Sahra Wagenknecht: »Wir werden keine Linke 2.0«

Das Bündnis Sahra Wagenknecht sieht sich als einzige konsequente Partei für Frieden und soziale Gerechtigkeit

»Liebe Sahra, schön, dass du da bist«, rief Christian Leye ins Mikrofon, der Generalsekretär des Bündnisses Sahra Wagenknecht (BSW), als die Gründerin und Namensgeberin den Saal betrat. Das hat sie auf einem Parteitag der Linken wohl noch nie aus dem Präsidium gehört – dazu musste sie erst eine eigene Partei ins Leben rufen. Hier, beim Gründungsparteitag im einstigen Kino Kosmos in Berlin, war ihr der ungebrochene Jubel sicher. »Dein Mut, deine Entschlossenheit«, lobte die Tagungsleitung, habe die Partei erst möglich gemacht. Und überhaupt flogen zum Zwecke der Selbstermutigung Komplimente durch den Saal: »Aus ganz Deutschland sitzen hier die Mutigsten und Entschlossensten«, streichelte etwa der Generalsekretär die Seele der Delegierten. »Wir sind die Partei, auf die so viele gewartet haben«, sagte die Ko-Vorsitzende Amira Mohamed Ali.

450 Gründungsmitglieder waren in Einzelgesprächen genau geprüft und für diesen Parteitag ausgewählt worden; etwa 380 von ihnen waren am Sonnabend anwesend. Der Bahnstreik wird manchen aufgehalten haben. Schon am letzten Wochenende waren sie alle zu einer Onlinekonferenz zusammengerufen worden, um Fragen vorab zu klären und Missklänge auf dem Parteitag zu vermeiden. Der lief dann auch exakt nach Plan ab. Bei den Wahlen für den Parteivorstand gab es keine Konkurrenzkandidaturen, inhaltliche Kontroversen blieben aus – kein Wunder bei einer Partei, die ganz am Anfang steht und sich in Aufbruchstimmung befindet.

Diese Partei sieht sich als einzige Kraft in Deutschland, die sich entschlossen für soziale Gerechtigkeit und Frieden einsetzt. Die »lieben Freundinnen und Freunde«, wie man sich beim BSW jetzt anspricht, applaudierten begeistert bei entsprechenden Redepassagen. Das BSW sei die einzige Partei, die eine konsequente Friedenspolitik verfolgt, sagte der etwa stellvertretende Vorsitzende Shervin Haghsheno. Nahezu wortgleich wiederholten das Andere. Der frühere SPD- und Linke-Politiker Oskar Lafontaine, seit Kurzem BSW-Mitglied, erklärte, im Bundestag gebe es keine Partei mehr, die sich für gute Löhne und Renten, für Frieden und Abrüstung einsetze: »Nein, alle sind für Krieg und Militarisierung.« Er wünsche sich, dass die Losung »Nie wieder Krieg!« wieder Leitmotiv der deutschen Politik wird. Als Gastrednerin sagte die parteilose Publizistin Daniela Dahn, seit die Linke-Führung die Friedensdemonstration von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer im Februar 2023 nicht unterstützte, sei bei ihr »der Bruch endgültig«. Wagenknecht erklärte, die Partei sei auch gegründet worden, um Deutschland auf dem Weg zur Kriegstüchtigkeit zu stoppen.

Wie groß die politische Repräsentationslücke ist, die das BSW füllen will, wird sich bei den diversen Wahlen in diesem Jahr zeigen. Das BSW beansprucht jedenfalls für sich, »als einzige Partei der Hoffnungsträger für Deutschland und die EU« zu sein, wie der Ex-Diplomat und EU-Wahlkandidat Michael von der Schulenburg erklärte.

Auch Ko-Parteichefin Sahra Wagenknecht sieht große Aufgaben. Ab jetzt »hängt es auch von uns ab, wie Deutschland in fünf oder zehn Jahren aussieht«, sagte sie. Die Menschen erlebten Politiker in einem Paralleluniversum. Jahrelang sei alles Vernünftige als rechts diffamiert worden; auch bei den jüngsten Bauernprotesten sei das so gewesen, »weil man irgendwo hinter einem Misthaufen einen Rechten gesehen hat«, so Wagenknecht. Das Ergebnis »dieser irren Debatte« wie auch einer falschen Politik »der dümmsten Regierung in Europa« sei eine starke AfD, die auch noch als Friedenspartei gelte. Tatsächlich aber stehe das BSW für Frieden, soziale Gerechtigkeit und Respekt, gegen übergriffigen politischen Autoritarismus und Cancel culture. Zu den Massenprotesten gegen rechts sagte Wagenknecht, wer die AfD wirklich schwächen wolle, sollte auch für politische Forderungen wie höherer Mindestlohn, bessere Renten und bezahlbare Energie demonstrieren. Eine deutliche Unterstützung der Proteste formulierte sie nicht.

Andere wurden da konkreter: Der EU-Kandidat Thomas Geisel erklärte, wäre an diesem Tag nicht Parteitag, würde er an der Demo in Düsseldorf teilnehmen. Daniela Dahn erinnerte auf Bitte der BSW-Führung an den Holocaust-Gedenktag am 27. Januar und die Verantwortung »von uns Nachgeborenen«. Sie finde es wichtig, dass eine Partei entsteht, die sich gegen den Missbrauch des Vermächtnisses »Nie wieder Auschwitz!« als Rechtfertigung für neue Kriege wendet.

In der Kritik an der AfD bleibt das BSW indifferent. Eine klare Verurteilung der rechtsextremen Pläne mit AfD-Beteiligung für Massenausweisungen blieb die Ausnahme. Mehrere Redner legten nahe, dass viele Menschen aus Wut über die Regierungspolitik quasi gegen ihren inneren Willen AfD gewählt hätten. So Daniela Dahn, derzufolge Die Linke ihrer Aufgabe als unüberhörbare Oppositionspartei nicht mehr gerecht werde, weshalb sich viele Menschen, die für Frieden sind, genötigt fühlten, AfD zu wählen, »auch wenn sie die von Herzen ablehnen«. Der Bundestagsabgeordnete Klaus Ernst verstieg sich in einem Interview am Rande des Parteitags zur der Behauptung, bei der Kritik an zu wenig Sozialausgaben und Investitionen in die Wirtschaft sowie und zu viel Geld für Rüstung gebe es »momentan nur eine Partei, die da ab und zu auch mal was Richtiges sagt, das ist die AfD«.

In seinen Führungsgremien versucht das BSW, politische Vielfalt zu demonstrieren. Es gibt im Vorstand einen ehemaligen Sozialdemokraten, einen Ex-Grünen, einen Gewerkschafter, auch der Islamwissenschaftler Michael Lüders gehört dazu. Ebenso Leute, die die Landesverbände vor allem im Osten aufbauen sollen. Die große Mehrheit sind bisherige Linke-Politiker und -Mitglieder. So auch die nachgewählten Vizevorsitzenden Friederike Benda und Amid Rabieh. Auf eine Geschlechterquote verzichtet man; dem nunmehr vollständig gewählten Vorstand gehören 17 Männer und fünf Frauen an.

Die Linke, aus der viele BSW-Mitglieder gewechselt sind, kam nur am Rande und in Zwischentönen vor. Daniela Dahn wünschte sich, dass »die beiden auf ihre Art linken Parteien« einander nicht als Hauptkonkurrenten betrachten. Auch Lafontaine äußerte sich zum Thema linke Parteien. Diese müssten die Sprache des Volkes sprechen. Wer glaube, »dass die Gendersprache irgendetwas mit links zu tun hat, dem sage ich: Ihr habt sie nicht mehr alle!«

Nach den Worten von Wagenknecht will das BSW indessen keine Linke 2.0 werden. »Lasst uns eine Partei des Miteinanders werden«, sagte sie, »in der sich nicht die Rücksichtslosesten und Intrigantesten durchsetzen, sondern die Talentiertesten und Besten.« Ein herzlicher Abschiedsgruß an ihre bisherige Partei.

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