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Künstler in Russland: Plötzlich Terrorist
Seit Beginn des Ukraine-Krieges werden Künstler und die queere Szene in Russland verschärft verfolgt
Als in Russland Anfang März 2022 ein neues Gesetz verabschiedet wurde, nach dem die Verbreitung einer von der Regierungslinie abweichenden Ansicht über den Krieg in der Ukraine mit bis zu 15 Jahren Gefängnis geahndet werden kann, war klar: Die Repressionen gegen Andersdenkende haben dort eine neue Qualität erreicht. Auch zahlreiche Künstler*innen bekamen seitdem die Härte der neuen Gesetze zu spüren.
Die feministische Künstlerin Sascha Skotschilenko zum Beispiel. Ende März 2022 wurde sie verhaftet, weil sie in einem Sankt Petersburger Supermarkt die Preisschilder an den Regalen durch Anti-Kriegsbotschaften ersetzt hatte. Statt dem Preis für Reis oder Nudeln stand dann dort unter anderem zu lesen: »Mein Urgroßvater hat nicht vier Jahre lang im Zweiten Weltkrieg gekämpft, damit Russland zu einem faschistischen Staat wird und die Ukraine angreift.« Das Gericht wertete dies als »Verbreitung wissentlich falscher Informationen über den Einsatz der russischen Streitkräfte« und verurteilte die Aktivistin im November 2023 zu sieben Jahren Straflager. Für die Künstlerin ist das ein lebensgefährliches Urteil, da sie an einer chronischen Krankheit leidet und in der Haft der Zugang zu angemessener medizinischer Versorgung und für sie verträglicher Nahrung nicht gewährleistet ist. Bereits während der Untersuchungshaft hat sich ihr Gesundheitszustand stark verschlechtert.
Zu jahrelangen Haftstrafen wurden auch die Dichter Artjom Kamardin, Igor Schtowba und Nikolai Dajneko verurteilt, die im September 2022 in Moskau bei einer Lesung gegen die Mobilmachung ihre kritischen Texte vorgetragen hatten. Kamardin soll außerdem auf der Polizeiwache schwer gefoltert worden sein. Seit Mai 2023 sitzen ebenso die Regisseurin Jewgenija Berkowitsch und die Dramatikerin Swetlana Petrijtschuk für ihr dokumentarisches Theaterstück über islamistischen Terror in Untersuchungshaft, sie könnten ebenfalls für sieben Jahre ins Straflager verbannt werden; ihnen wird wegen »Rechtfertigung des Terrorismus« der Prozess gemacht. Das Theaterstück hat zwar nichts mit dem Ukraine-Krieg zu tun, Beobachter*innen des Prozesses vermuten aber, dass hier an kritischen, feministischen Künstlerinnen ein Exempel statuiert werden soll: Die liberale Kunstszene soll sich nicht mehr sicher fühlen.
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Seit dem Angriff auf die Ukraine bemüht sich die russische Regierung auch im Inland um Klärung der Fronten: In den staatlichen Medien überwiegt eine Freund-Feind-Rhetorik, und wer in der Öffentlichkeit steht und sich nicht zum Regierungskurs bekennt, gilt als Verräter. Qua Gesetz werden Kritiker zu »ausländischen Agenten« erklärt, was ihre Möglichkeiten zu arbeiten und zu publizieren stark eingeschränkt. In den letzten zwei Jahren betraf das bekannte Musiker*innen wie Zemfira, Noize MC oder Morgenstern, die früher in den russischen Metropolen die Stadien füllten.
Während die historischen Krimis von Boris Akunin noch vor Kurzem die Bestsellerlisten anführten, dürfen sie heute in Russland nicht mehr verkauft werden. Der Autor wurde im Dezember auf die Liste der »Extremisten und Terroristen« gesetzt, ein Strafverfahren wegen Terrorismus gegen ihn eröffnet. Offensichtlicher Grund dafür ist, dass er sich lautstark gegen den Krieg ausspricht und eine Organisation gegründet hat, die die Opposition im Ausland vernetzen soll und Geld für ukrainische Geflüchtete sammelt. Akunin befindet sich, wie die Mehrzahl der kritischen Künstler*innen, im Exil und ist damit vor Vollzug der Strafe vorerst sicher.
Im Inland werden die Leitungen in Kulturinstitutionen wie Theater und Museen ausgetauscht. Patriotische Popstars wie der Sänger Shaman stehen im Rampenlicht. Bücher von kritischen oder queeren Autor*innen verschwinden aus den Regalen, Konzerte werden abgesagt – auch von populären Musiker*innen, die sich nicht offen politisch äußern, bei denen sich aber eine kritische Haltung vermuten lässt oder die sich weigern, in den besetzten Gebieten in der Ukraine aufzutreten.
Einige Künstler*innen, denen mehr an ihrer Karriere innerhalb Russlands als an politischen Statements liegt, sind in ihrer anfänglichen Kritik zurückgerudert und haben Social-Media-Posts mit Friedensbotschaften wieder gelöscht. Zu ihnen gehörte die prominente Bloggerin und TV-Moderatorin Nastja Iwlejewa. Sie bekam trotzdem zu spüren, wie schnell die staatliche Repression auch unpolitische Menschen treffen kann. Im Dezember lud sie zu einer exklusiven Party in Moskau, Motto: »Fast Nackt«. Viele Promis erschienen entsprechend leicht bekleidet und dokumentierten das Spektakel in den sozialen Medien. Rechte Gruppierungen forderten ein Einschreiten der Behörden, da die Party Unmoral, Drogen und den »schwulen Lifestyle« propagiert hätte. Es sei außerdem unangemessen, zu feiern, während Soldaten an der Front sterben. Einige der Party-Besucher*innen wurden daraufhin »gecancelt«, Konzerte von ihnen abgesagt, Werbedeals gekündigt. Mit Entschuldigungsvideos in den sozialen Medien versuchen Betroffene, ihre Karriere zu retten. Gegen die Organisatorin der »Fast Nackt« läuft ein Strafverfahren und der Rapper Vacio, der nur mit einem Socken über seinem Penis auf der Party erschien, wurde verhaftet. Der Vorwurf: Rowdytum und »Propaganda nichttraditioneller sexueller Beziehungen«. Nach seiner ersten Admimistrativstrafe wurde Vacio zwangsweise dem Wehramt vorgeführt.
Die Verbreitung queerer Inhalte ist seit über einem Jahr in Russland gesetlich verboten. Das bedeutet, dass zum Beispiel Filme, Bücher oder Serien, die eine homosexuelle Beziehung thematisieren, nicht mehr veröffentlicht werden dürfen. Mit einem neuen Gesetz kriminalisierte die Regierung nun die gesamte queere Community, indem sie die »LGBT-Bewegung« als extremistisch einstufte. Seit dessen Verabschiedung Ende November kam es zu Polizeirazzien in mehreren queeren Clubs und Bars in Moskau, die ersten Safe Spaces mussten schließen. Diese Repressionen zwingen nicht nur queere Menschen dazu, ihre Identität zu verstecken, sondern sind auch ein herber Schlag für die liberal eingestellte kreative Szene insgesamt und sorgen für eine weitere Verarmung des kulturellen Lebens.
Hoffnung, dass sich die Situation in nächster Zeit bessern wird, gibt es nicht. Während vor dem Angriff auf die Ukraine internationaler politischer Druck manchmal in solchen Fällen etwas bewirken konnte, scheint dies heute aussichtslos. Russland ist nicht mehr an guten Beziehungen mit demokratischen Staaten interessiert. Es ist zu erwarten, dass der russische Staat weiter hart gegen Andersdenkende vorgehen wird, sodass für kritische Künstler*innen nur noch die Wahl bleibt zwischen Exil, Gefängnis oder Kollaboration.
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