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»Heavy Metal in der DDR«: Schildmütze und Bierdeckeldemokratie
Aus Desinteresse am DDRigen: Die Ausstellung »Heavy Metal in der DDR«
Die Freiheit nimmt man sich: Auf der wenig himmlischen Hinfahrt nach Berlin For Today anmachen, die handwerklich mitunter das Beste geschaffen haben, was der Metalcore der Nuller- und Zehnerjahre hervorgebracht hat. Inhaltlich aber reicht deren Zeug an die christliche Variante des Islamischen Staates heran; der Wahnsinn in »My Confession«: »I’ve not just heard about Him, I’ve heard Him/ I’ve not just seen evidence of Him, I’ve seen Him (My King is alive! My King is alive!)/ He’s alive, and He’s conquered the grave once and for all.«
Nun ist der Sozialismus dem Grabe hierzulande leider noch nicht wieder entstiegen, auch wenn das historische Präsens im Flyer zur Sonderausstellung »Heavy Metal in der DDR« in der Berliner Kulturbrauerei einmal zurückspult, zurück in die 80er: »Während im Westen Bands wie Metallica und Iron Maiden die Bühnen erobern, entwickelt sich in der DDR im Jahrzehnt vor Mauerfall und Wiedervereinigung eine ebenso energiegeladene Heavy-Metal-Szene, die sich am Westen orientiert. Das SED-Regime beobachtet diese misstrauisch.«
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Und damit war es nicht allein: 1986 indizierte man in der Bundesrepublik wegen des Covers die LP »Fistful of Metal« der US-Thrasher Anthrax als »gewaltverherrlichend«, ebenso »Satan’s Gift« von Deathrow und ein Jahr zuvor Impalers »Rise of the Mutants« und »Condition Critical« von Quiet Riot, etc. etc. Besieht man die lange Liste der verbotenen Werke von Cannibal Corpse, fragt man sich, ob in der Zensurbehörde jemand praktiziert, der sich von den Death-Metal-Granden ganz persönlich in den Kaffee gespuckt fühlt.
Die Welt fremdelte hüben wie drüben mit der sich schnell rekrutierenden Metal-Armee. Nachlesen lässt sich das am US-amerikanischen Beispiel in »Satanic Panic: Pop-Cultural Paranoia in the 1980s« (FAB Press, 2016), herausgegeben von Kier-la Janisse und Paul Corupe.
Nun hatten im laizistischsten Staat, den der hiesige Weltteil je erlebt hat, passionierte Kirchgänger nichts zu diktieren, insbesondere nicht Fanatiker vom For-Today-Schlage. Interessanter für die DDR und ihre Institutionen war ganz profan die Frage, wie es eine Subkultur mit der Organisierung der Menschengemeinde hielt: »Anders als Punks und Skinheads sind Metal-Fans in der DDR unpolitisch. Sie finden sich mit dem SED-Regime ab. Während sie tagsüber ihrer Arbeit nachgehen, schaffen sie sich Freiräume nach Feierabend«, heißt es auf einer Infotafel zu Beginn der Ausstellung als recht plumpe und grobschlächtige Zusammenfassung vorab. Fast wäre man geneigt zu sagen, das ist »von Vorurteilen geprägt«, aber das entnehmen wir stattdessen dem Hinweis zum aus heutiger Sicht natürlich ulkig erscheinenden »Erkennungsschlüssel«, mit dem MfS-Angehörige Jugendszenen aus der Ferne voneinander scheiden können sollten.
Um Distinktion ging es der Metal-Szene durchaus: »Man hat sich dadurch abgehoben, von den ›Normalen‹, von den Poppern«, erzählt Zeitzeugin Claudia Bamberg, drückt man auf die entsprechende Stelle des Touchscreens. Videos und Tonaufnahmen sind viele in der Ausstellung, fast ausnahmslos entspricht man dem Vorurteil, wer Metal hört, der höre alles so laut, dass die Trommelfelle bröckeln; zumindest wird man von Metal-Fans und Musikern, die die DDR erlebt haben, ordentlich angebläkt. Das hielt damals die sozialistischen Behörden fern, verrät Jens Molle, der da einst die »Tendenz Hard bis Heavy« des Jugendsenders DT64 moderierte. »Sie wollten uns nicht abhören, weil sie die Musik nicht ertragen hatten.« Dieser oder jener Text ging, so Molle, allein deswegen schon durch, weil er für ungeübte Ohren einfach unverständlich war.
Großes Ding Spielerlaubnis: Die brauchte es, um aufzutreten. Dass es derweil drüben als »illegale Arbeitsvermittlung« gegolten hat, wenn man einfach so ein Konzert organisierte, ohne dafür eine Zuweisung vom Arbeitsamt erfahren zu haben, findet sich natürlich nicht in der Ausstellung, die den Vergleich mit dem Westen weitgehend und wohl als zu wissenschaftlich scheut, dafür aber in Frank Schäfers Interviewband »Heavy Kraut – Wie der Metal nach Deutschland kam« (Verlag Andreas Reiffer, 2022). Die DDR schien nach und nach warm zu werden mit dem Metal: Die Magdeburger Band MCB sieht man Motörheads »Ace of Spades« auf dem 5. Berliner Rocksommer der FDJ 1988 covern.
Derweil wurden andere Gruppen repressiert: Nach einem abgebrochenen Konzert der Erfurter Thrasher Macbeth wurde die Band zur Namensänderung gezwungen und Bandmitglieder zur NVA einberufen. Sänger Detlef Wittenburg saß kurz darauf eine einjährige Haftstrafe ab, die ihn wohl brach (er erhängte sich im Dezember 1989). Von einer Bagatelle ist die Rede. Das Delikt (ein Diebstahl) wird nicht erwähnt, man muss auch das woanders nachlesen, in Nikolai Okunews »Red Metal – Die Heavy-Metal-Subkultur der DDR« (Verlag Ch. Links, 2021).
Die Einführung der Freiheit im kapitalistischen Maßstab vertrugen viele Bands schlecht: Die vom Bluesrock zum Metal konvertierten Jüteboger Biest konnten sich ihren mit Amiga geschlossenen Plattenvertrag in den von der enger genähten Jeans umhüllten Arsch schieben. Man hätte das Album auch nicht gekauft, war das Interesse am Schaffen der Metal-Bands des Realsozialismus nach dessen Abwicklung genauso groß wie das der Kuratoren der Ausstellung. Klügere oder zumindest fleißigere Antikommunisten hätten sich mehr mit Text und Musik beschäftigt, als den Fokus fast vollständig auf die dahingehende Kulturpolitik der späten DDR zu richten.
Das wirklich Interessante bleibt Rand: »Highway to Hell« von AC/DC wird ab 1981 auch in der DDR vertrieben und gilt als prägend für den DDR-Metal. Darüber, was es mit einem Metal macht, der durch Nicht-Metal wie dem Hardrock von AC/DC und Motörheads Hardrock ’n’ Roll geprägt wird, schweigt man sich aus. »Die klingen alle wie DDR-Bands«, sagt mein Begleiter, kein Metal-Fan, aber einer, der nicht nur vom Sozialismus gehört, sondern ihn erlebt hat.
Das DDRige an der Musik, das Besondere etwa an Biests »Grab im Moor«, wäre durchaus eine Analyse wert gewesen. Stattdessen schließt die Ausstellung mit einem generischen Metal-Kneipen-Imitat, O-Tönen, die auch hätten vom Drachenlord kommen können (Molle: »Metal ist eine verhältnismäßig ehrliche Musikrichtung.« Aha), und komplett beliebigem Merchandise, das da an die Wand drapiert und überzeitlich ulkig behinweist ist (eine Basecap vom bei Leipzig abgehaltenen Full-Force-Festival ist eine »Schildmütze«). Ach, und: Man darf seine Meinung zum Metal auf Bierdeckel schreiben und an die Wand kleben. Denn darauf passt die bundesdeutsche Demokratie: auf einen Bierdeckel.
»Heavy Metal in der DDR«, bis 9. Februar 2025, Museum in der Kulturbrauerei, Berlin.
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