung schlägt sich bereits in einem beschleunigten Mietanstieg nieder.« Das alles vor dem Hintergrund, dass »die massiv gestiegene Inflationsrate die Kaufkraft vieler Haushalte geschmälert hat«, so die DZ Bank.
Während also in den vergangenen Jahren die steigenden Hauspreise durch steigende Mieten gedeckt wurden, müssen nun die Mieten steigen, damit die Hauspreise nicht stark fallen und dadurch die Vermögen der Investor*innen schädigen. Das funktioniert: »Die Korrektur« der Hauspreise »hält sich wohl trotz hoher Preise in Grenzen, weil die spürbar steigenden Mieten den Bewertungsrückgang dämpfen«, so das DIW.
Die Mieter*innen sorgen also dafür, dass die Rechnung für viele Investor*innen weiter aufgeht. Auch nach den jüngsten Rückgängen waren 2023 laut DIW die Preise für Eigentumswohnungen im deutschen Städtedurchschnitt noch 133 Prozent höher als 2010, die Preise für Einfamilien- und Reihenhäuser haben sich verdoppelt. In den Zentren liegen diese Zahlen deutlich höher. Solange die Preise nicht einbrechen, ist für Immobilieninvestor*innen also alles in Ordnung. Allerdings, so mahnt die DZ Bank, sind vor dem Hintergrund gewachsener Risiken »anhaltende Heizungs- und Regulierungsdebatten oder auch die positiv votierte Vergesellschaftung von Wohnungsunternehmen unglücklich«.
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