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Gender-Writing-Gap: Autorinnen im Abseits
Das professionelle Schreiben bliebt weiterhin absolut männerdominiert. Besonders im Printjounalismus fehlen weibliche und diverse Autor*innen
Neben der höllischen Weltlage treiben mich in meiner Arbeit als Redakteurin seit einigen Monaten zwei Dinge besonders um. Sie betreffen das Geschlechterverhältnis: Erstens wollen nahezu nur noch Männer bei uns schreiben, auf Wochen hinaus füllen ausschließlich männliche Autoren unseren Plan; zweitens bin ich unzufrieden mit meinem eigenen Output, schreibe höchstens hier und da mal eine Glosse, während mir für lange, »richtige« Artikel jegliche Inspiration fehlt. Es überwiegen Gefühle von Ratlosigkeit, Überdruss und Beklommenheit. Komischerweise – vielleicht weil niemand gern eine Statistik ist? – brauchte es ein Gespräch mit meinem Kollegen, um zwischen beiden Dingen einen Zusammenhang herzustellen: Die beiden Probleme bilden Gegenparts derselben Sache; sprich: Ich selbst verkörpere das Problem, dass mir als Redakteurin von außen entgegentritt.
Ich beginne, im Internet nach konkreten Zahlen zum Status Quo zu suchen und stoße auf eine Studie der Europäischen Beobachtungsstelle für Journalismus (EJO) aus dem Jahr 2021, die für elf europäische Staaten das Geschlechterverhältnis in den Medien untersucht. Das wenig überraschende Ergebnis vorweg: In ganz Europa sind Journalistinnen (und wohl Flinta* allgemein, unterstelle ich jetzt mal) extrem unterrepräsentiert, mit der stärksten patriarchalen Dominanz in den klassischen Printmedien – und, wer hätt’s gedacht, »das größte Ungleichgewicht unter den Verfasser*innen wurde in Deutschland und Italien festgestellt«. (Ist das vielleicht ein postfaschistisches Phänomen? Das nur mal als kleine steile These hingeworfen. Jedenfalls liegt die Bundesrepublik unter den OECD-Staaten in puncto Geschlechterverhältnis auch in anderen Bereichen regelmäßig auf den letzten Plätzen.)
Journalistische Männerbündelei
Für den Medienkontext hierzulande heißt das konkret, dass 58 Prozent der Printartikel von Männern und 16 Prozent von Frauen verfasst wurden, mit noch krasserer Ungleichheit in Publikationen wie der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung«. Hier liegt der Männeranteil bei schlappen 81 Prozent. Männliche Journalisten verbringen zudem, auch das ergab die Studie, »einen Großteil ihrer Zeit damit, über andere Männer zu schreiben«, und die Zahl der Fotos von Männern in den Medien übertrifft die von solchen mit Frauen um fast das Dreifache. Dieses Vorgehen hätte fast eine gewisse infantilistische Komik, wäre es nicht Ausdruck purer Männerbündelei, die für die von ihr Ausgeschlossenen eine immer wieder schlicht gefährliche Realität produziert.
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Für linke Medien lassen sich keine gesonderten Daten bezüglich der Autor*innenverteilung finden, aber ich weiß aus jahrelanger, immer wieder höchst verärgerter Anschauung, dass es in unseren Kreisen nicht viel besser aussieht – außer in queerfeministischen Publikationen oder bei »Frauenthemen« wie in diesem Schwerpunkt des »nd« zum feministischen Kampftag. Hier haben wir es mit einem Phänomen zu tun, das die Schriftstellerin und Kommunistin Gisela Elsner bereits in den frühen 80er Jahren beschrieb. In harter Polemik gegen »Frauenliteratur« und den Differenzfeminismus, den sie als mitschuldig in der sexistischen Ausgrenzung ansah, schreibt Elsner in ihrem Aufsatz »Autorinnen im literarischen Ghetto«: »Mit den ungeschriebenen Gesetzen, die es schreibenden Frauen nahelegen, in Hinblick auf Politik und Gesellschaftskritik Abstinenz zu üben, die es schreibenden Frauen nahelegen, statt größerer Zusammenhänge lediglich winzige Beobachtungen zu schildern, die es schreibenden Frauen nahelegen, statt Widerspruch und Protest Einverständnis zu zeigen, versucht man, Autorinnen mundtot zu machen.«
In dieses Paradigma passt ausdrücklich der Hinweis der EJO-Studie, man habe lediglich Meldungen aus den »Bereichen Nachrichten, Politik und Wirtschaft ausgewählt. Berichte über Gesundheit, Kunst und Lifestyle-Themen wie Mode wurden weggelassen«. Bei deren Einbezug hätte sich das Geschlechterverhältnis vermutlich noch einmal etwas zugunsten nicht-männlicher Autor*innen verändert. Interessant in diesem Zusammenhang auch folgende Tatsache: »50 Prozent der Moderatoren und Korrespondenten in den werktäglichen Abendnachrichten zur Hauptsendezeit im Fernsehen (Kabel und Netz) sind Männer, 50 Prozent sind Frauen.« Vor der Fernsehkamera ist das Geschlechterverhältnis also plötzlich paritätisch, wodurch ein unrepräsentativ hoher Anteil von sichtbaren Frauen einer männlichen Dominanz in der eigentlichen Wissensproduktion gegenübersteht. Ist das die Erfüllung des bürgerlichen Repräsentationsversprechens? Und gibt es auch deshalb so viele Nachrichtensprecherinnen, weil die Männer in den Chefetagen gern Frauen dabei zusehen, wie diese das verkünden, was sie und ihre Buddies zu Nachrichten bestimmt haben?
So polemisch formuliert, so möglich ist das doch – aber ich weiß auch: Das Problem resultiert nicht allein aus dem offen autoritären, expliziten Ausschluss von Autor*innen durch Cis-Männer. Sondern »wir anderen« sind ein Stück weit Teil davon – sei es durch das Einfügen in eine (männlich dominierte) Ordnung, durch die willige Exekution der bürgerlichen Logik von Konkurrenz und Herrschaft. Oder sei es, weil wir es uns aufgrund der weiblichen Sozialisation in letzterer oft nicht zutrauen, wirklich Ahnung von einem Gegenstand zu haben oder selbst einfach Thesen rauszuhauen und zu vertreten. In meiner Arbeit als Redakteurin sieht diese Seite der Dinge so aus: Während die meisten männlichen Autoren, die ich anfrage, zusagen, bekomme ich von Frauen und Trans Personen mehrheitlich Absagen, oft mit der Begründung, es gäbe keine Kapazitäten – oder eben vermeintlich zu geringe Kenntnis des Sachverhaltes. Vor diesem Hintergrund ist die Tatsache, dass das ohnehin schon abgründige Gechlechterverhältnis der Printmedien im Bereich des Wissenschaftsjournalismus noch magerer ausfällt, auch so zu deuten: Je mehr ein Bereich Anspruch darauf erhebt, allgemeingültige Aussagen über die Welt zu machen, desto stärker die männliche Dominanz.
Etwa vier Jahrzehnte nach Gisela Elsners Wut über die »Ghettoisierung« der Autorinnen, im Jahr 2020, ist in der Leipziger Autoritarismus-Studie zu lesen, warum dies nicht nur ausschließend ist, sondern auch gefährlich: »Die Abwertung und Kontrolle von Frauen und ihre Unterwerfung unter die männliche Hegemonie kann in antifeministischer Gewalt münden, findet allerdings schon in unscheinbaren Phänomenen Ausdruck, etwa der Nicht-Wahrnehmung der alltäglichen Unterdrückung und Marginalisierung von Frauen, der Abwertung und Abspaltung der »weiblichen Sphäre«.
Geld als Problem und Lösung
Diagnose und Gegenmaßnahme derjenigen, die das Problem innerhalb des Kapitalismus »lösen« wollen, sind naturgemäß beide geldvermittelt. Das Online-Magazin »The Conversation« etwa schreibt, der Einbezug von Frauenstimmen »könnte zu Milliardeneinnahmen führen« und »die Schließung des geschlechtsspezifischen Konsumgefälles in den nächsten 10 Jahren bis zu 83 Milliarden US-Dollar einbringen«. Vermutlich soll sich auf diesem Wege auch der Gender-Pay-Gap schließen, der sich – aus Gründen, die selten irgendwo erörtert werden – als erstaunlich hartnäckig erweist.
So verdienen weibliche Angestellte in Deutschland, wie die Pressestelle der Goethe-Universität Frankfurt jüngst mitteilte, noch 2024 »im Schnitt weniger als ihre männlichen Kollegen, und zwar beträchtlich weniger. Bis zum 6. März hätten Frauen umsonst gearbeitet – ginge man vom selben Monatslohn aus wie bei Männern.« Diesem Problem, informiert die Pressestelle, widmet sich das hochschuleigene Institut für Wirtschaft, Arbeit und Soziales (IWAK) nun in zwei gemeinsamen Veranstaltungen mit dem hessischen Arbeitsministerium. Hier soll es zuerst um die »Lohngleichheit für Frauen auf Stellen im unteren und mittleren Entgeltsegment« gehen, dann um die »Entgeltgleichheit für hoch qualifizierte Frauen auf dem Weg in Führungsfunktionen«. Man will sich ja um alle kümmern, solange es nicht gerade um Arbeitskämpfe im eigenen Hause geht – aber vermutlich erscheint die Angelegenheit den Herrschaften auch deshalb so dringend, weil es vor allem die Frauen in Führungspositionen sind, die erheblich weniger verdienen als ihre Kollegen.
Selbstverständlich ist für diese Leute wohl: Irgendwer muss im Kapitalismus halt wenig(er) verdienen, und selbst wenn sich die Männer in den Führungspositionen bequemen würden, ihre Plätze an der Sonne an Flinta* abzugeben, wäre immer noch die große Mehrheit aller Menschen von diesen ausgeschlossen. Insofern ist die gesamte Debatte um den Gender-Pay-Gap eine zutiefst bürgerliche – und kann eigentlich nur dazu dienen, die Beschissenheit der Verhältnisse aufzuzeigen, niemals als letzte Forderung. Aber gilt für den Gender-Writing-Gap dasselbe? Ich würde sagen, nein. Während die Form der Lohnarbeit mitsamt der Geldform abgeschafft werden muss, kann die Produktion von Wissen nämlich ein Teil von Kritik, Emanzipation, ja Widerstand sein. Deshalb mein Aufruf an alle Autor*innen da draußen: Schreibt mehr! Und zwar nicht nur zum feministischen Kampftag.
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