Armut und Gesundheit: Mehr Risiken für Arme

Berliner Kongress: Ungerechtigkeit in Gesundheitsfragen wird durch Klimawandel verschärft

Der Kongress »Armut und Gesundheit« findet in diesem Jahr zum 29. Mal in Berlin statt, mehr oder weniger intensiv von der Öffentlichkeit begleitet. Lange wurde die Veranstaltung von der Politik eher ignoriert, spätestens seit dem Ende der Pandemie-Maßnahmen hat sich das etwas geändert. Im Vorjahr war Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) bei der Eröffnung zugegen, in diesem Jahr sprach hier Gesundheitsminister Karl Lauterbach, ebenfalls SPD. Erwartungsgemäß lobte der Minister am Dienstag die Erweiterung des Themas um den Aspekt des Klimawandels.

In seinem Vortrag gab Lauterbach zu erkennen, dass ihm der Zusammenhang von ungleicher Vermögensverteilung und dem Leiden an den Folgen des Klimawandels durchaus geläufig ist. Der Minister präsentierte sein Wissen von einer neueren Studie, die bestätigt, dass Luftverschmutzung, unter anderem durch Feinstaub und Stickoxide, ein erhöhtes Risiko für Demenzerkrankungen mit sich bringt. Außerdem thematisierte er den Rückstand Deutschlands bei der Lebenserwartung im Vergleich zu anderen westeuropäischen Staaten und monierte, dass dieses Thema zu wenig öffentlich diskutiert werde – nicht ohne zu erwähnen, dass einkommensschwache Menschen besonders viele Lebensjahre verlieren, verglichen mit wohlhabenderen.

Forschungsgelder für Long Covid, Hitzeschutzpläne und die Krankenhausreform brachte Lauterbach ebenfalls in seiner Ansprache unter. Was er nicht erklärte, war unter anderem, warum es in seinem Ministerium keine Arbeitsgruppe »Armut und Gesundheit« geben wird, für die sich im vergangenen Jahr der Sozialmediziner Gerhard Trabert eingesetzt hatte, auch mit Bezug darauf, dass ein solches Gremium von 2000 bis 2004 schon einmal existiert hatte. Offenbar scheinen dem Minister die geplanten Gesundheitskioske in den 1000 ärmsten Stadtteilen Deutschlands – eines seiner Projekte in dieser Legislatur – an dieser Flanke ausreichend.

Einen deutlich umfassenderen Begriff von den aktuellen Problemen im Themenfeld Armut, Gesundheit und Klimawandel entwickelte die Medizinethikerin Alena Buyx, die seit 2020 Vorsitzende des Deutschen Ethikrates ist. Den für die Kongresseröffnung geplanten Grundsatzvortrag konnte sie zwar nicht halten, da der Ethikrat seine aktuelle Empfehlung zum Thema Klimagerechtigkeit noch nicht fertiggestellt hat. Stattdessen gab die Hochschullehrerin eindringlich zu bedenken, dass die Zusammenhänge von Armut und Gesundheit durchaus kein Neuland für die Forschung seien: »Wer ärmer ist, ist auch kränker, das ist soo bekannt!«

Differenzieren wollte sie bei dem ebenfalls bekannten Zusammenhang zwischen Klimawandel und Armut. Das sei kein Thema nur für Staaten wie Bangladesch oder eine Herausforderung nur »woanders«, wie es hierzulande häufig diskutiert werde. Entsprechend wenige Publikationen gebe es zur Situation hierzulande. Wie auch bei anderen Krisen gelte: Der Klimawandel trifft alle, aber nicht alle gleich: »Wer ärmer ist, ist ›klima-kränker‹«, so Buyx.

Rückblickend auf die Corona-Pandemie und deren Folgen nannte die Ethikerin mehrere Aspekte der Vulnerabilität: Menschen könnten medizinisch verletzlich sein, aber auch sozial, wenn sie nicht über nötige Ressourcen verfügten. In Zukunft und mit Blick auf Klimawandelfolgen sei der Schutz besonders vulnerabler Menschen doppelt wichtig. Krisenrobuste Institutionen und eine Abwägung von Eigenverantwortung und Solidarität seien nötig. Buyx mahnte auch, sich den Herausforderungen der digitalen Desinformation zu stellen. Diese habe in der Pandemie zu Vertrauensverlusten geführt und verstärke sich jetzt beim Thema Klimawandel.

In der Eröffnungsveranstaltung zeigte sich eine weitere Kontroverse: Zu Wort kam Johannes Nießen, Errichtungsbeauftragter eines neuen Bundesinstituts für Prävention und Aufklärung in der Medizin. Dieses soll sich nicht übertragbaren Krankheiten wie Diabetes oder Krebs widmen. Wie andere Experten hält Rolf Rosenbrock den Ansatz für falsch. Der Gesundheitswissenschaftler fordert eher ein Bundesinstitut für öffentliche Gesundheit. Rosenbrock, der den inzwischen größten Public-Health-Kongress seit Jahren prägt, nannte es zwar ehrenwert, sich für die Verminderung der gesundheitlichen Folgen sozialer Ungleichheit einzusetzen. An den Ursachen der Ungleichheit werde so aber nichts geändert, der Unterschied müsse klar sein. In diesem Zusammenhang warnte er Kongressteilnehmer und Akteure in diesem Feld vor Umarmungen seitens der Politik, die einschläfernd wirken könnten. Der Applaus war deutlich.

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