Film »American Fiction«: Ihr persönlicher Ghetto-Superstar

Der oscarnominierte Film »American Fiction« erzählt vom kritiklosen Umgang des US-Kulturbetriebs mit rassistischen Stereotypen

  • Florian Schmid
  • Lesedauer: 4 Min.
Schräger als die Fiktion ist immer noch die Wirklichkeit.
Schräger als die Fiktion ist immer noch die Wirklichkeit.

Für den Schwarzen Schriftsteller und Intellektuellen Thelonious Ellison (Jeffrey Wright), die Hauptfigur in dem mehrfach oscarnominierten Film »American Fiction« läuft es nicht gerade gut. Niemand will seinen neuen Roman veröffentlichen, das kalifornische College, an dem er arbeitet, verdonnert ihn sogar dazu, eine Lehrpause einzulegen und als er zu seiner Familie nach Boston fährt, stellt er fest, dass seine Mutter an Alzheimer erkrankt und pflegebedürftig ist.

Als wäre das nicht genug, besucht Thelonious, von allen in Anlehnung an den legendären Jazzmusiker nur »Monk« genannt, eine Lesung, auf der die bildungsbürgerliche Schwarze Autorin Sintara Golden (Issa Rae) ihren neuen Erfolgsroman »We’s Lives in Da Ghetto« vorstellt, eine vor Stereotypen nur so strotzende, im entsprechenden Slang geschriebene Ghettogeschichte, die das Leben Schwarzer Menschen so darstellt, wie Öffentlichkeit und Kulturbetrieb sich das in ihren rassistischen und klassistischen Vorurteilen vorstellen.

nd.DieWoche – unser wöchentlicher Newsletter

Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.

Monk ist angewidert und beschließt, dem Verlagswesen den Spiegel vorzuhalten, indem er unter einem Pseudonym auch so einen oberflächlichen Ghettoroman schreibt, den sein Agent nur wiederwillig Verlagen anbietet. Aber »My Pafology«, so der Titel, versetzt weiße Verleger in Aufregung, Monk bekommt nicht nur einen Vorschuss von 750 000 Dollar für das Manuskript, sondern verkauft auch gleich noch die Filmrechte für vier Millionen.

Der bereits mehrfach ausgezeichnete Film »American Fiction« ist eine bitterböse und treffsichere Satire auf den Rassismus und die bemühte Wokeness der bürgerlichen weißen Bildungs-Eliten im US-Kulturbetrieb. Das Regiedebüt von Cord Jefferson, der auch schon das Drehbuch für die rassismuskritische und Emmy-prämierte HBO-Serienverfilmung der Superheldengeschichte »Watchmen« (2019) schrieb, ist die Adaption von Percival Everetts Roman »Ausradiert« (2001, auf Deutsch leider vergriffen).

Der 67-jährige Everett wird gerade wegen seines dieser Tage in den USA und zeitgleich hierzulande erscheinenden Romans »James«, einer Neuerzählung von Mark Twains »Huckleberry Finn« aus Sicht des Sklaven Jim, durch die Feuilletons gereicht. In dem »American Fiction« zugrundeliegenden Roman »Ausradiert« spielt Everett mit zahlreichen kulturellen Verweisen des Schwarzen Amerika. So setzt sich der Name seiner Hauptfigur Thelonious Ellison wie oben erwähnt aus dem Vornamen des berühmten Jazzmusikers Monk und dem Nachnamen des Schriftstellers Ralph Ellison zusammen, dessen Buch »Invisible Man« über Schwarze Identität zu den wichtigsten amerikanischen Romanen des 20. Jahrhunderts gezählt wird.

»American Fiction« ist trotz des ernsten Themas eine wundervoll inszenierte Komödie, die davon erzählt, wie es für Monk immer schwieriger wird, mit dem ungebremsten Erfolg seines gar nicht ernst gemeinten Buches umzugehen. Um anonym bleiben zu können, gibt er sich gegenüber den Verlegern am Telefon als flüchtiger Straftäter aus und intoniert vollmundig im Ghetto-Slang und dabei Kopf schüttelnd und die Augen verdrehend seine Möchtegern-Coolness-Tiraden, die ihm die notwendige Credibility einbringen. Die weißen Verleger, ebenso ein Hollywood-Regisseur, mit dem er sich trifft, sind von ihm begeistert. Um das Schlimmste abzuwenden, versucht Monk, den Vorgang irgendwann zu stoppen und verlangt dem Verlag ab, den Buchtitel in »Fuck« zu ändern, sonst würde der Deal platzen. Aber die Verleger sind einmal mehr von ihrem Ghetto-Superstar, der auch unkenntlich gemacht TV-Interviews gibt, begeistert.

Das Buch hat nicht nur ökonomischen Erfolg, es landet auch auf der Nominierungs-Liste eines Buchpreises, in dessen Jury ausgerechnet Monk sitzt. In den Jurysitzungen wird noch einmal klar, wie oberflächlich und idiotisch der bemühte Anti-Rassismus der weißen bildungsbürgerlichen Eliten ist: Und es wird auch deutlich, wie sehr diese kulturindustriellen Stereotypen die rassistischen Hierarchien reproduzieren und dauerhaft festschreiben. Natürlich bekommt »Fuck« den begehrten Literaturpreis.

Nur, wie soll sich Monk bei der Verleihung, dem großen Finale dieses Films, verhalten? Zwischen Roman und Film gibt es zahlreiche Unterschiede, vor allem in der finalen Auflösung, die den rassismuskritischen Kultur-Prank Monks maximal eskalieren lässt. Der Film lebt aber auch vor allem von der gefühlvoll inszenierten Familiengeschichte, in der es um Generationenkonflikte, Verantwortung versus Unabhängigkeit, verheimlichte Affären, Schwulsein, romantische Begegnungen und jede Menge Solidarität geht, die aber immer erst erkämpft werden muss.

Warum dieser Film, der in den USA seit September in den Kinos läuft, es hierzulande nur ins Streaming-Pantoffelkino schaffte, ist schwer nachzuvollziehen. Traut man dem hiesigen Publikum nicht zu, eine Satire auf den US-Kulturbetrieb zu verstehen, dessen Produkte wir in einem fort konsumieren? Wobei »American Fiction« zugegebenermaßen am besten im englischen Original seine volle Wirkung entfaltet.

»American Fiction«, USA 2023. Regie: Cord Jefferson. Mit: Jeffrey Wright, Tracee Ellis Ross, John Ortiz. 117 Minuten, verfügbar auf Amazon Prime.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.