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Keine leeren Jahre
Ulrich Schneider will den Arbeiterwiderstand dem Vergessen entreißen
Wenn man unter dem aktuellen Aufruf »280 Nachkommen von Widerstandskämpfern fordern Kampf gegen rechts« Namen von Angehörigen des Arbeiterwiderstandes gegen den deutschen Faschismus mit der Lupe suchen muss (ein Drittel der Unterzeichner sind übrigens von Adel) und man unter den Appellen »Unternehmer und Gewerkschaften gemeinsam gegen die AfD« nur historisch Harmonisches gemäß der Losung Sozialpartnerschaft findet, dann ist klar: Das Buch von Ulrich Schneider kam im rechten Moment heraus.
In der bundesdeutschen Geschichtsschreibung gedachte man lange Zeit vor allem der Wehrmachtsoffiziere, die erst kurz vor Schluss opponierten, der Männer des 20. Juli um den Attentäter Claus Schenk Graf von Stauffenberg und anderer Hitler-Gegner aus bürgerlichem Kreise. Doch waren es zuallererst Angehörige der Arbeiterbewegung – über 80 Prozent der aktiven Antifaschisten –, die sich dem Regime unter Einsatz von Gesundheit und Leben entgegenstellten.
Selbst in aktuellen Erklärungen aus der Wirtschaft wird die Rolle der ökonomischen Eliten zugunsten Hitlers verschwiegen, und die Gewerkschaften scheuen den Rückblick auf den 1. Mai 1933, an dem sie gemeinsam mit den Nazis aufmarschierten, wofür sie einen Tag später einen hohen Preis zahlten. Danach haben sich viele Gewerkschafter jedoch mutig am Arbeiterwiderstand gegen die Nazidiktatur beteiligt, der auch immer ein Kampf gegen die Krupps, Flicks, Quandts, Thyssens wie auch die IG Farben war. Sie haben ein Vermächtnis hinterlassen, das heute verschwiegen wird. Arbeiterwiderstand? Unbekannt.
Ulrich Schneider schildert den Arbeiterwiderstand bereits in der Weimarer Republik gegen den aufkommenden Faschismus und verschweigt nicht, dass die Spaltung der Arbeiterbewegung deren Kräfte behinderte. Erinnert wird an die Bewegungen des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold (SPD) und des Rot-Front-Kämpferbundes (KPD), ebenso an nicht parteigebundene Antifa-Aktionen und den Kampfbund gegen den Faschismus, der erforderlich wurde, weil der Staat immer wieder kommunistische Organisationen verbot und Mordaktionen der SA oftmals duldete.
Im Kapitel »1933 bis 1935 – Verfolgung der organisierten Arbeiterbewegung« schildert der Autor den Terror der Nazis. Die mit der Etablierung des NS-Regimes in die Illegalität gezwungenen Arbeiterorganisationen halfen von Anfang an Verfolgten bei der Flucht, bemühten sich, Netzwerke aufzubauen, die Bevölkerung mit Flugblättern aufzuklären, kurzum: eine antifaschistische Praxis unter den Bedingungen der Konspiration zu entwickeln.
Das folgende Kapitel, das die Jahre bis zur Entfesselung des Zweiten Weltkriegs 1939 beleuchtet, ist mit der Frage »Leere Jahre?« überschrieben. Dies wird verneint. Auch wenn die Strukturen der organisierten Arbeiterbewegung weitgehend zerschlagen wurden, ging der Widerstand weiter. Schneider schildert das Streben nach der Volksfront im Exil und den Kampf für die Spanische Republik, ausgefochten auch von Tausenden deutschen Arbeitern mit der Waffe in der Hand. Da der Blick auf das NS-Regime hierzulande nach wie vor auf die ›rassische‹ Verfolgung fokussiert ist, dürften die Beispiele der Solidarität mit den Verfolgten wie die KPD-Flugblattaktion gegen die »Schande der Judenpogrome« im November 1938, ebenso wie die Solidaritätserklärung der »Sopade«, des Exilvorstandes der SPD in Prag, für die Opfer des wütenden Antisemitismus der Nazis besonders interessant sein.
Im Krieg änderten sich Bedingungen und Perspektive des Kampfes. »Ging es bisher im Wesentlichen darum, einen Krieg zu verhindern, so mussten sich die deutschen Antifaschisten nun in der politischen Konsequenz für eine militärische Niederlage des Deutschen Reiches einsetzen.« Die Risiken erhöhten sich. Die Widerständler wurden zu »Landesverrätern«, auch in den Augen vieler Mitmenschen. Nach der Phase des »Blitzkriegs« und erster empfindlicher Niederlagen der Wehrmacht verbesserten sich die Kampfbedingungen nicht, wohl aber erschienen manchen Deutschen ab Frühjahr 1943 die Argumente der Antifaschisten »glaubwürdiger«, wie Schneider anmerkt. Das Regime reagierte mit Verschärfung der Repressalien. Auf das Abhören und Verbreiten von Auslandssendern stand oft die Todesstrafe.
Während des Krieges bildeten sich neben den bisherigen Gruppierungen aus den Arbeiterparteien auch parteiübergreifende. Sozialdemokraten und Kommunisten entwickelten im Exil ihre Analysen zum Faschismus weiter und entwarfen Pläne für ein antifaschistisch-demokratisches Deutschland für die Zeit nach der Befreiung.
Schneider blickt auch auf den antifaschistischen Neuanfang, als man die Lehren aus der Spaltung der Arbeiterbewegung ziehen wollte, die den Faschismus an der Macht nicht verhindern konnte. Dazu gehörte auch die Überwindung von Sektierertum – eine Lektion, die wieder mal sehr aktuell erscheint. Nützlich hierbei sind die Ausführungen des Autors zum Prager Manifest der SPD und zum VII. Weltkongress der Kommunistischen Internationale sowie zur massiven Selbstkritik der beiden Hauptströmungen der Arbeiterbewegung an einstiger Fehleinschätzung und Fehlentscheidungen.
Der Autor beendet sein Buch mit der Aufforderung, dass die Frauen und Männer, die sich oft schon vor 1933 dem Vormarsch der NSDAP und ihrer Machteinsetzung entgegengestellt hatten, als Teil der Anti-Hitler-Koalition angesehen und geehrt werden müssen. Ihr Anteil an der Befreiung von Faschismus und Krieg ist nicht zu unterschätzen. Zwar hat nicht der Widerstand aus der Arbeiterbewegung die militärische Kapitulation Nazideutschlands erzwungen, aber umgekehrt gilt ebenso: Das NS-Regime hat nicht wie angestrebt die deutsche Arbeiterbewegung vernichten können.
Ulrich Schneider: Arbeiterwiderstand im Dritten Reich. Papyrossa, 127 S., br., 12 €.
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