- Kultur
- Europawahl
Marie-Agnes Strack-Zimmermann: Bertolt bricht
Pisa-Verlierer Deutschland: Marie-Agnes Strack-Zimmermann inszeniert sich im Europawahlkampf allen Ernstes als »Oma Courage«
Marie-Agnes Strack-Zimmermann neigt der Bescheidenheit nicht zu. Für die FDP sitzt sie seit 2017 im Bundestag und ist dort seit 2021 Vorsitzende des Verteidigungsausschusses. Die eine oder der andere erinnert sich an die andauernden Rufe nach Waffen, die auch abgefeuert gehören. Gerne spricht sie von »Feindbildern«. Und kürzlich machte sie wieder auf sich aufmerksam, da sie erklärte, als Katholikin schäme sie sich für den Papst, der das Massensterben in der Ukraine nicht akzeptieren will.
Als Frau der Offensive zieht sie für den Partei gewordenen Zahnarztlobbyverband FDP nun in den Europawahlkampf. Auf den Plakaten prangt ihr Konterfei – mit dem Textzusatz »Oma Courage«. Hat da ein Freidemokrat, eine Freidemokratin etwa Brecht gelesen? Garantiert nicht.
Bertolt Brechts episches Drama »Mutter Courage und ihre Kinder«, während des Zweiten Weltkriegs (und gegen ihn!), verfasst, ist ein Stück gegen Militarismus und Kapitalismus. Die Titelheldin Anna Fierling, Mutter Courage genannt, ist keine Sympathieträgerin: Sie versucht, so gut es eben geht, am Krieg mitzuverdienen. Dabei verliert sie alles, auch das Leben ihrer Kinder. Der Leitspruch der Courage spricht eine deutliche Sprache: »Der Krieg is’ nix als die Geschäfte.«
Was sollte uns ein solches Wahlplakat wohl verraten? Wenn Krieg in Europa herrscht, dann muss auch daran verdient werden? Politisch und wirtschaftlich? Einigen ist offenbar nichts zu peinlich. Auch nicht die zur Schau gestellte Unkenntnis literarischer Klassiker.
Die Wahlkampagne sorgte für Furore in den sozialen Medien, wo man sich an derlei Dämlichkeit gut erfreuen kann. Strack-Zimmerman verteidigte sich auf der Kommunikationsplattform »X«, ehemals »Twitter«, ungelenk: Ein Zusammenhang zwischen dem FDP-Slogan und dem Titel von Brechts »Mutter Courage und ihre Kinder« bestehe nicht. Alles Zufall also. Nun steht man aber nicht weniger dumm da, wenn man behauptet, rein gar nichts mehr zu merken.
Im Juni wird in allen Mitgliedsländern der Europäischen Union über ein neues EU-Parlament abgestimmt. Dabei zeichnet sich ab, dass rechte Parteien an Einfluss gewinnen könnten. Was ist eine linke Antwort darauf? Und wie steht es um die Klimapolitik der EU? Welche Entwicklungen gibt es in Hinblick auf Sozialpolitik und was ist im Bereich der europäischen Asyl- und Migrationpolitik zu erwarten? Die anstehende Europawahl wird richtungsweisend. Auf unserer Themenseite fassen wir die Entwicklungen zusammen: dasnd.de/europawahl
Da ist es eine hübsche Pointe, dass der Hau-drauf-Journalist Jan Fleischhauer, Autor des Buches »Unter Linken. Von einem, der aus Versehen konservativ wurde«, der Frau Politikerin in den sozialen Medien beisteht. Auf »X« lässt er über »Oma Courage« wissen: »Funktioniert trotzdem. Weil kaum noch einer Brecht kennt, geschweige denn etwas von ihm gelesen hat. Was schade ist.«
Fleischhauer, der konservative Literaturliebhaber, muss es wissen. Auf seinem »X«-Profil wartet er mit einem schönen Zitat auf: »Wenn Du ausruhst, kriegen sie Dich«. In Klammern hat der »Focus«-Kolumnist hinzugesetzt: »Thomas Mann, 1956«. Ganz recht, das Zitat soll von dem Thomas Mann stammen, der bereits 1955 gestorben ist und dergleichen nie gesagt hat.
In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.