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Josef Hader: »Ich mache privat gern auch schlechte Witze«
Josef Hader im Gespräch über seinen neuen Film »Andrea lässt sich scheiden«, die österreichische Provinz und schlecht gelaunten Populismus
Herr Hader, Sie haben auch bei »Andrea lässt sich scheiden«, Ihrem zweiten Film, eine der Hauptrollen übernommen. Haben Sie sich selbst schon im Kopf, wenn Sie das Drehbuch schreiben? Oder wie läuft das ab?
Ich habe beim Schreiben ziemlich früh bestimmte Menschen im Kopf. Diesmal Birgit Minichmayr und mich als Erstes und dann nach der Reihe die anderen. Es gibt kein klassisches Casting, wo ich zuerst einmal schreibe und später dann mal schaue, wer das spielen könnte. Sondern das ist so ein Aufeinanderzubewegen: Ich schreibe zuerst mit ihnen im Kopf und dann treffe ich sie und hoffe, dass sie ja sagen. Dann möchte ich ihre Meinung zum Drehbuch hören. Und wenn ihnen ein Satz einfällt, der besser ist, dann schreibe ich ihn hinein. Drehbuch und Cast nähern sich so langsam an.
Diese Geschichte ist eher Tragödie als Komödie, ist auch trauriger als ihr erster Film »Wilde Maus«. Empfinden Sie das auch so?
Also, meine Theorie dazu ist, die natürlich sehr subjektiv ist (lacht): Ich wollte mal den Begriff Tragikomödie ernst nehmen, nämlich wirklich fifty-fifty. In den meisten Tragikomödien ist das Drama ja nicht so wichtig wie die Komödie. Sehr oft ist das Drama nur Dekoration, die da so rumhängt, damit irgendeine Geschichte passieren kann. Behauptete Probleme, bei denen man sich immer sicher sein kann, dass sie am Ende des Films zu lösen sind. Und die Zuschauer lehnen sich zurück und denken sich, das geht eh sicher gut aus. Und ich habe mir gedacht – damit ich mich ein bissl fordere –, ich würde gern eine Komödie machen, bei der am Anfang etwas Schlimmes passiert. Vielleicht entsteht dann ein spezieller Witz, der das Drama nicht abschwächt. Das Lachen ist dann eventuell ein erleichtertes Lachen, über Dinge, die normalerweise nicht zum Lachen sind.
Die Hauptfigur Andrea ist eine Polizistin im Dorf, und die Männer um sie herum sind fast alle lebensunfähige Trottel. Was war die Idee?
Ich wollte eigentlich bei den Männern nicht erreichen, dass man sie für Trottel hält. Die sind halt auch ein bisschen deformiert worden vom rauen Klima auf dem Land, haben Schwierigkeiten, das zu erfüllen, was man von einem Mann erwartet. Sie sind alle etwas verkrampft, unlocker, brauchen Alkohol. Andrea ist umgeben von Männern, die überhaupt keine Hilfe sind. Ich wollte schon, dass sie ein einsamer Cowboy ist. Und dass der Hilfloseste von allen Männern, die Figur, die ich spiele, noch am ehesten eine Hilfe ist.
Kann es überhaupt einen Mann für Andrea geben?
Das ist ja eine gute Frage. Ich würde sagen, ja, aus eigener Erfahrung. Weil ich immer sehr sozial unterentwickelt war; und ich trotzdem eine wunderbare Frau gefunden habe. (lacht) Insofern sehe ich Hoffnung für Andrea. Aber einfach wird es nicht. Sie ist wirklich ein bisschen so, wie eher manche Männer sind, diese Einzelgänger, die mit Pokerface durch alle Schwierigkeiten laufen, mit zusammengekniffen Augen. Es hat natürlich bei einer Probevorführung auch gleich ältere Herren gegeben, die gesagt haben: Die hat ja gar keine Emotionen. So in Klammern: Was ist denn das für eine Frau?
Wenn eine Frau den gleichen Film gemacht hätte, wäre ihr dann dieses Männerbild um die Ohren gehauen worden?
Es ist ja kein Thesenfilm. Es ist kein Film, der sagt: Das große Problem dieser Welt sind toxische Männer, und wir machen jetzt einen Film drüber. Es gibt ja gleichzeitig einen liebevollen Blick auf diese Männer, und gleichzeitig eben auch einen schonungslosen. Ich habe als Kind und auch als Jugendlicher die Leute am Land nie als böse erlebt. Sie sind mir eher vorgekommen wie Elefanten mit einer dicken Haut, die dann unabsichtlich andere verletzen, die eine dünnere haben. Ohne böse Absicht. Darum bin ich auch weggegangen von daheim, ich habe gespürt, da bin ich zu filigran dafür. Zum Beispiel bei der Figur des Kripobeamten, den der Robert Stadlober spielt: Da weiß man eigentlich nie genau, ob er ein vollkommen Verliebter ist, der nur zum falschen Moment da ist, oder ob er ein Freak ist, der versucht, Andrea zu erpressen. Diese Ambivalenz finde ich spannend.
Macht es Ihnen mehr Spaß, Kabarett zu machen oder Filme zu drehen?
Der Hauptberuf ist das Kabarett, das habe ich begonnen mit 20. Da bin ich souverän. Es verschleißt nicht so viele Nerven. Bei den Dreharbeiten fühle ich mich unter Druck, hauptsächlich unter Zeitdruck. Deswegen mache ich nur alle paar Jahre einen Film.
Viele halten Sie für einen lustigen Menschen. Finden Sie sich selbst auch lustig?
Meine engere Umgebung sagt schon, dass ich lustig bin, findet aber die Witze zwei Etagen unter dem, was in meinem Kabarettprogramm passiert. Also ich mache privat gern auch schlechte Witze, die es nie auf die Bühne schaffen würden. Aber die Mitmenschen sind nett, sie lachen trotzdem! (lacht)
Können Sie ein bisschen über die Schauplätze dieser Geschichte erzählen? Vor allem über diese kleine, schmale Landstraße. Wahrscheinlich kriegt das niederösterreichische Fremdenverkehrsamt einen Herzinfarkt …
Die Niederösterreicher sind total glücklich. Sie freuen sich immer, wenn sie vorkommen, weil das eher selten passiert. Zunächst habe ich mir überlegt, ich könnte den Film in meiner näheren Heimat machen. Doch es war mir sehr schnell klar, dass das alles dort nur grün ist und ohne Horizont. Das würde eher langweilige Bilder ergeben. Dann habe ich mich in diese Straßendörfer im Weinviertel verliebt. Plötzlich war das Problem gelöst, dass man in österreichischen Dörfern eigentlich nicht filmen kann, weil alles so grauenhaft verschandelt worden ist in den letzten 50 Jahren. Da ist ein Gemeindeamt aus den 90ern, eine Schule aus den Nullerjahren – alle in grellen Farben angestrichen. Ganz bunte Häuser mit ganz vielen Erkern. So sehen ja die Ortschaften bei uns leider aus. Aber die Straßendörfer im Weinviertel sind so geblieben, wie sie waren, weil sie am Eisernen Vorhang gelegen waren und kein Geld da war. Ich habe mir sofort gedacht, sie schauen aus wie Westernstädte: niedrige Häuser, gerade Straße und drüber der Horizont. Die Straße im Western hat immer etwas Unausweichliches. Da steht der Gary Cooper und wartet auf die Banditen. Das ist kein typisches Österreich mit Holzschnitzereien und Bergen. Ich wollte eine Provinz erzählen, die anderswo auch sein könnte. So eine Geschichte kann auch in Brandenburg passieren oder in der Normandie. Die abgehängte Provinz ist international.
Um kurz bei dem Thema Österreich zu bleiben: Was macht Ihnen in Österreich derzeit Angst?
Um kurz zum Thema Europa zu kommen oder auch zum Thema der ganzen Welt! Wenn diese Probleme nur Österreich betreffen würden, wäre ich geradezu erleichtert. Der Rechtsruck ist leider ein weltweites Thema. Aber ich bin nicht übertrieben ängstlich. Ich hab die Gewohnheit entwickelt, mich nicht um Dinge zu ängstigen, die ich nicht beeinflussen kann. Ich mache halt in meinem Umkreis das, was ich für nützlich halte. Aufgeregtheit ist keine große Hilfe, außer für die Medien, besser wäre Analyse. Ich dachte lange, Populismus muss gute Laune haben, weil er schlechte Botschaften bringt. So wie das bei uns Jörg Haider gemacht hat in den 80ern, der war vergleichsweise charmant. Aber jetzt haben wir überall schlecht gelaunte Populisten, die Hetzreden halten. Und das ist überraschenderweise die Methode, wie in der Zwischenkriegszeit Faschismus funktioniert hat. Überraschend deswegen, weil ich mir dachte, dass Geschichte sich nicht so ähnlich wiederholt. Dass das funktioniert, muss bedeuten, dass die Wut in einem Teil der Bevölkerung ungeheuer groß ist. Da muss man sich fragen: Warum? Wo sind die großen Bruchlinien in der Gesellschaft? Zwischen Land und Stadt, zwischen Inländern und Ausländern, oder vielleicht doch nur ganz banal zwischen Arm und Reich? Da wären wir dann bei einem weltweiten Verteilungskampf. Und die Reichen gewinnen ihn zurzeit, das hat Warren Buffett gesagt, der muss es wissen.
Ich glaube, dass die Erfindung der sozialen Marktwirtschaft in Deutschland und Österreich in den Nachkriegsjahren nicht zufällig passiert ist, sondern man wollte bewusst etwas Reichtum nach unten durchsickern lassen, damit es nicht mehr zu so extremen politischen Strömungen kommt wie vor dem Zweiten Weltkrieg. Und irgendwann war das wurscht, so ab den 80ern, ab Thatcher und Reagan. Und jetzt sind die Reichen wieder unverschämt reich und zeigen das und zahlen wenig Steuern, dafür schießen sie Raketen auf den Mond. Das macht etwas mit den Menschen, die nicht wissen, wie sie monatlich über die Runden kommen sollen.
Kann man als jemand, der auch immer politisches Kabarett macht, sagen: Ich lass das gar nicht mehr so an mich ran?
Satire ist ja eine Waffe dagegen, auch für einen selber. Mit Satire halte ich mir den Wahnsinn so einigermaßen vom Leib und versuche, mir die Welt zu erklären. Man schreibt einen bösen Witz und ist kurzfristig erleichtert. Bei den großen Satirikern, die ich verehre, am meisten Jonathan Swift, ist das immer in ganz bösen Witzen verkleidete Empörung, heißer Zynismus sozusagen. Das mache ich zunächst für mich, und dann trage ich es anderen vor, dann haben die auch was davon.
Im Film tauscht Ihre Figur das Auto gegen eine Kaffeemaschine. Was ist Ihnen wichtiger – Kaffeemaschine oder Auto?
Ich persönlich muss ehrlich sagen, derzeit noch das Auto, denn mit dem Auto kann man von Wien so schön ans Meer fahren und dort einen Espresso trinken in einer Bar. Da brauche ich dann keine Kaffeemaschine. (lacht)
Joseph Hader, Jahrgang 1962, ist einer der bekanntesten Kabarettisten Österreichs. Er ist Filmschauspieler (»Indien«, »Der Knochenmann«, »Vor der Morgenröte«, »Arthur & Claire«), schreibt Drehbücher und ist auch selbst Regisseur: Nach »Wilde Maus« (2017) ist »Andrea lässt sich scheiden« sein zweiter Film.
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